Das "Komitee für den Zollanschluss Liechtensteins" veröffentlicht eine Broschüre "Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschlussfreunde" (Altstätten, Buchdruckerei "Rheintalische Volkszeitung, 21 Seiten)


Broschüre, 21 Seiten, gez. vom Dr. Josef Schöbi-Rusch [1]

Oktober 1923

Zum Zollvertrag mit Liechtenstein - Der Standpunkt der Anschlussfreunde

Altstätten, Buchdruckerei „Rheintalische Volkszeitung"

1923

 Inhaltsverzeichnis.

 

Seite

 

Einleitung

1

I. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs

3

II. Der Zollvertrag mit Liechtenstein:

 

l. Der politische Aspekt

9

2. Die Rechnung

11

3. Die neue Zollgrenze

16

III. Der Gegenvorschlag

18

IV. Rekapitulation

21

[Karte Fürstentum Liechtenstein]

 

Für den liechtensteinischen Zollanschluss

Der Standpunkt der Anschluss-Freunde

Noch vor Ablauf dieses Jahres werden die eidgenössischen Räte darüber entscheiden, ob dem Wunsche des Fürstentums Liechtenstein, ins schweizerische Zollgebiet aufgenommen zu werden, entsprochen werden soll oder nicht.

Bekanntlich wurde am 29. März 1923 von den Vertretern des Bundesrates und der liechtensteinischen Regierung ein solcher Vertrag unterzeichnet, welcher den Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz in allen Einzelheiten und mit allen für die Schweiz wünschenswerten Kautelen regelt. Derselbe ist vom liechtensteinischen Landtag einstimmig ratifiziert worden.

In der Schweiz ist die öffentliche Meinung mit seltener Einmütigkeit (deutsch und welsch sind dafür und keine Partei hat sich bisher dagegen ausgesprochen) für diesen Zollanschlug eingetreten. Diese Auffassung ist getragen von der Überzeugung, dass ein solcher Vertrag nicht nur eine Lebensnotwendigkeit für unseren kleinsten Nachbar darstellt, sondern auch der Wahrung der schweizerischen Interessen am besten dient, und von der bereits in der Botschaft des Bundesrates zum Ausdruck gelangten humanitären Maxime, dass es die vornehme Pflicht des grössern ist, dem kleinern die Existenz zu ermöglichen, wenn ihm dies ohne allzu grosse Opfer möglich ist.

Nur eine Stimme hat sich bisher gegen den Zollanschluss erhoben. In Buchs, an der liechtensteinischen Grenze, hat sich ein Initiativkomitee gebildet, welches letzten Monat mit einer vorzüglich redigierten Broschüre an die Öffentlichkeit getreten ist, in der es zum Schlusse gelangt, dass von einer Einverleibung Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet grundsätzlich abzusehen und dem Nachbarlande in anderer Weise entgegenzukommen, und dass eventuell die Ratifikation des Zollvertrages so lange hinauszuschieben sei, bis hinsichtlich des österreichischen Hauptzollamtes in Buchs unsere Rechtslage gegenüber Österreich restlos zu unseren Gunsten abgeklärt sei. (S. 24 der Broschüre.) Begründet wird dieser Standpunkt mit allgemeinen schweizerischen Erwägungen, daneben werden auch rein lokale — vermeintliche — Interessen der Gemeinde Buchs in die Wagschale geworfen.

Die Initianten der Bewegung für den Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz, die in dieser Schrift ihrer Anschauung Ausdruck verleihen möchten, sind durch die Tätigkeit dieses Initiativkomitees in Buchs auf den Plan gerufen worden. Sie hatten keineswegs die Absicht, ein Komitee Gleichgesinnter auf den Plan zu rufen, oder sich die Finger wund zu schreiben, sondern die Frage sich in aller Ruhe entwickeln zu lassen, fest darauf vertrauend, dass bei einer ruhigen und objektiven Gegenüberstellung der Gründe und Gegengründe diejenigen für den Zollanschluss des befreundeten Nachbarländchens weit überwiegen würden.

Nun scheint man aber in jener Broschüre und noch mehr durch Versammlungen diesseits und jenseits des Rheins und durch Zeitungsartikel in den verschiedensten Blättern den Anschein erwecken zu wollen, als ob die Ansicht, die in der Broschüre der Herren von Buchs vertreten wird, die öffentliche Meinung der ganzen Ostmark unseres Landes darstellen würde, und das Schweigen derjenigen, die anderer Auffassung sind, könnte als Zustimmung zu dieser falschen Zeichnung der Lage aufgefasst werden. Dem Wunsche, nicht den Grundsatz: qui tacet consentire videtur, auf sich anwenden zu lassen und festzustellen, dass einmal die grosse Mehrheit der Ostmark des Landes dem Zollanschluss mit dem kleinen Nachbarlande gerne zustimmen möchte und dass zum andern die Argumentationen der Schrift der Buchser Zollanschlussgegner den Tatsachen durchaus nicht durchweg standhalten, verdankt diese Publikation ihr Erscheinen.

Wir sind nämlich, und mit uns wohl die grosse Mehrheit der Schweizerbürger und nicht zuletzt derjenigen der Ostmark des Landes, der Überzeugung, dass die Aufnahme Liechtensteins ins schweizerische Zollgebiet ein Gebot nicht bloss der internationalen Solidarität und Hilfeleistung ist, sondern auch der Klugheit und des wohlverstandenen Interesses der Schweiz im allgemeinen und der Grenzgebiete im besondern. Auch diese Gründe dürfen es rechtfertigen, dass ein Komitee von Zollanschlussfreunden aus dem in erster Linie interessierten st. gallischen Rheintal, das in seinen Reihen Vertreter der ganzen Ostmark aus verschiedenen politischen Parteien aufweist, seinen Standpunkt darlegt und die Ausführungen der gegnerischen Broschüre und die Äusserungen der in der letzten Zeit stattgefundenen Versammlungen im einzelnen prüft. Der Einfachheit halber werden wir dabei der Disposition dieser letztern folgen.

