Gedruckter, im Schweizerischen Bundesblatt publizierter Bericht, gez. Bundesrat Edund Schulthess und Bundeskanzler Adolf von Steiger [1]
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Übereinkommen zwischen der Schweiz und Liechtenstein über die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein.
(Vom 17. November 1920.)
Das vorliegende Übereinkommen, auf Grund dessen die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein von der eidgenössischen Verwaltung übernommen wird, stellt den Beginn einer vertraglichen Regelung dar, mittels welcher der kleine Nachbarstaat an unserer Ostgrenze in wirtschaftlicher Hinsicht bei der Schweiz die Anlehnung und den Rückhalt sucht, die ihm früher von der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gewährt worden sind.
Bei einer Ausdehnung von 159 km2 und einer beinahe ausschliesslich bäuerlichen Bevölkerung von ungefähr 10,000 Seelen wäre es für das Fürstentum ausserordentlich schwierig, auch in bezug auf Verkehrseinrichtungen und Wirtschaftspolitik eine selbständige Stellung einzunehmen, so dass es sich mehr oder weniger darauf angewiesen sieht, die Wahrnehmung seiner wirtschaftlichen Interessen wenigstens teilweise einem Nachbarstaate zu übertragen. Bis in die jüngste Vergangenheit war mit dieser Aufgabe die alte Donaumonarchie betraut gewesen, die dazu berufen war durch die Jahrhunderte alten Beziehungen, die das Haus Liechtenstein mit den österreichischen Erblanden verbanden. Im 17. Jahrhundert hatte sich die österreichische Regierung veranlasst gesehen, mit dem fürstlichen Hause Liechtenstein in Verbindung zu treten, um ihm nahezulegen, sein seit 1633 in Mähren bestehendes souveränes Fürstentum an die Peripherie des Reiches zu verlegen. Im Zusammenhang mit diesem politischen Druck kauften die Fürsten von Liechtenstein 1699 die reichsunmittelbare Herrschaft Schellenberg und 1712 Vaduz, welche vereint am 23. Januar 1719 zum reichsunmittelbaren Fürstentum Liechtenstein erhoben wurden [2], das fortan seine völlige Unabhängigkeit gegenüber Österreich behauptet hat. In kirchlicher Beziehung gehört es von altersher zum Bistum Chur.
Mit Österreich-Ungarn ging das Fürstentum mit Staatsvertrag vom 5. Juni 1852 den sog. Österreichisch - Liechtensteinischen Zoll- und Steuerverein [3] ein, der am 3. Dezember 1876 in modifizierter Fassung erneuert wurde und erst durch die Auflösung der Doppelmonarchie sein Ende fand. Gemäss Art. 1 dieses Vertrages übernahm Liechtenstein "das System der Zölle, Staatsmonopole, Verzehrungssteuern und Stempel auf Kalender, Zeitungen und Spielkarten, wie solches im Lande Vorarlberg auf Grund der diesfälligen Gesetze und der darauf bezüglichen Vorschriften und Einrichtungen gegenwärtig besteht oder in der Folge bestimmt werden sollte". Seine Ergänzung fand dieser Vertrag durch ein Übereinkommen, durch welches die Führung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum der k. k. österreichischen Postverwaltung übertragen wurde (Übereinkommen vom 4. Oktober 1911) [4], sowie durch den Staatsvertrag vom 19. Januar 1884 bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum Liechtenstein [5]. Ferner hatte Liechtenstein mit Münzvertrag vom 24. Januar 1857 die österreichische Geld Währung eingeführt. Alle diese Verträge waren auf eine bestimmte Anzahl von Jahren abgeschlossen und konnten unter Innehaltung einer gewissen Frist gekündigt werden.
Als im November 1918 die österreichisch-ungarische Monarchie zusammenbrach, übten, im Einvernehmen mit der liechtensteinischen Regierung, die in Betracht kommenden Verwaltungen der deutschösterreichischen Republik im Fürstentum provisorisch die vertraglichen Funktionen aus, die früher der k. k. Verwaltung zugestanden hatten. Im Frühjahr 1919 entsandte darauf die fürstliche Regierung, unter dem Drucke der zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnisse der österreichischen Republik und einem lebhaften Wunsche des Landtages und der Liechtensteiner Bevölkerung Folge gebend, den damaligen Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein nach Bern, der beim politischen Departement das Ersuchen zum Ausdruck brachte, mit der Schweiz in Unterhandlungen über den Abschluss von Verträgen zwischen der Schweiz und dem Fürstentum, in Bezug auf Zoll-, Post- und Justizwesen einzutreten. Der Bundesrat hat den Vorschlag der liechtensteinischen Regierung wohlwollend geprüft und zum Studium der Frage eine Kommission, bestehend aus Vertretern der beteiligten Departemente, bestellt, die Ende Januar 1920 in einer Konferenz mit liechtensteinischen Delegierten die ganze Angelegenheit einer gründlichen Besprechung unterwarf. Anschliessend an diese Konferenz richtete die liechtensteinische Regierung, auf Grund eines vom Landesfürsten genehmigten Beschlusses des liechtensteinischen Landtages vom 30. Januar 1920, am 16. Februar 1920 an den Bundesrat das Ansuchen, Verhandlungen wegen Abschlusses eines Zollvertrages zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein einzuleiten. In einem zweiten Antrag vom 2. Februar 1920 wurde der Bundesrat angefragt, ob er geneigt wäre, einer Übernahme der liechtensteinischen Post durch die schweizerische Postverwaltung auch dann zuzustimmen, wenn ein schweizerisch-liechtensteinischer Zollvertrag noch nicht in Kraft bestände.
