Maschinenschriftliches Schreiben mit handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Legationssekretär Alfred von Baldass, an die liechtensteinische Regierung [1]
30.1.1920, Wien
Heute Vormittag erschien Sektionsrat Hardt-Strehmayer [Hardt-Stremayer] in der fürstlichen Gesandtschaft, um im Namen des Staatsamtes für Verkehrswesen und im Namen des Staatsamtes für Äusseres in folgender Angelegenheit Beschwerde zu führen.
Das Staatsamt für Verkehrswesen wurde von der Staatsbahndirektion in Innsbruck verständigt, dass den auf Liechtensteinischen Boden befindlichen Staatsbahnbediensteten (cirka 60 Personen) die Exsistenz im Fürstentume durch die Haltung sämtlicher Geschäftsleute und Verkäufer – besonders hervorgehoben wurde das diesbezügliche Verhalten der Apotheker –, welche ihre Waren nur gegen Frankenzahlung abgeben wollen, aufs Schwerste bedroht ist. [2] Da die österreichische Regierung nicht in der Lage ist, die Gehalte der im Fürstentum Dienst tuenden Beamten und Angestellten in Frankenwährung auszubezahlen, würde sich die österreichische Regierung, sofern nicht binnen längstens 8 Tagen diesbezüglich Remedure geschaffen wird, gezwungen sehen, die Eisenbahnbediensteten aus dem Fürstentum zurückzuziehen und die Züge auf der liechtensteinischen Strecke nicht mehr halten zu lassen. Das Staatsamt für Verkehrswesen wird um den Bediensteten die Exsistenz sicher zu stellen, bis zum 6. Februar durch besondere Beihilfen diesen den Ankauf der Lebensmittel u.s.w. in Frankenwährung zu ermöglichen [suchen]. Auf die Dauer ist sie [!] sowohl aus finanziellen Gründen und wegen der Konsequenzen, die dies für die Angestellten in Vorarlberg zur Folge hätte, nicht in der Lage, dies zu tun, und würde daher zu dem genannten Zeitpunkt die Angestellten aus dem Fürstentum zurückziehen, was für das Land das Aufhören der Eisenbahnbenützung zur Folge hätte.
Die Weiterbelassung des Eisenbahnpersonals im Fürstentum ist nach dem Standpunkt der österreichischen Regierung nur dann möglich, wenn entweder das Fürstentum die Mehrkosten, welche der österreichischen Eisenbahnverwaltung durch Auszahlung der Gehalte in Frankenwährung erwachsen, zur Tragung übernimmt, oder die Fürstliche Regierung durch entsprechende Massnahmen ermöglicht, dass die österreichischen Bediensteten die für ihre Lebenshaltung notwendigen Waren (Lebensmittel und Medizinalien) zu den Marktpreisen in österreichischer Währung erhalten.
Da nach dem Gesetz vom 17. August 1900 die österreichische Kronenwährung als ausschliesslich gesetzliche Landeswährung eingeführt worden ist, [3] scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass man auf die liechtensteinischen Geschäftslaute eine Pression dahin ausübt, dass sie den im Fürstentum Dienst tuenden österreichischen Staatsbediensteten die Waren gegen Zahlung in der gesetzlichen Landeswährung überlassen. Eventuell müsste sich die Angelegenheit auch dadurch regeln lassen, dass die fürstliche Regierung die Belieferung der in Betracht kommenden geringen Personenanzahl von amtswegen übernimmt. Jedenfalls scheint mir eine rascheste Regelung dieser Angelegenheit dringend zu sein, da nach den Äusserungen Herrn von Hardt-Strehmayers ein Abgehen der österreichischen Regierung von ihrem Standpunkt aus den oben genannten Gründen – nach den Berechnungen des Staatsamtes für Verkehrswesen würde die Auszahlung der Bezüge der genannten 60 Personen in Frankenwährung eine Mehrbelastung des Budgets von cirka 30 Millionen Kronen bedeuten – kaum wahrscheinlich ist und die Durchführung der Züge durch das Fürstentum ohne Anhalten eine schwere wirtschaftliche Schädigung des Landes bedeuten [würde].
Ich ersuche um eheste telegraphische Antwort, [4] um dem Staatsamt für Verkehrswesen von den Entschliessungen der Fürstlichen Regierung zeitgerecht Mitteilung machen zu können.