Vor allem freuen wir uns, feststellen zu dürfen, dass auch die Gegner des Zollanschlusses der Meinung sind, dass dem liechtensteinischen Nachbar, der sich in bedrängter Lage befindet, geholfen werden muss. Darin sind wir einig. Wenn wir über das Wie eine andere Ansicht vertreten, so glauben wir, dieselbe mit zwingenden Gründen belegen zu können.

I. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs.

Die gegnerische Broschüre stellt es als unumstössliche Wahrheit hin, dass der liechtensteinische Zollanschluss die Verlegung des österreichischen und des schweizerischen Zollamtes von Buchs nach Feldkirch zur Folge haben werde, was für Buchs und die Eidgenossenschaft eine grosse Schädigung bedeute.

Wenn dem tatsächlich so wäre, so könnte man die Stellungnahme des gegnerischen Komitees nicht nur begreifen, sondern sogar billigen. In Wirklichkeit verhält sich die Sache aber ganz anders, rechtlich und rein tatsächlich.

Mit Recht weist schon die Botschaft des Bundesrates darauf hin, dass die Schweiz sich gegenüber Österreich auf einen unanfechtbaren Rechtsboden stützen kann. Österreich ist durch den Staatsvertrag vom 27. August 1870 gebunden, dessen Art. 18, Absatz 3, folgenden Wortlaut hat: „An der österreichisch-schweizerischen Grenze sollen für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beiderseitigen Eisenbahnen vereinigte (österreichisch-schweizerische) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet werden."

Dieser Anschlusspunkt der schweizerischen und österreichischen Bahnen ist und bleibt — unabhängig vom liechtensteinischen Zollanschluss — in Buchs. Solange dies jedoch der Fall ist, müssen dort auch vereinigte Zollämter bestehen bleiben. Dies nach dem klaren Wortlaut des Vertrages.

Hier wenden die Gegner ein (Seite 4), der Vertrag bestimme, dass die Zollämter an der österreichisch-schweizerischen Grenze errichtet werden müssen, worunter offenbar die Zollgrenze zu verstehen sei. Nun sei eine solche Grenze seit dem Ausscheiden Liechtensteins aus dem österreichischen Zollgebiet nicht mehr vorhanden. Die Verhältnisse seien daher vollkommen umgestaltet und rufen einer neuen Regelung. Der liechtensteinische Zollanschluss aber erschwerte eine solche neue Regelung.

Abgesehen von dieser Schlussfolgerung, sind wir mit dieser Behauptung vollständig einverstanden. Die Gegner haben hier aber nur eine, allerdings fundamentale Tatsache übersehen, dass nämlich gerade durch den liechtensteinischen Zollanschluss diese als Basis jenes Staatsvertrages bezeichnete österreichisch-schweizerische Zollgrenze wiederhergestellt wird. In der Tat kann mit einiger Berechtigung gesagt werden, dass heute die Voraussetzungen für gemeinsame Zollämter in Buchs nicht mehr in der gleichen Weise gegeben sind wie anno 1870. Denn es hat sich zwischen die beiden Zollgebiete ein drittes hineingeschoben, nämlich das liechtensteinische. Vom österreichischen Standpunkt aus könnte man daher einwenden, dass dieser Zustand auf die Dauer nicht haltbar sei, indem das österreichische Zollamt in Buchs von Österreich durch ein drittes Zollgebiet getrennt ist. Welche Unzukömmlichkeiten sich daraus — auch beim besten Willen der Liechtensteiner — ergeben, bedarf keiner nähern Erörterung. Diese unerfreuliche Lage ist die Folge des Ausscheidens Liechtensteins aus dem österreichischen Zollgebiet und nicht die Folge des Anschlusses ans schweizerische Zollgebiet. Ganz im Gegenteil ist der schweizerisch-liechtensteinische Zollvertrag heute der einzige Ausweg aus diesem Dilemma. Damit werden die Verhältnisse, wie sie anno 1870 bestanden, wiederhergestellt, mit dem einzigen Unterschied, dass Liechtenstein nunmehr zum schweizerischen Zollgebiet gehört statt zum österreichischen. Die wichtigste Voraussetzung jedoch, die gemeinsame Zolllinie, ist damit wieder vorhanden.

Die Tatsache, da diese neue Zollgrenze über die Berge geht, statt dem Rhein entlang, ist dabei ohne jede Bedeutung. Denn der gesamte schweizerische Verkehr unterliegt auch nach dem Zollanschluss der Zollbehandlung in Buchs. Die Zollämter Schaan und Schaanwald sollen lediglich den liechtensteinischen Verkehr erfassen. Diesen Verkehr muss auch Österreich heute schon separat kontrollieren. Eine Erschwerung erwächst somit auch den Österreichern durch diesen Zollanschluss nicht. Damit erledigt sich auch der Einwand (Seite 7), dass Österreich der Belassung des Zollamtes in Buchs nur dann zustimmen könne, wenn zwischen Feldkirch und Buchs kein neues Zollamt errichtet werde. Neue Zollämter sollen ja auch durch den Zollvertrag mit Liechtenstein nicht geschaffen werden, sondern die Schweiz übernimmt lediglich die bereits bestehenden liechtensteinischen Zollämter, welche nach wie vor nur den liechtensteinischen Verkehr kontrollieren sollen.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich nun doch mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, der liechtensteinische Zollanschluss stehe der Beibehaltung gemeinsamer Zollämter in Buchs im Wege. Ganz im Gegenteil sagt uns eine einfache logische Schlussfolgerung, dass der liechtensteinische Zollanschluss nach der einen oder andern Seite die notwendige Voraussetzung hiefür ist. Denn gemeinsame Zollämter sind ohne gemeinsame Zollgrenze eben fast undenkbar. Wer will aber Liechtenstein zwingen, seinen Zollanschluss neuerdings bei Österreich zu suchen, wenn es von der Schweiz zurückgewiesen wird? Es bleibt also nur der Anschluss ans schweizerische Zollgebiet als einziger Ausweg, um die Beibehaltung der Zollämter in Buchs zu ermöglichen. Kommt dieser nicht zustande, so wird die Verlegung des österreichischen Zollamtes wohl nicht zu vermeiden sein. Wenn wir also den Zollanschluss befürworten, so wahren wir damit in erster Linie die Interessen von Buchs. Es ist sehr zu bedauern, dass die Gegner in Buchs in verhängnisvoller Verkennung der Verhältnisse in dieser Weise gegen ihre eigenen Interessen und diejenigen der ganzen Schweiz arbeiten.

