Das Liechtensteiner Volksblatt kommentiert die Beantwortung der Interpellation von Peter Büchel zur Klassenlotterie durch die Regierung


Bericht und Kommentar im Liechtensteiner Volksblatt [1]

Beantwortung der Interpellation des Abg. Peter Büchel

Aus der Landtagssitzung 30. Dezember 1925, 15.25 Uhr.

Dr. [Wilhelm] Beck tritt ab, [Josef] Marxer übernimmt das Präsidium.

Regierungschef [Gustav Schädler]: Wir haben gestern die Interpellation des Herrn Peter Büchel nicht sofort beantwortet, weil es sich um eine Sache von bedeutender Tragweite für das ganze Land handelt. Nunmehr ist die Interpellation in der Sitzung des Regierungskollegiums besprochen und in der Geheimsitzung des Landtages soeben durchberaten worden. Die Antwort, die wir darauf geben, ist folgende:

1. Auf die erste Frage, die da lautete: Wie steht es mit der Konzessionierung der Klassenlotterie?

Antwort: Ist in der Geheimsitzung erteilt worden. Bestehen Sie auf der vollständigen Veröffentlichung des Vertrages?

Peter Büchel: Wenn das zum Schaden des Landes ausfallen könnte, verzichte ich darauf.

(Auf die erste Frage ist also an die Öffentlichkeit des Liechtensteiner Volkes überhaupt keine auch nur irgendwie befriedigende Antwort gelangt.)

2. Auf die Fragen: Besteht ein Vertrag zwischen Staat und Unternehmen? Wie lautet er?

Antwort: Den Vertrag haben Sie ja soeben in der Geheimsitzung kennen gelernt.

(Auf die zweite Frage wird abermals an die vorangegangene Geheimsitzung verwiesen; das Volk, der gewöhnliche, sterbliche Bürger, darf ja nicht erfahren, was die herrschenden Herren ausmachen.)

3. Auf die Fragen: Handelt es sich bei der Konzession des fraglichen Unternehmens um ein Monopol? Wenn ja, wie lässt sich das mit Art. 36 der Verfassung vereinbaren?

Antwort: Es handelt sich nicht um ein Monopol. Denn wir haben nicht versprochen, dass sich kein anderes ähnliches Unternehmen im Lande auftun dürfe. Wir haben nur versprochen, dass wir alle Schritte unternehmen wollen, um das Monopol für das in Frage kommende Unternehmen mit unseren Gesetzen in Einklang zu bringen und dass wir bis dahin keinem anderen ähnlichen Unternehmen eine Konzession erteilen.

Die Beantwortung der dritten Frage war entschieden ein Meisterstück der Staatsränkekunst. Wenn man aber die schützende Umkleidung schöner Worte rücksichtslos herunterreisst und die nackte Tatsache sieht, nimmt es sich ganz anders aus: Zuerst ein prunkender Aufwand von Waren, dass es sich nicht um ein Monopol handelt. Dann wird im hohen Schwung der Begeisterung sachlich doch wieder vollständig zugegeben, dass es sich um ein Monopol handelt. Und ausserdem, dass das Monopol ohne Befragung des Landtages tatsächlich erteilt wurde, dass also tatsächlich Art. 36 der Verfassung gebrochen ist.

Auf die Fragen: Welche Kaution wurde bedungen, wann und wo wurde sie erlegt und in welchen Werten?

Antwort: 100’000 Fr. Kaution wurden bedungen, sofort überwiesen an die Sparkasse und von dort an die Landeskassa, wo sie heute noch liegen.

Die Beantwortung der vierten Frage ergibt wenigstens den einen Trost, dass das Land 100’000 Fr. in Händen hat. Es ist aber eine andere Frage oder wohl schon bald keine Frage mehr, ob unser Land im Ansehen des Auslandes nicht schon einen viel grösseren Schaden erlitten hat, als durch 100’000 Fr. aufgewogen werden kann. Man denke nur an die Schädigung der Kreditwirtschaft und des Fremdenverkehrs, wenn es im Ausland heissen wird: Liechtenstein, das Land der staatlich konzessionierten Schwindelunternehmungen, wo die herrschenden Staatslenker selber den Rahm abschöpfen. Unser Volk ist geduldig und ruhig. Aber alles hat einmal ein Ende. Man treibe das Volk nicht zum Äussersten!