Der Bundesrat hat mit Beschluss vom 26. März 1920 den Begehren der liechtensteinischen Regierung in der Weise entsprochen, dass er das Finanz- und Zolldepartement, wie auch das Post- und Eisenbahndepartement ermächtigte, die erforderlichen Arbeiten zwecks Abschlusses eines Zoll- und eines Postvertrages mit Liechtenstein an die Hand zu nehmen. Wie es der Bundesrat bereits im Herbst 1919 anlässlich der Übernahme der diplomatischen Vertretung Liechtensteins im Auslande getan hatte, liess er sich bei seiner Stellungnahme vorab von der Erwägung leiten, dass es der Schweiz wohl anstehe und auch in ihrem Interesse liege, dem in Bedrängnis befindlichen Nachbarländchen den nachgesuchten Beistand nicht zu versagen und den Beweis hohen Zutrauens, den es unserm Lande bezeugt hat, im Geiste freundschaftlichen Entgegenkommens zu würdigen. Die Schweiz braucht sich auch keinen Befürchtungen hinzugeben, durch Abschluss von Verträgen mit Liechtenstein in politische Schwierigkeiten etwa mit der Republik Österreich zu geraten. Liechtenstein hat, wie oben ausgeführt, als vollkommen unabhängiges Staatswesen zum Abschluss von Verträgen freie Hand. Auch der Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye anerkennt übrigens das Fürstentum Liechtenstein als einen von der Republik Österreich unabhängigen, selbständigen Staat, wie aus Art. 27 des Vertrages hervorgeht, der folgendermassen beginnt:
„Die Grenzen Österreichs werden wie folgt festgesetzt (vergleiche die beigefügte Karte):
1. Gegen die Schweiz und gegen Liechtenstein: die gegenwärtige Grenze.“
Was das bisherige Vertragssystem zwischen Österreich-Ungarn und Liechtenstein anbelangt, so ist es ausser Kraft gesetzt und durch rein provisorische Abmachungen zwischen Liechtenstein und Österreich ersetzt worden. Irgendwelche Unannehmlichkeiten sind der Schweiz auch aus der Vertretung liechtensteinischer Interessen im Auslande bisher nicht entstanden und dürften auch kaum entstehen.
Als Grundlage des neuen vertraglichen Verhältnisses zwischen der Schweiz und Liechtenstein ist der Zollvertrag gedacht. Doch da einerseits die liechtensteinische Regierung in einer baldigen Übergabe des Postbetriebes an die schweizerische Verwaltung die Möglichkeit erblickt, die Einführung der Frankenwährung zu beschleunigen, weil in diesem Falle liechtensteinische Postwertzeichen in Frankenwährung in Vertrieb gebracht werden könnten und damit eine für das Fürstentum, angesichts der Nachfrage in philatelistischen Kreisen nicht unbedeutende Frankeneinnahme geschaffen würde, und da anderseits die Vorarbeiten zur Ausarbeitung des Zollvertrages weitschichtig und zeitraubend sind, so glaubte der Bundesrat, mit dem Abschluss des Postabkommens nicht bis zur Fertigstellung des Zollvertrages zuwarten zu sollen.
Mit Bezug auf die einzelnen Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens, das für unsere Post-, Telegraphen- und Telephonverwaltung im übrigen nicht von grosser Tragweite ist, sei hervorgehoben, dass diesen Verwaltungen hieraus weder finanzielle Vor- noch Nachteile erwachsen, indem Betriebsüberschüsse dem Fürstentum Liechtenstein zufallen und Betriebsverluste von diesem zu decken sind (Art. 18 des Übereinkommens). Nach Art. 19 haben die Vertragsparteien ferner das Recht, das Übereinkommen unter Einhaltung einer halbjährigen Kündigungsfrist je auf 1. Januar oder 1. Juli eines Kalenderjahres zu kündigen.
Gemäss den Bestimmungen des Art. 4 gedenkt die liechtensteinische Regierung zur Wahrung ihrer Hoheitsrechte die Post-, Telegraphen- und Telephonämter in Liechtenstein als „Fürstlich- Liechtensteinische"' zu bezeichnen und diese Bezeichnung auch in den Aufschriften, Stempeln und Amtssiegeln beizubehalten. Ferner wird sie gemäss Art. 5 auf eigene Kosten besondere Postwertzeichen herstellen lassen.
In Liechtenstein bestehen zurzeit:
a. Post- und Telegraphenämter II. Klasse in Vaduz und Schaan;
b. Post- und Telephonamt II. Klasse in Eschen;
c. Post- und Telegraphenämter III. Klasse in Triesen und Balzers und
d. Postablagen in Blanken (Post Schaan) und Mauren (Post Eschen).
Die Ortschaften Klein-Mels, Triesenberg, Nendeln, Bendern und Rugell haben keine Postanstalt; sie werden von Balzers, Vaduz und Eschen bedient.
Endlich ist zu Art. 10 zu bemerken, dass der Postsparkassendienst in Liechtenstein durch Vermittlung der österreichischen Postverwaltung schon bisher bestand und daher nicht wohl aufgehoben werden konnte, obwohl er in der Schweiz noch nicht eingeführt ist.
Die schweizerische Post-, Telegraphen- und Telephonverwaltung wird die nähern Ausführungsbestimmungen und Bekanntmachungen betreffend dieses Übereinkommen nach dessen Ratifikation erlassen, damit eine reibungslose Besorgung und Durchführung jener Dienstzweige im gegenseitigen schweizerisch-liechtensteinischen Verkehr gesichert ist.
Wir empfehlen Ihnen das Übereinkommen zur Ratifikation und beantragen Ihnen, den beigeschlossenen Beschlussentwurf anzunehmen.
Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.
Bern, den 17. November 1920.
Im Namen des Schweiz. Bundesrates.
Der Vizepräsident
Schulthess.
Der Bundeskanzler
Steiger.