Wie würde sich die Sachlage aber gestalten, wenn Österreich trotzdem sein Zollamt nach Feldkirch verlegen wollte, sobald der liechtensteinische Zollanschluss kommt? Die Schweiz würde mit ihrem Zollamt sicher nicht nach Feldkirch übersiedeln. Weder rechtliche noch wirtschaftliche Gründe könnten sie dazu veranlassen. Die Folge wäre also eine getrennte Zollabfertigung, welche der internationalen Transitlinie vielleicht schaden könnte. Aber der Schaden würde doch in erster Linie und zur Hauptsache Österreich treffen.

Es ergibt sich also, dass Österreich gerade im Falle des Zollanschlusses zur Verlegung seines Zollamtes nicht berechtigt ist, und dass dieser Anschluss auch wirtschaftlich für Österreich nur vorteilhaft ist. Tatsächlich ist es denn auch „ein offenes Geheimnis, dass die stillen Wünsche und Bestrebungen der österreichischen Finanz- und Eisenbahnverwaltung auf nichts anderes hinauslaufen, als sich dieses Anhängsels an ihr Bahnnetz und der damit verknüpften kostspieligen Verpflichtungen je bälder je lieber zu entledigen", wie die Broschüre (Seite 5) selbst ausführt. Mit einem Wort: Österreich kann mit seinem entwerteten Gelde heute für den Bahnhof Buchs nicht mehr einen so hohen Zins bezahlen (nach unseren Erkundigungen Fr. 128,000.- pro Jahr). Tatsächlich soll dieser Zins schon seit dem Jahre 1915 nicht mehr bezahlt worden sein. Gewünscht wird lediglich eine billige Herabsetzung dieses Zinses. Und der Grund dafür ist einzig und allein in der österreichischen Valuta zu suchen. Der Liechtensteiner Zollanschluss kann also offenbar nicht die Ursache sein. Wenn die österreichische Regierung trotzdem die beiden Fragen miteinander verquicken wollte, so tat sie das in der klugen Überlegung, dass nach Durchführung des liechtensteinischen Zollanschlusses auch der rechtliche Vorwand hinfällig geworden wäre.

Möglicherweise wird dieser Streitfrage, die mit Unrecht soviel Staub aufgewirbelt hat, schon in den nächsten Tagen der Boden entzogen sein. Wie wir erfahren haben, soll mit der österreichischen Regierung in den nächsten Tagen eine Vereinbarung in dem Sinne getroffen werden, dass die gemeinsamen Hauptzollämter in Buchs verbleiben, die Fragen des österreichischen Kostenanteils für den Buchser Bahnhof in anderer Weise geordnet wird, welche den Verhältnissen billige Rücksicht trägt. Wir würden uns sehr freuen, die Buchser Interessen auf diese Weise gesichert zu sehen. Nach einer neuesten Meldung eines Buchser Blattes soll diese gütliche Regelung der Angelegenheit bereits in zufriedenstellender Weise erledigt sein.

Die Buchser haben somit — rechtlich betrachtet — gerade mit Rücksicht auf das österreichische Zollamt das grösste Interesse am Zustandekommen des liechtensteinischen Zollvertrages. Daneben ist aber nicht zu vergessen, dass die Buchser Geschäftswelt überdies aus diesem Vertrag den Vorteil ziehen wird, dass Liechtenstein seinen Bedarf an Waren künftighin zur Hauptsache in Buchs decken wird. Die Stellung, welche bisher Feldkirch als Einkaufsplatz für Liechtenstein eingenommen hat, wird nach dem Anschluss ohne weiteres Buchs einnehmen. Dass dies kein unwesentlicher Vorteil ist, kann daraus geschlossen werden, dass die Feldkircher über diese Entwicklung der Dinge nicht eben sehr erbaut sind.

Es ist daher nicht übertrieben, wenn wir behaupten, dass Buchs durch diesen Anschluss — entgegen der Auffassung falscher Propheten — nur profitieren wird. Die Feldkircher haben das selber zugestanden an der Versammlung, die kürzlich dort vielleicht zu dem Zweck inszeniert worden ist, um den Anschlussgegnern Material in die Hände zu spielen, und die das Gegenteil von dem erzielte, was sie wohl bezweckt hat. Es sei dort, so wird über die Tagung gemeldet, festgestellt worden, dass durch den Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz das liechtensteinische Absatzgebiet für Feldkirch verloren gehe und der Zollanschluss aus diesem Grunde bekämpft werden müsse. Die eigentlichen Motive, warum Feldkirch diesen Zollanschluss nicht gerne sieht, wurden hier also mit verdankenswerter Offenheit bekannt gegeben. Es ergibt sich aber daraus, dass Buchs aus demselben Grunde ein Interesse am Zollanschluss hat, weil es nachher die Stellung Feldkirchs einnehmen wird. Das wird auch in Buchs in Kreisen, in denen man in erster Linie wirtschaftliche und nicht irgendwelche Gründe anderer Natur in den Vordergrund stellt, anerkannt und zugegeben, und es entspricht den Tatsachen nicht, wenn man sich den Anschein geben will, als sei ganz Buchs und das Werdenberg damit, einstimmig gegen den Anschluss.