Auf die Frage: Was schuldet das fragliche Unternehmen dem Lande einschliesslich Briefmarken?

Antwort: Über 365’000 Fr.

Auf die fünfte Frage erfährt man, dass das Unternehmen unserem Lande wenigstens über 365’000 Fr. schuldet. Was unsere uneigennützigen Staatslenker dem ihnen so nahe stehenden Unternehmen von diesem Betrag bisher schon einfachhin in edelster Weise geschenkt haben, das wurde vielleicht auch in der Geheimsitzung beantwortet! In der Öffentlichkeit des ringsum besetzten Landtagssaales hat sich der Herr Regierungschef jedenfalls mit starker Stimme und schönen Worten so schnell und so unklar als nur irgend möglich um diese entscheidende Frage einfachhin herumgedrückt. Dieselbe Frage, voll und wahr beantwortet, hätte ihm und seinen Freunden für die nahe bevorstehenden Landtagswahlen die denkbar schlechteste Wahlpropaganda abgeben müssen.

6. Auf die Frage: Was schuldet das Unternehmen bei Privaten?

Antwort: Nichts. Alle bis heute gestellten Rechnungen sind bezahlt.

Auf die sechste Frage erfährt man also, dass alle von Privaten eingelaufenen Rechnungen bezahlt sind. Bei den Privaten hört man aber allenthalben das Gegenteil. Indessen wird man sich denken: Wenn die ganze Gesellschaft eines schönen Morgens durchgegangen ist, dann soll nicht nur der Staat den Schaden haben, sondern auch die Privatleute, die so dumm waren. Die Hauptsache ist, wenn gewisse Leute den Nutzen davon haben. Und um die darf einem nicht bange sein angesichts der Direktorengehälter und anderer Einnahmen, die immer mehr durchzusickern drohen.

7. Wer hat den Kredit für die Briefmarken bewilligt? Das kann nach Art. 62 der Verfassung nur der Landtag.

Antwort: Es ist eben nicht anders gegangen. Man musste es so machen. Sonst wären die Verhandlungen gescheitert.

Auf die siebente Frage erfährt man, wenn man die schöngeschniegelten und furchtbar aufbauschenden Worte des Reg.-Chefs durchschaut, abermals einen inhaltlich klar zugestandenen groben Bruch unserer Verfassung. Wenn ein Schulbub eine Spitzbüberei angestellt hat und man zwingt ihn, Rede zu stehen, so sagt er: Ich kann nichts dafür. Wenn unser Reg.- Chef sich einer groben Verletzung der Verfassung schuldig gemacht hat und man zwingt ihn Red und Antwort zu stehen, so weiss er nach 24stündiger Vorbereitung inhaltlich nichts Besseres zu sagen, als: Ich kann nichts dafür.

8. Auf die Frage: Wer bietet Garantie, dass diese Schuld (365’000 Fr.) an das Land abgezahlt wird?

Antwort: Die Kaution von 100’000 Fr. liegt ja auf der Kassa.

Zur Regierungsantwort auf die achte Frage ist jeglicher Kommentar überflüssig.

9. Auf die Fragen: In welcher Art ist das Unternehmen konstituiert, welche Art von Gesellschaft stellt es dar, ist es überhaupt im Handelsregister eingetragen?

Antwort: Es ist noch nicht eingetragen, will aber in Vaduz Rechtsdomizil nehmen.

Die Beantwortung der 9. Frage ergibt also mit erstaunlicher Klarheit, dass die von Peter Büchel ausgesprochenen schlimmsten Befürchtungen bis auf den heutigen Tag und wer weiss, wie lange noch, in vollstem Ausmasse begründet sind: Das ganze Unternehmen ist überhaupt noch nicht handelsgerichtlich eingetragen, jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrend, die ganze Gesellschaft kann morgen verschwunden sein und die Liechtensteiner sind wieder einmal en gros angeschwindelt. Vielleicht kommen dann im Laufe der nächsten Jahre viele andere ähnliche „Gesellschaften", lassen sich gegen ein gutes Trinkgeld vom Land ein paarmal hunderttausend Franken schenken, um dann kaltlächelnd wieder abzuziehen.

