Regierungschef Josef Ospelt orientiert den Liechtensteinischen Arbeiterverband über die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zur Gewährleistung eines steuerfreien Existenzminimums


Handschriftliches Konzeptschreiben von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an den Liechtensteinischen Arbeiterverband in Triesen [1] 

15.10.1921

Die Eingabe des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes vom 13. d.M. [2] wurde in der Finanzkomm. Sitzung vom 14. d.M. behandelt.

Im Sinne des dort gefassten Beschlusses teilt die f. R. [fürstliche Regierung] mit, dass ein Entwurf für Abänderung der Steuergesetze im Sinne der Ansprüche der Arbeiter in Ausarbeitung sich befindet u. in Bälde zur Verhandlung kommt. [3]

Die Schaffung weiterer Bestimmungen zum Schutze der Arbeiter wird nicht aus dem Auge gelassen [4] u. sind zum Teile in Arbeit, wenn auch der gegenwärtige Landtag mit der Schaffung der anderen im Rahmen der Verfassung vorgesehenen Gesetze bereits vollauf in Anspruch genommen ist.

Eine Inanspruchnahme des internat. Arbeitsamtes durch Sie dürfte wenig Zweck haben, da Landtag u. Regierung wohl wissen, was im Lande nottut u. aber auch, was die vorhandenen Mittel erlauben.

______________

[1] LI LA RE 1921/4526 ad 1379. Mundiert am 18.10.1921. Vgl. O.N., Nr. 88, 16.11.1921, S. 2 („Arbeiterverband“).
[2] Vgl. das Schreiben von Andreas Vogt, des Vizepräsidenten des Liechtensteiner Arbeiterverbandes, an die Regierung vom 13.10.1921 unter LI LA RE 1921/4526 ad 1379. Abdruck dieses Schreibens in: O.N., Nr. 81, 19.10.1921, S. 2 („Arbeiterverein“).
[3] In der öffentlichen Landtagssitzung vom 22.11.1921 wurde eine diesbezügliche Gesetzesvorlage zur Sicherung des Existenzminimums mit der Begründung von der Tagesordnung abgesetzt, dass noch Änderungen im Entwurf nötig seien (LI LA LTA 1921/S04/2). Dem in der Folge von Julius Landmann aus Basel verfassten Entwurf für ein neues Steuergesetz stimmte der Landtag am 2.12.1922 zu und in der Volksabstimmung vom 24.12.1922 wurde die Vorlage mit 1078 Ja- zu 731 Nein-Stimmen gutgeheissen. Merkmale des Steuergesetzes vom 11.1.1923, LGBl. 1923 Nr. 2, waren das steuerfreie Existenzminimum, die Progression, die schonende Behandlung des Kapitals und des Gewerbes und die Steuerbefreiung des bäuerlichen Erwerbs.
[4] Der Direktor der Basler Lebensversicherungsgesellschaft, Hermann Renfer, lieferte im April 1922 ein von der Regierung im Jahre 1920 in Auftrag gegebenes Gutachten über die Einführung einer Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung der unselbständig Erwerbstätigen in Liechtenstein ab (LI LA RE 1922/ad 0158). Regierungschef Gustav Schädler bedauerte allerdings mit Schreiben an Renfer vom 24.11.1922, „dass es im gegenwärtigen Momente bei dem noch immer schweren Stande unserer Volkswirtshaft unmöglich wird, Ihre Ideen schon jetzt voll und ganz in die Praxis zu übersetzen. Immerhin sollen in allernächster Zeit ernste Schritte unternommen werden, um eine allgemeine Krankenversicherung, beginnend mit dem 16. oder 18. Altersjahre, für beide Geschlechter durchzuführen“ (LI LA RE 1922/5277 ad 0158).