Übrigens darf bei einer derartigen Frage nicht der Lokalstandpunkt einer Ortschaft oder einer Landesgegend massgebend sein, sondern sie muss vom allgemein schweizerischen Standpunkte aus behandelt werden. Das soll im folgenden Abschnitt geschehen.

II. Der Zollvertrag mit Liechtenstein.

In einem zweiten Teil schwingen sich die Gegner zu allgemein schweizerischen Gesichtspunkten auf und glauben, als wohlmeinende Bürger ihre Bedenken geltend machen zu müssen. Auch hier können wir ihre Bedenken nicht teilen. Vielmehr glauben wir, dass nach einer Richtigstellung der behaupteten Tatsachen jedermann zu gegenteiligen Schlüssen gelangen muss.

1. Der politische Aspekt, der hier von den Gegnern an die Wand gemalt wird, bedarf dabei nur weniger Bemerkungen, da die Verhältnisse hier klar zu Tage liegen.

„Lehrt uns die Geschichte nicht, dass der Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit verhängnisgleich dem Verluste der politischen Unabhängigkeit vorausgeht?" Die Frage muh daher so lauten: „Wollen wir unsere politische Grenze verlegen?" Auf diese Formel kann der politische Einwand etwa reduziert werden. Die Gegner haben es klugerweise unterlassen, die angebliche Lehre der Geschichte mit Beispielen zu belegen. Wollte man aber auf Präjudizien schwören, so brauchte man nur auf das Beispiel von Luxemburg, Monaco, St. Marino und Andorra verweisen, welche ebenfalls genötigt waren, mit noch grösseren Staaten als die Schweiz ebenso enge wirtschaftliche Verbindungen einzugehen, und trotzdem selbständig geblieben sind. Das naheliegendste und schlagendste Beispiel aber bietet Liechtenstein selbst. Vom Jahre 1852 bis zum August 1919, also während vollen 67 Jahren, stand Liechtenstein mit Österreich in einem ähnlichen Zollvertragsverhältnis. Daneben war es mit Österreich noch durch eine Reihe anderer Verträge noch enger verbunden. Wir erwähnen (abgesehen von Post, Telegraph, Telephon, Münze usw.) nur den Justizvertrag, laut welchem ein österreichisches Gericht die höchste liechtensteinische Gerichtsinstanz bildete, während dieselbe sich heute in Vaduz befindet, sowie die Besitzungen des Fürstenhauses in Österreich und seinen Sitz im österreichischen Herrenhause. Das alles konnte Liechtenstein nicht hindern, im Jahre 1919 den Zollvertrag zu künden und auszulösen. Ein besserer Beweis der politischen Unabhängigkeit wird wohl nicht denkbar sein. Und dass die Schweiz imperialistischer sei als das damalige K. K. Österreich-Ungarn, werden auch die Gegner nicht behaupten wollen. Auch liechtensteinischerseits ist an einen politischen Anschluss nie gedacht worden. Wer die Verhältnisse in Liechtenstein und speziell das Verhältnis des Landes zu seinem Fürsten kennt, dem ist es ohne Weiteres verständlich, dass Liechtenstein ein unabhängiger Staat bleiben will.

Das beste Argument aber und zugleich die beste Gewähr gegen solche Tendenzen ist die Tatsache, dass der Vertrag ausdrücklich „unter Vorbehalt der souveränen Hoheitsrechte seiner Durchlaucht des Fürsten von Liechtenstein" abgeschlossen ist, eine Klausel, auf welche beide Regierungen das grösste Gewicht gelegt haben. Für einen politischen Anschluss aber wäre der Wille beider Staaten erforderlich.

Damit erledigen sich auch alle andern Einwände, die sich auf irgendwelche Gebietsveränderungen der Schweiz beziehen (Vorarlberg, Tessin usw.). Und es dürfte damit auch der Einwand, dass der liechtensteinische Zollanschluss nur eine Vorbereitungsmassnahme für die Einverleibung des Vorarlbergs darstelle, endgültig abgetan sein, ganz abgesehen davon, dass die beiden Fragen miteinander nichts, aber auch gar nichts gemeinsames haben und einander gar nicht berühren.

Anderseits ist aber auch nicht zu befürchten, dass die anwendbare schweizerische Gesetzgebung in Liechtenstein nicht richtig angewendet werde. Auch hier können wir auf die Erfahrungen verweisen, die Österreich diesbezüglich mit Liechtenstein während beinahe sieben Jahrzehnten gemacht hat. Obwohl die österreichische Gesetzgebung viel umfangreicher und komplizierter war, als die schweizerische es ist, haben sich aus der Anwendung derselben in Liechtenstein nicht die geringsten Schwierigkeiten ergeben.

Im Anschlusse hieran mögen noch zwei nebensächliche Punkte widerlegt werden.

Die Broschüre (Seite 12) will den Eindruck erwecken, als ob dieser Vertrag Liechtenstein aufgezwungen werden soll. Dies erledigt sich durch den Hinweis darauf, dass der liechtensteinische Landtag den Vertrag am 26. Mai 1923 einstimmig ratifiziert hat.

Gegenüber der Prophezeiung (Seite 15), dass liechtensteinische Zolldelinquenten zum passiven und aktiven Widerstand gegen die schweizerischen „Landvögte" aufwiegeln und unserer Zollmannschaft ihr Amt nicht eben erleichtern werden, braucht nur auf die Erfahrungen Liechtensteins mit dem österreichischen Zollvertrag und dem schweizerischen Postvertrag hingewiesen zu werden. Es ist eine den Tatsachen widersprechende Behauptung (Seite 5), dass die österreichischen Zollbeamten mit blutigen Köpfen aus dem Lande gejagt worden seien.