Im Anschluss daran teilte mir Herr von Hardt-Strehmayer auch noch Folgendes mit. Die fürstliche Regierung hat unter dem 13. Oktober 1919, Zl. 4960/Reg., [5] einen Erlass an die Bahn und Postämter, sowie die Wachposten an der Liechtensteinisch-Vorarlberger Grenze hinausgegeben, in dem die Anlegung von Verzeichnissen über die Ein- und Ausfuhr verlangt wird. Die Bahnämter im Fürstentum, welche der Staatsbahndirektion Innsbruck unterstehen, haben dies an dieselbe gemeldet, welche sich wiederum um Weisung an das Staatsamt für Verkehrswesen gewendet hat. Das Staatsamt für Verkehrswesen hat Weisung gegeben, dass die betreffenden Verzeichnisse vorbereitet werden, glaubt jedoch, dass angesichts des Umstandes, dass die Bahnämter im Fürstentum nicht der fürstlichen Regierung unterstehen, dieselbe auch nicht berechtigt sei, direkt Befehle und Erlässe an dieselben hinaus zugeben und daher die Ablieferung der Verzeichnisse bis jetzt zurückhalten lassen. Da nach dem hier vorliegenden zwischen Österreich und Liechtenstein geschlossenen Vertrages, die österreichische Regierung als Rechtsnachfolgerin der zum Bau der Eisenbahn in Liechtenstein konzessionierten Vorarlberger Bahn lediglich das Recht erhalten hat, die Eisenbahn im Fürstentum zu betreiben ohne aber, dass der fürstlichen Regierung eine Ingerenz oder ein Befehlgebungsrecht auf die betreffenden Bahnämter, auch wenn sie im Fürstentum sich befinden, zusteht, wäre in dieser Angelegenheit der richtige Weg wohl gewesen, dass die Fürstliche Regierung durch Vermittlung der Wiener Gesandtschaft an die österreichische Regierung das Ersuchen stelle, durch ihre im Fürstentum befindlichen Bahnämter jene Verzeichnisse, auf welche die Fürstliche Regierung Wert legt, herstellen zu lassen. Das Staatsamt für Verkehrswesen sieht vollkommen ein, dass die Fürstliche Regierung für die Kontrolle der Ein- und Ausfuhr nicht eigene Beamte anstellen will, und dass die Bahnämter im Fürstentum jene Stellen sind, welche naturgemäss am besten und ohne wesentliche Belastung diese Verzeichnisse zu führen in der Lage sind. Es ist auch zu den grössten Entgegenkommen in dieser Beziehung bereit, legt aber trotzdem Wert darauf, dass in der Art, wie dies durchgeführt wird, das tatsächliche Rechtsverhältnis zum Ausdruck kommt. [6]
Für die Fürstliche Gesandtschaft:
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[1] LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 99/1 1920)).
[2] Vgl. in diesem Zusammenhang das Schreiben der Staatsbahndirektion in Innsbruck an die liechtensteinische Regierung vom 7.11.1919 betreffend die Versorgung der Eisenbahnbediensteten mit Lebensmitteln (LI LA RE 1919/5560 (Aktenzeichen der Staatsbahndirektion: Z. 365/1/W)), gemäss welchem 57 Bedienstete im Fürstentum in Verwendung standen. Der Gesamtversorgungsstand belief sich auf 237 Personen in Mauren, Nendeln, Eschen und Schaan.
[3] Vgl. § 1 des Gesetzes vom 17.8.1900 betreffend Einführung der Kronenwährung als Landeswährung, LGBl. 1900 Nr. 2.
[4] Mit Telegramm vom 3.2.1920 teilte die Regierung der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien mit, dass vom Lande Lebensmittel gegen Kronen abgeben würden bzw. die Apotheken Arzneien gegen Kronen abzugeben hätten, widrigenfalls die Anzeige – wohl an die Regierung – freistehe. Eine Note in der Angelegenheit – so die Regierung – folge noch (LI LA RE V 003/0873 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 99/2)). Das Telegramm wurde Hardt-Stremayer am 4.2.1920 von Baldass vorgelegt.
[5] Vgl. § 4 der Verordnung vom 16.10.1919 betreffend die Neuregelung der Ein- und Ausfuhr von Waren jeder Art, LGBl. 1919 Nr. 11. Vgl. L.Vo., Nr. 87, 1.11.1919, S. 4 ("Verordnung").
[6] Vgl. in weiterer Folge das Schreiben der liechtensteinischen Regierung an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 4.2.1920 (LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der Regierung: 539. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 99/3)) sowie die Note der liechtensteinischen Gesandtschaft an das österreichische Staatsamt für Verkehrswesen vom 18.2.1920 (LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 99/3 – 20)). – Hinsichtlich der Frankenzuschüsse an die Eisenbahner in Liechtenstein vgl. etwa auch LI LA V 003/0914 und LI LA V 003/0917.