Das Liechtensteiner Volksblatt informiert über die neuen Strassenverkehrsbestimmungen (u.a. Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h inner- und 45 km/h ausserorts).


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

22.6.1906

Verkehrswesen. Die am 18. Juni des Jahres im Landesgesetzblatt erschienene Verordnung betreffend den Betrieb von Automobilen und Motorrädern [2] enthält in 27 Paragraphen alle jene Bestimmungen, die hierlands auf Kraftfahrzeuge, welche öffentliche Verkehrswege befahren, Anwendung finden. Wir heben aus diesen Bestimmungen nachstehende wichtigere Anordnungen hervor. Im öffentlichen Strassenverkehr dürfen hierland nur solche Kraftfahrzeuge benützt werden, die entweder in Österreich nach Massgabe der dortigen Ministerialverordnung vom 27. September 1905 [3] oder in einem andern ausländischen Staate, der ähnliche Vorschriften über Prüfung der Kraftfahrzeuge besitzt, behördlich geprüft und zum Verkehr zugelassen worden sind. Jedermann, der hierlands ein Kraftfahrzeug durch drei Tage benützt, muss das Zertifikat über Prüfung und Genehmigung des benützten Kraftfahrzeuges der fstl. Regierung zur Vidierung vorlegen. Personen unter 18 Jahren sind von der selbständigen Lenkung eines Kraftfahrzeuges ausgeschlossen. Mehr als einspurige Kraftfahrzeuge dürfen nur von Personen gelenkt werden, die entweder die Fahrlizenz für Österreich nach Massgabe der betreffenden Ministerialverordnung oder das behördliche Zertifikat eines andern, ähnliche Vorschriften über Lenkung von Kraftfahrzeugen besitzenden ausländischen Staates über ihre bezügliche Befähigung erlangt haben. Nach dreitägiger Benützung eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges in Liechtenstein ist die betreffende Fahrlizenz der fürstlichen Regierung zur Vidierung vorzulegen. Aus besondern sicherheitspolizeilichen Rücksichten kann der Betrieb eines Kraftfahrzeuges oder die Ausübung einer Fahrlizenz jederzeit untersagt werden. Die Kraftfahrzeuge müssen mit den der vorerwähnten Ministerialverordnung entsprechenden behördlichen Erkennungszeichen versehen sein. Die österr. Vorschriften über die Erkennungszeichen sind im Anhange zur Regierungsverordnung abgedruckt.

Von den Sicherheitsvorschriften für den Verkehr verdienen die folgenden besonders erwähnt zu werden. Die Fahrgeschwindigkeit ist so zu wählen, dass der Lenker Herr seiner Geschwindigkeit bleibt und die Sicherheit der Person und des Eigentums nicht gefährdet wird. Der Lenker des Fahrzeuges hat die Fahrgeschwindigkeit zu mässigen, nötigenfalls auch stehen zu bleiben, wenn durch sein Fahrzeug Unfälle oder Verkehrsstörungen hervorgerufen werden könnten. Diese Vorsichten sind insbesondere auch beim Herannahen von bespannten Fuhrwerken oder von Viehtrieben zu beobachten. Die Fahrgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften darf keinenfalls grösser sein als 15 Kilometer und ausserhalb geschlossener Ortschaften nicht grösser als 45 km für je eine Stunde. Keinenfalls schneller als 6 km für je eine Stunde (Tempo eines Pferdes im Schritt) darf gefahren werden, wenn nebliges Wetter die Fernsicht verhindert, an Stellen, wo die Strasse nicht überblickt werden kann, insbesondere bei Kreuzungen, bei starken Strassenkrümmungen, beim Einfahren in Tore, Herausfahren aus Häusern, dann auf Brücken, in schmalen Gassen, bei starkem Verkehre und bei grössern Menschenansammlungen.

Bei Eintritt der Dunkelheit und solange dieselbe anhält oder wenn Nebel die Fernsicht beeinträchtiget, muss bei allen auf öffentlichen Verkehrswegen befindlichen Kraftfahrzeugen das Licht in den Signallaternen brennen. Der Lenker eines Kraftfahrzeuges hat das amtliche Zertifikat über die Genehmigung des Fahrzeuges, das Lenker-Zertifikat und die die Erkennungszeichen enthaltende Ausfertigung auf der Fahrt stets auf sich zu führen und auf behördliches Verlangen vorzuweisen, ist auch verpflichtet, auf Verlangen der Sicherheits- und Strassenaufsichtsorgane sofort anzuhalten. Entspricht er diesem Verlangen nicht, so sind unverzüglich die geeigneten Mittel zu ergreifen, um die Anhaltung zu bewerkstelligen; nötigenfalls sind die Ortsvorsteher und die Sicherheitsorgane der in der Richtung der Fahrt gelegenen Nachbarsgemeinden auf telephonischem Wege zu veranlassen, die Anhaltung zu bewirken. Wettfahrten mit Kraftfahrzeugen sind verboten; desgleichen ist das Befahren der Bergstrassen, der engen Dorfgassen und der Feldwege mit mehr als einspurigen Kraftfahrzeugen untersagt. Ausnahmen von diesen Bestimmungen kann nur die fstl. Regierung bewilligen. Übertretungen der Vorschriften, die mit 1. Juli 1906 in Wirksamkeit treten, werden nach der politischen Vollstreckungsverordnung vom 9. Dezember 1858 [4] bestraft.

Wir haben hier die wichtigsten Bestimmungen der bezeichneten Verordnung wiedergegeben und verweisen die Interessenten im übrigen auf die Nummer 2 unseres Landesgesetzblattes. Wir wollen hoffen, dass die Bestimmungen der den Automobilverkehr regelnden Verordnung genau beachtet werden und dass auch die berufenen Gemeindeorgane ihrer Pflicht, bei der Durchführung der Verordnung mitzuwirken, nachkommen werden. Im übrigen können wir die Erlassung dieser Verordnung, welche einem wirklichen Bedürfnisse entspricht, nur wärmstens begrüssen.

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[1] L.Vo. 22.6.1906, S. 1.
[2] Verordnung vom 18.6.1906 betreffend den Vertrieb von Automobilen und Motorrädern, LGBl. 1906 Nr. 2. Die Verordnung rezipiert die österreichische Ministerialverordnung vom 27.9.1905 (vgl. Anm. 3), wobei die Abschnitte über die Zulassung der Fahrzeuge und die Fahrprüfungen radikal vereinfacht wurden.
[3] Verordnung des Ministeriums des Innnern im Einvernehmen mit dem Finanzministerium vom 27. September 1905 betreffend die Erlassung sicherheitspolizeilicher Bestimmungen für den Betrieb von Automobilen und Motorrädern. RGBl. 1905 Nr. 152. Online in Alex Historische Rechts- und Gesetzestexte.
[4] Verordnung vom 9.12.1858 betr. die Amtsgewalt des fürstlichen Regierungsamtes bei der Vollstreckung von Verfügungen oder Erkenntnissen.