2. Die Rechnung.

Zahlen beweisen. Jedoch nur die richtigen Zahlen. Unrichtige Zahlen aber müssen zu unrichtigen Schlüssen führen. Wir wollen die bona fides der Zollvertraggegner in keiner Weise in Zweifel ziehen. Um so mehr rechtfertigt es sich, die Rechnung der erwähnten Broschüre durch zuverlässige Zahlen zu korrigieren, die auf amtlichen Dokumenten beruhen.

a. Das werdenbergische Initiativkomitee behauptet (Seite 16 ff.), unter dem österreichischen Zollvertrag habe jeder Liechtensteiner Kr. 1.93 an Zollgebühr bezahlt. Es gelangt zu diesem erwünschten Resultat, indem es als durchschnittliche Jahreseinnahme der liechtensteinischen Zollämter, mit Ausnahme der Zollämter Buchs, Feldkirch und Bregenz, einen Betrag von Kr. 14,882.10 annimmt und für diese letztern Zollämter einen ungefähren Zuschlag von Kr. 5000.— macht.

Dass dieser Zuschlag ganz gewaltig untersetzt ist, ist für jeden evident, der die Verhältnisse einigermassen kennt. Der statistisch festgestellte Betrag von 14,882.10 Kronen erfasst nach den Angaben der gegnerischen Broschüre selbst nur den schweizerischen Verkehr, und auch diesen nur mit Ausnahme des wichtigsten Zollamtes gegenüber der Schweiz, nämlich Buchs. Es ist nun ohne weiteres einleuchtend, dass während des österreichischen Zollanschlusses ein ganz minimer Teil der liechtensteinischen Bedürfnisse in der Schweiz gedeckt wurde. Wohl mehr als 90 Prozent der Waren hingegen wurden aus Österreich bezogen und nach Österreich geliefert, wo weder Verbote und Beschränkungen, noch auch Ein- und Ausfuhrzölle den Verkehr hemmten und die Waren verteuerten. Überdies erfasst die gesamte Ziffer auch vom schweizerischen Verkehr nur einen Teil, indem eben der grössere Teil der Waren naturgemäss (wegen des Bahnanschlusses, der bessern Einkaufsmöglichkeit usw.) über Buchs ging. Werden diese Faktoren aber richtig eingeschätzt, so gelangt man zu einer Ziffer, welche jedenfalls netto den Betrag von Fr. 150,000.- bedeutend überschreitet.

b. Bestimmte Zahlen können hier leider nicht eingesetzt werden, weil uns namentlich die diesbezügliche Statistik der österreichischen Zollämter nicht bekannt ist. Wenn aber jemand in der Lage war, den Anteil Liechtensteins an den Zolleinnahmen richtig zu bemessen, so war es die österreichische Finanzverwaltung. Und diese dürfte auch nicht im Geruche stehen, dass sie diesen Anteil zugunsten Liechtensteins zu hoch angesetzt habe. Diese österreichische Finanz- und Zollverwaltung hat nun den liechtensteinischen Anteil aus dem Zollvertrag wie folgt angesetzt und ausbezahlt:

1908

Kr. 200,132.81

1909

Kr. 239,880.32

1910

Kr. 217,725.46

1911

Kr. 260,086.96

1912

Kr. 281,874.94

1913

Kr. 264,239.66

1914

Kr. 231.922.16

Der Durchschnitt für diese Jahre ergibt somit eine Summe von Kr. 242,233.14, was damals einen Betrag von zirka 254,000 Schweizerfranken gleichkam. Nicht zu übersehen ist dabei, dass die Berechnungsbasis letztmals im Jahre 1888 festgesetzt worden ist (und zwar im Sinne einer Erhöhung), also in einem Zeitpunkt, in welchem die österreichische Regierung sich auf eine 36jährige Erfahrung und wahrscheinlich auch auf statistisches Material stützen konnte. Mit einer „eigentümlichen Verrechnungsweise" lässt sich diese Tatsache sicher nicht erklären, da ja dieselbe 36 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages letztmals den gemachten Erfahrungen angepasst worden ist.

c. Dass diese Summe eher zu niedrig als zu hoch bemessen ist, bestätigen ferner auch die Erfahrungen, welche Liechtenstein mit seinem eigenen Zolltarif gemacht hat. Die liechtensteinischen Zolleinnahmen betragen nämlich pro 1922 Fr. 151,448.38 und für die ersten sechs Monate des laufenden Jahres Fr. 72,962.63 Durchschnittlich kann also mit rund Fr. 150,000.- gerechnet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die liechtensteinischen Zollansätze bedeutend niedriger sind als die schweizerischen und viele Positionen überhaupt zollfrei sind. Überdies umfasst die im Zollvertrag vorgesehene Pauschale von Fr. 150,000.- auch einen Anteil an den Alkoholeinnahmen, zu welchen Liechtenstein seinen Anteil ebenfalls leisten muss.

Berechnet man die Zolleinnahmen nach dem liechtensteinischen Verkehr unter Zugrundlegung der schweizerischen Ansätze, so ergibt sich nach der Berechnung des Herrn Dr. Lorenz eine Netto-Einnahme von jährlich Fr. 380,000.-, wobei aber für den Anteil am Alkoholmonopol, welcher regelmässig aktiv ist, nichts berechnet ist.

d. Endlich soll die Rechnung noch nach der Methode der eidgenössischen Oberzolldirektion, welcher Sachunkenntnis und Voreingenommenheit zugunsten Liechtensteins sicher nicht vorgeworfen werden können, durchgeführt werden: Berechnung des Anteils proportional der Bevölkerung, mit besondern Abzügen für die Berücksichtigung der besondern Verhältnisse.