Edel muss man sein und freigebig, man hats ja! Und den Schaden haben nur die steuerzahlenden dummen armen Leute, die Bauern und Arbeiter.

10. Auf die Fragen: Ist es wahr, dass unsere Sparkassa, genannt Landesbank, ohne Wissen des Verwaltungsrates mit dem Unternehmen in Verbindung gebracht wurde? Worin besteht diese Verbindung?

Antwort: Das erste ist nicht wahr. Im Gegenteil, es liegt ein einstimmiger Verwaltungsratsbeschluss vor.

Die Antwort auf das zweite ergibt sich aus dem Vertrag, den Sie in der Geheimsitzung kennen gelernt haben.

Aus der Antwort auf die zehnte Frage erhellt abermals die sicherlich schwer schädigende Verquickung eines Landesgeldinstitutes mit diesem so überaus zweifelhaften Unternehmen, eine Verbindung, die schon einen ganz korruptionsmässigen Eindruck erwecken könnte.

11. Auf die Frage: Wer hat von Seiten der Sparkassa zu dieser Verbindung Auftrag gegeben?

Antwort schon in 10 erteilt.

Bringt nichts Neues.

12. Auf die Fragen: Ist es der Regierung bekannt, dass gegenwärtig von auswärtigen Geldgebern bei unseren Geschäftsagenten und auch bei anderen Vertrauenspersonen über dieses Verhältnis Auskunft verlangt wird? - Ist es der Regierung bekannt, dass eine Zeitung der Innerschweiz kürzlich schrieb, dass die schweizerische Volksbank diese Angelegenheit aufmerksam verfolge? Ist es wahr, dass gegen das Unternehmen von einem Staate des Auslandes Vorstellungen bei der Regierung eingelaufen sind?

Antwort: Im Sinne einer förmlichen diplomatischen Aktion sind bis jetzt noch keine Vorstellungen auswärtiger Staaten gegen das fragliche Unternehmen eingelaufen. Hingegen liegen solche Vorstellungen vor bis jetzt von Seiten der Postdirektionen Wien, Staatsanwaltschaft Chemnitz, Stuttgart, mit der ausdrücklichen Erklärung, dass ein Vertrieb der in Frage kommenden Lotteriepoststücke im Gebiete ihrer Staaten verboten sei.

Die zahlreichen amtlichen Vorstellungen, die von den Staaten des Auslandes schon amtlich gegen das sehr fragliche Unternehmen an die Regierung gerichtet wurden, sagen genug. Die Sache ist einfach so: Jede Lotterie kracht zusammen, wenn sie keine Lose verkauft. Die fragliche Klassenlotterie verkauft ihre Lose entweder im Inland oder im Ausland. Wenn sie ihre Lose im Inland, in Liechtenstein selber, verkauft, kommt kein Geld ins Land, sondern geht eine Unmenge Geld gerade aus dem Land hinaus in die grossen Geldsäcke der dem Auslande angehörenden Lotteriegesellschaft.

Wenn sie ihre Lose aber ins Ausland verkaufen will, dann ist sie, wie uns der Herr Reg.- Chef in der Interpellationsbeantwortung in liebenswürdigster Weise mitgeteilt hat, bereits schwer auf dem Holzweg: Die Staaten des Auslandes schliessen die Türen. Also

13. Auf die Frage: Ist es wahr, dass die Abstempelungsmaschinen in Privathäusern ohne amtliche Aufsicht ausgestellt und in Betrieb waren?

Antwort: Die Barfrankierungsmaschinen waren in Privathäusern aufgestellt. Ja! Aber unter Aufsicht.

Wir wollen das Beste hoffen. Jedenfalls hat die Schweizerische Postverwaltung auf Ordnung gedrungen.

