Das Liechtensteiner Volksblatt kritisiert die zu niedrige Zollpauschale und findet, dass der neue Zollvertrag mit der Schweiz die Souveränitätsrechte Liechtensteins im Vergleich zum alten Zollvertrag mit Österreich nicht besser wahre


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

27.6.1923, S. 1

Neugeschichtliches zum Zollvertrag.

(Korrespondenz).

Da es dem Volke nicht vergönnt war, vor Abschluss des Zollvertrages öffentlich dazu Stellung zu nehmen, so sei uns im Nachhinein noch ein Wort gestattet. Vorausschicken möchte ich gleich, dass ich dem Zollanschluss an die Schweiz gewiss nicht abgeneigt bin. Unter den obwaltenden Umständen aber geht es nicht an, mit jenen Glücklichen ins volle Horn zu blasen, und über die einstimmige Annahme im Landtage zu jubeln. Schön! es war der freundnachbarlichen Schweiz gegenüber eine Referenz und das freut mich.

In erster Linie bin ich aber Liechtensteiner und möchte mit noch so manchen andern nördlich der Luziensteig wünschen, dass liechtensteinische Interessen in Staatssachen besser gewahrt werden. Die Pauschalsumme von 150'000 Fr. ist zu niedrig gehalten, eine zu errechnende Tatsache, der sich auch Herr Dr. [Jacob] Lorenz in seinem Gutachten an den Landtag nicht verschliessen konnte. Nach den Ausführungen des betreffenden Herrn gehen in den ersten drei Vertragsjahren mindestens Fr. 150'000 verloren für Liechtenstein. Ich habe sogar allen Grund anzunehmen, dass die verloren gehende Summe 200'000 Fr. übersteigt. Wir sind dann aber gezwungen, diese Summe durch unsere direkten Steuern wieder aufzubringen. Das ist ja höchst erbaulich! Es muss uns dieses zwar nicht wundern, denn in den „O. N." Nr. 48 vom Juli 1919 schrieb eine jedenfalls bekannte Persönlichkeit in einem längeren Artikel [2] gegen den Zollanschluss folgendes:

„Wir sehen also, dass ein Zollanschluss auf jeden Fall eine finanzielle, politische, wirtschaftliche und rechtliche Abhängigkeit verursacht. Wenn wir nachstehend auf einiges näher eingehen, ist es nicht unsere Absicht, grosssprecherisch zu sein, denn, wir reden von der Wahrung der Interessen des kleinen Staates." Und über die finanzpolitische Abhängigkeit steht dort zu lesen: „Solange unsere Steuergesetzgebung derart mangelhaft ausgebaut war, (während des Zollvertrags mit Österreich nämlich) und unsere Leute wenig finanzkräftig waren, mussten die Staatseinnahmen vorwiegend auf indirekten Abgaben aufgebaut werden."

In diesem Zollvertrag mit der Schweiz zahlen wir gewiss höhere Zollansätze (siehe schweizerischer Zolltarif) und haben weniger als Zollpauschalsumme. Nach den Ausführungen jenes Herrn, der heute jedenfalls für direkte und indirekte Steuern ist, ist ja das Steuergesetz gerechter, als indirekte Abgaben. Wir werden jedenfalls diese indirekten Abgaben zahlen und zudem durch das neue Steuergesetz, die verloren gehenden 150 000 wieder einbringen müssen, kommen sie woher sie wollen.

Weiter schreibt dann jener Herr in den „O.N." vom Juli 1919 wörtlich: „Die finanzpolitische Abhängigkeit von Österreich hatte zur Voraussetzung eine gesetzgeberische Unselbständigkeit des Landes. Schon durch den Zollvertrag wurden viele österreichische Gesetze hinsichtlich des Zollwesens und der indirekten Steuern eingeführt. Einmal sollten alle bisher (bis 1852!) erlassenen Gesetze gelten und 2. sollten auch alle künftig zu erlassenden Gesetze und Verordnungen Anwendung finden. Was also auswärtige Behörden eines grossen Staates ohne irgend welches Zutun unserer gesetzgebenden Behörden oder Regierung festsetzten, das galt ohne weiteres in unserem Lande. Damit war schon ein grosser Einfluss und Wirkungskreis unserer einheimischen Behörden ausgeschaltet. Die Auslegung des Vertrages erfolgte praktisch-politisch einseitig vom mächtigeren Vertragsteil" usw.

Das alles klang damals sehr weise und gelehrt, heute nimmt es sich sehr komisch ans, denn wir wir wissen, dass wir noch um ein Beträchtliches mehr in die Abhängigkeit der Schweiz geraten, als wir im alten Vertrage in der Österreichs! waren. Ebenso wissen wir, dass unsere Regierung in diesem Vertrage ebenso wenig und weniger zu sagen hat, als im alten österreichischen. Ja, das Anhängsel der Gesetze und Verordnungen des Bundesrates ist noch weit grösser, als das österreichische Anhängsel es war.

Jener Herr Politiker schrieb im genannten Aufsatze dann weiter: „Zu dieser gesetzlichen Abhängigkeit gesellte sich der grosse Einfluss ausländischer höherer und niederer Beamten, denen der Vollzug der auf den Zoll und die Steuer bezüglichen Vorschriften oblagen. Dadurch wurden unsere Bürger unter die Botmässigkeit fremder Beamten gestellt und das nationale Empfinden einheimischer wurde nicht gefördert. Verlangt muss werden, dass unsere Bewohner für Zollübertretungen im Inlande bestraft werden und nicht mehr im Auslande. Hier Verbesserung zu schaffen, erfordert das Selbständigkeitsbewusstsein."

Es ist einfach lächerlich, wenn man diese Worte mit dem Vertragsentwurfe vergleicht. Wir werden uns dem Einflusse schweizerischer Beamter unterziehen müssen, wie ein anständiger Liechtensteiner sich gegenüber österr. Beamten anständig betragen hat. Was die gesetzgeberische Abhängigkeit betrifft, wissen wir genug, wenn wir die Anlage 1 studieren. Wie es mit der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit in Zollsachen bestellt ist, sagen uns Art. 27—32 des Vertrages und die damit verbundenen Gesetze der Schweiz.

Das war zwar einem denkenden Menschen nichts Neues, denn nicht alle Ideen, die in den Gehirnen mancher Volksparteigrössen entstanden sind, sind richtig und haben Bestand. Es gab eben zwingende Notwendigkeiten in diesem Vertragsentwurfe, wie es im alten österreichischen auch solche gegeben hat. Das zu sagen, hat jener Herr Schreiber allerdings vergessen. Eines aber ist mir unverständlich, nämlich, dass man die jährliche Entschädigungssumme so nieder annimmt, dafür hier den im Staatsdienste stehenden Leuten die Löhne heruntersetzt und fehlende Gelder mit der Steuerschraube holt.

(Musste vorige Nummer zurückgestellt werden. D. Schrftl.)

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[1] L.Vo. 27.6.1923, S. 1 f.
[2] In den O.N. erschien am 28.6., 2.7., 5.7., 9.7. und 12.7.1919 unter dem Titel "Internationale politische Stellung Liechtensteins und der Zollanschluss" eine Serie von Beiträgen. Die Artikel sind nicht gezeichnet, als Verfasser kann Dr. Wilhelm Beck vermutet werden.