Die Oberzolldirektion ging aus von einer Durchschnittsbelastung von Fr. 20.- pro Kopf der schweizerischen Bevölkerung. Davon wurden 25 Prozent abgezogen für verminderte Konsumkraft der liechtensteinischen Bevölkerung. Und ferner wurde ein Abzug von zirka Fr. 60,000.- gemacht für vermehrte Verwaltungskosten, da damals mit einer Erhöhung des Personals um 12 Mann gerechnet worden war. Auf diesem Wege gelangte sie zu einer Netto-Anteilsumme für Liechtenstein von Fr. 150,000.- pro Jahr.

Gegen diese Verrechnungsweise wendet das gegnerische Komitee ein, die Bevölkerung Liechtensteins sei mit 11.565 Personen angenommen, während sie in Wirklichkeit nur 8034 betrage.

Nach unseren Erkundigungen umfasst die erstgenannte Zahl allerdings die Bevölkerung mit Einschluss der auswärtigen Liechtensteiner, während die ortsanwesende Bevölkerung 8841 Personen ausweist, jedoch nicht bloss 8034, wie die gegnerische Broschüre angibt. Die Zahl von 11,565 ist von den liechtensteinischen Behörden nach der Methode ermittelt worden, welche für die Bemessung des Anteils beim österreichischen Zollvertrag Geltung hatte. Übrigens soll die Oberzolldirektion nicht mit dieser Zahl, sondern mit einer Durchschnittsbevölkerung von 10,000 Personen gerechnet haben. Aber auch wenn man die ortsanwesende Bevölkerung mit 8841 Personen annimmt, so entfällt auf den liechtensteinischen Konsum immer noch eine Nettosumme, die Fr. 150,000.- wesentlich übersteigt, sofern man billigerweise auch diejenigen Momente berücksichtigt, welche günstiger sind, als die Oberzolldirektion sie vorsichtshalber angenommen hatte.

Bevor wir zur diesen übergehen, seien jedoch noch zwei weitere Einwände der Gegner erwähnt. Vor allem wird eingewendet, dass nach dem Zollanschluss die Waren aus dem Fürstentum, welche in die Schweiz eingeführt werden, dem Schweizerzoll nicht mehr unterliegen. Auf Grund einlässlicher und vorsichtiger Berechnungen gelangt Dr. Lorenz hier auf eine Summe von maximal Fr. 35,000.- pro Jahr.

Endlich wollen die Anschlussgegner noch einen Abzug dafür machen, „dass ein grosser Teil der Waren aus der Schweiz bezogen und dafür auch der Schweizerzoll bezahlt würde". Bei aller Respektierung des kaufmännischen Standpunktes muss doch anerkannt werden, dass auch dieser Zoll effektiv von der liechtensteinischen Bevölkerung getragen wird. Der Billigkeit würde ein solcher Abzug daher wohl nicht entsprechen.

Andererseits aber ist zu beachten, dass sich die Verhältnisse inzwischen in zwei Punkten bedeutend zugunsten der Schweiz verändert haben.

Die Oberzolldirektion hatte ihre Rechnung basiert auf eine Netto-Einnahme aus Zöllen im Betrage von 70 Millionen Franken (Durchschnitt der Jahre 1917 bis 1921). Im vergangenen Jahre betrugen die Zolleinnahmen aber tatsächlich 163,6 Millionen Franken und im laufenden Jahre werden sie aller Voraussicht nach noch höher sein. Dazu kommen in Normalzeiten beträchtliche Beträge aus der Alkoholverwaltung.

Und sodann hat die Oberzolldirektion bei ihrer neuesten Grenzbegehung (während zirka acht Tagen) festgestellt, dass mit einer Personalvermehrung kaum gerechnet werden muss, während bei der Berechnung der Pauschalentschädigung eine Vermehrung um zwölf Mann angenommen worden ist.

Berücksichtigt man alle diese Punkte, so ergibt sich nach der Methode der Oberzolldirektion die Rechnung:

Zolleinnahmen pro 1922 netto 145 Millionen Franken

 

 

Zolleinnahmen pro Kopf der Bevölkerung 41,3 Fr.

 

 

Zolleinnahmen auf 8841 Einwohner 

 

365,000.-

Abzug 25% für verminderte Kaufkraft

91,000.-

 

Abzug für vermehrte Verwaltungskosten

10,000.-

 

Abzug Zollausfall

35,000.-

136,000.-

Bleiben netto

 

Fr. 229,000.-

Alle diese Verrechnungsarten führen zu ähnlichen Ergebnissen. Jedenfalls aber dürfte aus ihnen eines mit Sicherheit hervorgehen, nämlich dass sich für unser Budget nicht „eine jährlich wiederkehrende Unterbilanz von einigen hunderttausend Franken" ergibt, wie die Anschlussgegner behaupten (Seite 19), sondern dass die Pauschalentschädigung von Fr. 159,669.- weit mehr als aufgewogen wird durch die Einnahmen an Zöllen und Alkoholabgaben aus dem liechtensteinischen Gebiet.

3. Die neue Zollgrenze.

(Vergleiche hiezu die beigeheftete Karte.)

Alte Zollgrenze:

 

 

Sennwald-Sargans

27,5 Km.

 

Sargans-Naafkopf

10 Km.

37,5 Km.

Neue Zollgrenze:

 

 

Sennwald-Naafkopf

 

33 Km.

Die neue Linie ist kürzer

 

4,5 Km.

Aus der Karte und dem Text (Seite 29 oben) der gegnerischen Broschüre könnte man glauben, der Zollanschluss bringe eine Verlängerung der Grenze. Und dieser Schluss ist denn in der Presse auch wirklich gezogen worden, in der irrtümlichen Annahme, dass die Strecke Sargans-Naafkopf nicht zur alten Zollinie gehöre, wohl aber zur neuen. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt, indem die alte Zollinie sich zusammensetzt aus zwei Seiten des Dreieckes, welches das Fürstentum bildet, während die neue Zollinie nur aus der dritten Seite besteht. Es ergibt sich daher schon rein theoretisch eine Verkürzung der Zollinie um 4,5 Km. Praktisch ist die Verkürzung aber doch ziemlich grösser, da die neue Zollinie nicht den vielen Windungen folgt, in denen die politische Zollinie sich über die Bergkämme windet. Die neue Zollinie ist also nicht länger als die alte, sondern wesentlich kürzer.