14. Auf die Frage: Ist es wahr, dass mit dieser oder einer andern ähnlichen Gesellschaft neuerdings Unterhandlungen schweben oder sind sie vielleicht schon abgeschlossen?

Antwort: Ja, man hat schon wieder mit neuen Geldgebern zu unterhandeln gesucht. Die Unterhandlungen sind aber gescheitert.

Durch die Antwort auf die 14. Frage ist das Unternehmen vor jedem denkenden Manne unseres Volkes erledigt. Der Regierungschef muss sachlich wohl oder übel eingestehen: Trotz der grossmütigen Geschenken von mehreren 100’000 Fr., die das Land dem Unternehmen gemacht, braucht das Unternehmen notwendig noch mehr Geld. Man knüpft Verhandlungen an mit neuen Geldgebern. Aber die Geldgeber geben kein Geld mehr, weil sie sehen, dass das Unternehmen anfängt zu wackeln und durchzubrennen.

Ausserdem gesteht der Herr Reg.- Chef auf den verschlungenen Pfaden seiner Glanzrhetorik, allerdings sehr unklar, ein: Man hat schon über einen neuen Vertrag mit dieser oder auch schon mit einer anderen Gesellschaft unterhandelt und zwar zu äusserst ungünstigen Bedingungen. Wenn der Karren schon so tief im Dreck drin steckt, wie es bereits der Fall ist, dann sind wir billig geworden. Also wirklich?! Ein Vertrag nach dem andern, eine Gesellschaft nach der anderen. Wenn es so weiter geht, kann es dem Lande im Laufe des nächsten Jahres blühen, dass eines Tages die Lenker unseres Staates eines Morgens einen Geheimvertrag abgeschlossen haben, der da lautet: Das Land zahlt gern ein paarmal 100’000 Franken, wenn es nur wieder eine Klassenlotterie bekommt. Und jährlich 100’000 Fr., damit sie doch ja da bleibt, und in den ersten 2 Jahren werden 10 Prozent und in den folgenden Jahren 20 Prozent des Verlustes vom Lande bar vergütet.

15. Ist der Regierung bekannt, wieviel Geld bis jetzt in das Unternehmen eingegangen ist und wieviel verlost wurde?

Regierungschef: Herr Peter Büchel, wünschen Sie nach all dem, was wir in der Geheimsitzung gesprochen haben, noch immer auch darüber genaue Auskunft? Fordern Sie, dass die genauen Zahlen an die Öffentlichkeit des Volkes und des Auslandes kommen?

Peter Büchel: Nein! Nach dem, was ich in der Geheimsitzung hören musste, könnte ich diese Verantwortung nicht auf mich nehmen. Es könnte daraus wirklich dem Land ein Schaden erwachsen.

Auf die 15. Frage hat P. Büchel keine Antwort mehr gefordert. Wenn man seine grosse Gewissenhaftigkeit und strenge Rechtlichkeit kennt, weiss man, was man daraus zu schliessen hat. Es muss wirklich himmeltraurig stehen mit einem Unternehmen, das man mit so aufgeregter Ängstlichkeit vor dem hellen Tageslicht der Volksöffentlichkeit behüten muss, als ob jedes Wort ihm den Tod bringen könnte.

Das prunkendste Glanzstück in der Rede des Reg.- Chef war immer und immer: Das Unternehmen hat Verdienst ins Land gebracht! Wir sagen: Dieses oder ein ähnliches Unternehmen hätte grossartige und weithin dauernde Verdienstmöglichkeiten für unser Volk bringen können, wenn die Lenker unseres Staates uneigennützig auf der Wacht und Hut gestanden wären zum Wohle des Landes. Sie haben aber mit den gemeinen Mitteln des groben Verfassungsbruches das Wohl des Landes verraten, dem armen Volk durch ein paar wenige Tage Verdienst hinterlistigerweise Sand in die Augen gestreut, die grossen und wahren Verdienstmöglichkeiten dieser Art auf Jahrzehnte hinaus vereitelt und unser Volk im gesamten Ausland verächtlich gemacht.

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[1] L.Vo Nr. 104, 31.12.1925, S. 2-3.