Die neue Zollgrenze ist aber auch besser geeignet zur Abwehr des Schmuggels als die alte. Dieser Satz der Botschaft, der sich auf mehrfache und eingehende Prüfung durch die Zollbehörden stützen kann, soll allerdings nach der Behauptung der Broschüre beim gesamten ortskundigen Zollpersonal und der Grenzbevölkerung förmliche Bestürzung ausgelöst haben.

Was die Zollbehörden anbelangt, so genügt es, darauf hinzuweisen, dass alle Instanzen nach gründlicher Prüfung der Frage sich im gegenteiligen Sinne ausgesprochen haben. Und auch die Grenzbevölkerung, welche die Verhältnisse kennt, ist vom Gegenteil überzeugt.

Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass der Rhein dem Schmuggel kein allzu grosses Hindernis ist. Im Winter kann er leicht durchwatet und im Sommer mit allen möglichen Fahrzeugen durchquert werden, und mit seinen hohen, von Erlen und Gesträuch überwachsenen Dämmen deckt er den Schmuggler in vorzüglicher Weise.

Die neue Zollinie dagegen führt zum grossen Teil über Bergkämme, welche im Winter und zum Teil auch im Sommer überhaupt nicht passiert werden können. Der übrige Teil ist infolge der günstigen Bodengestaltung so übersichtlich, dass er von einem Wachtposten im Steg mit verhältnismässig wenig Personal wirksam überwacht werden kann. Dazu kommt, dass die Entfernung der Zollinie von den nächsten Ortschaften beiderseits sehr gross ist, sodass auch durch diesen Umstand der Schmuggel wesentlich erschwert wird.

Die Erfahrung hat denn auch gelehrt, dass der Schmuggel über den Rhein viel leichter ist als über die Bergkämme. Trotzdem die Rheingrenze sehr intensiv bewacht war, während die Bergkämme nur wenig geschützt waren, ging der grösste Teil der geschmuggelten Waren über den Rhein. Es bestätigt sich hier die auch andernorts gemachte Erfahrung, dass eine nasse Grenze den Schmuggel eher begünstigt als verhindert.

Schwieriger ist allerdings die Strecke vom Rhein bei Bangs bis Schaanwald zu überwachen, da sie leicht begehbar ist. Dagegen ist es unzutreffend, dass diese Strecke auch sehr unübersichtlich ist. Vielmehr kann gesagt werden, dass beinahe die ganze Strecke von einem einzigen Punkt aus überblickt werden kann, da es sich mit Ausnahme der Strecke über den Schellenberg um offenes Streueland mit wenig Bäumen und Gebüsch handelt. Andererseits aber wird der ganze Nachteil reichlich kompensiert durch die Tatsache, dass durch den Zollanschluss die noch längere Strecke Sargans-Naafkopf in Wegfall kommt, ein Gebiet, das mit viel mehr Berechtigung als ein Dorado für den Schmuggel bezeichnet werden kann. Jedenfalls ist dieses Gebiet ebenso leicht begehbar wie die Strecke Rhein-Schaanwald, und dabei ist sie zweifellos viel unübersichtlicher als jene. Die eidgenössischen Zollorgane sind denn auch bei der neuesten Grenzbegehung zum Schlusse gelangt, dass eine Vermehrung des Zollpersonals kaum nötig sein werde, trotzdem bei der Bemessung des liechtensteinischen Anteils an den Zolleinnahmen 12 Mann verrechnet worden sind.

Die neue Zollgrenze ist also nicht nur kürzer, sondern auch günstiger. Jedenfalls aber ist durch die Reserve von 12 Mann alle Gewähr für eine wirksame Bewachung der neuen Grenze geboten. Für die Schweiz ist aber der Zollanschluss die beste Gelegenheit, dem Schmuggel zu Leibe zu rücken.

III. Der Gegenvorschlag.

Auf Grund der besprochenen Einwände gelangt das gegnerische Initiativkomitee (Seite 21) dazu, die vertragliche Vereinbarung eines Zonenregimes mit gegenseitig bevorzugtem kleinem Grenzverkehr vorzuschlagen. Der kleine Grenzverkehr soll, nach diesem Gegenvorschlag, wiederhergestellt werden wie er vor dem Kriege war. Auf Produkte, die nachweisbar liechtensteinischen Ursprungs sind, sollen keine Einfuhrverbote Anwendung finden und für die liechtensteinischen Hauptprodukte die Zölle auf ein Minimum reduziert oder ganz aufgehoben werden. Auch der übrige Verkehr (Personen, Fuhrwerk usw.) wäre möglichst zu erleichtern. Alles unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

Nachdem wir die Haltlosigkeit der gegnerischen Einwände dargetan haben, fällt auch dieser Gegenvorschlag ohne weiteres als unmotiviert dahin. Dennoch sei uns gestattet, auf einige besondere Bedenken hinzuweisen, welche derselbe wachruft.

Eine grosse Gefahr haben selbst die Gegner nicht ignorieren können, nur versuchen sie, dieselbe möglichst harmlos hinzustellen: nämlich die Rückwirkungen einer solchen Bevorzugung auf die andern Handelsverträge infolge der Meistbegünstigungsklausel. Die Handelsverträge mit den meisten Staaten, namentlich aber mit den Grossstaaten, enthalten nämlich eine Klausel, die der folgenden, aus dem Handelsvertrag mit dem Deutschen Reiche vom Jahre 1904 entnommen, im wesentlichen entspricht:

„Die beiden vertragschliessenden Teile verpflichten sich demgemäss, jedes Vorrecht und jede Begünstigung, welche sie in den gedachten Beziehungen einer dritten Macht bereits zugestanden haben oder in der Folge zugestehen möchten, insbesondere jede Ermässigung der Eingangs- und Ausgangsabgaben, gleichmässig auch dem andern vertragschliessenden Teile gegenüber ohne irgendwelche Gegenleistung in Kraft treten zu lassen."

Was soll aus unsern Schutzzöllen für Nutzvieh, Schlachtvieh, Wein, Holz usw. werden, wenn unsere grossen Nachbarstaaten auf Grund ihrer Verträge ebenfalls ungehinderte oder gar zollfreie Einfuhr verlangen? Der Ausfall an Zolleinnahmen allein würde mehr als das Hundertfache der Summe ausmachen, welche Liechtenstein auf Grund des Zollvertrages beziehen soll. Ob alle Staaten so leichten Sinnes bereit sein werden, auf diesen Vorteil zu verzichten, vermögen wir nicht zu beurteilen.

Im weitern ist zu beachten, dass der Eidgenossenschaft auf diese Weise die Einfuhrzölle auf den liechtensteinischen Waren verloren gingen. Wie hoch die Gegner diesen Ausfall einschätzen, ist nicht leicht festzustellen. Auf Seite 27 der Broschüre, wo es sich um die Empfehlung ihres Gegenvorschlages handelt, wird ausgeführt, dass die entfallenden Zölle „gleich Null" seien, ja dass sie sogar, genau besehen, „eine negative Grösse" seien. An anderer Stelle dagegen (Seite 18), wo es darauf ankommt, den Zollanschluss als ein schlechtes Geschäft hinzustellen, wird dieser Ausfall als eine immerhin erwähnenswerte Grösse behandelt. Unsererseits ist diese Summe bei der Berechnung des liechtensteinischen Pauschalanteils mit Fr. 33,000.- angesetzt. Bei Annahme des Gegenvorschlages wäre nun dieser Ausfall ein reiner Passivposten, dem kein Aktivum gegenüberstände. Die rechnerische Grundlage der Botschaft erweist sich auch hier viel zuverlässiger als diejenige der gegnerischen Broschüre.

Ebenso verhält es sich mit Bezug auf die Konkurrenzierung der schweizerischen Landwirtschaft durch das liechtensteinische Vieh. Es ist klar, dass der liechtensteinische Bauer konkurrenzfähiger ist, wenn er sein Vieh zollfrei in die Schweiz aus einem Land mit geringern Lebenskosten einführen kann, als wenn er selbst unserem Zollgebiet mit höhern Lebenskosten angehört.

Ebenso bedenklich sind auch die indirekten Wirkungen, die eine solche Vereinbarung auslösen müsste. Es ist kaum zu erwarten, dass die liechtensteinische Volkswirtschaft ohne Anlehnung an ein grösseres Wirtschaftsgebiet sich auf die Dauer erhalten könnte. Ein neuerlicher Anschluss an Österreich wird kaum in Frage kommen. Mit jedem andern Staate aber müsste eine Wirtschaftseinheit Liechtensteins für uns recht unangenehme Folgen haben. Auf die Nachteile der Errichtung eines Freilagers an unserer Grenze hat bereits die Botschaft genügend hingewiesen. Endlich wird auch die Gefahr der Errichtung einer Spielhölle nicht ausser Acht gelassen werden dürfen. Wenn auch Liechtenstein das letzte — verlockende — Angebot aus eigenem Willen abgelehnt hat, so wäre es doch nicht ausgeschlossen, dass ein solches Institut als letzter Rettungsanker doch noch zugelassen würde.

IV. Rekapitulation.

Wir hoffen damit dargetan zu haben, dass die gegnerischen Einwendungen gegen den Zollanschluss Liechtensteins unbegründet sind. Es handelt sich nicht nur um einen freundnachbarlichen Dienst, den die Schweiz ihrem kleinen Nachbar in der Not ohne Gefährdung ihrer eigenen Interessen gewähren kann. Vielmehr hat auch die Schweiz ein selbständiges Interesse am Zustandekommen dieses Vertrages, und wäre es auch nur das negative Interesse, dass eine getrennte Zollbehandlung in Feldkirch und Buchs nötig wird, und dass Liechtenstein nicht gezwungen ist, seine Existenzmöglichkeit auf andere Weise zu sichern, die uns — trotz den besten Absichten der Liechtensteiner — vielleicht weniger angenehm sein könnten.

Die Schweiz hat daher allen Grund, den Vertrag anzunehmen. Zu einer Hinausschiebung besteht umso weniger Veranlassung, als die rechtliche und tatsächliche Lage gerade mit Bezug auf das österreichische Zollamt in Buchs sich dadurch nur verbessert.

Die Geschichte der Schweiz ist reich an verpassten Gelegenheiten. Soll sie heute wiederum um eine solche vermehrt werden?

Die Geschichte der Schweiz ist auch reich an humanitären Werken. Würde das Schweizervolk es begreifen, wenn die eidgenössischen Räte diesen Vertrag ablehnen und das kleine Fürstentum an unserer Ostgrenze, dem wir ein stilles Plätzchen an der Sonne gerne gönnen, damit in schwere Existenzsorgen stossen würden? Wir glauben das nicht und empfehlen deshalb die

Annahme des liechtensteinischen Zollvertrages.

Altstätten, im Oktober 1923.

Namens des Komitees für den Zollanschluss Liechtensteins:

Dr. Schöbi-Rusch.

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[1] Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschlussfreunde. Hrsg. von Dr. Josef Schöbi im Namen des Komitees für den Zollanschluss Liechtensteins. Altstätten, Buchdruckerei "Rheintalische Volkszeitung, 1923, 21 Seiten mit einer Karte. LiLB  FL X 3299 KGS