Maschinenschriftliches Schreiben an die Regierung, gez. Josef Beck (Präsident des Schlosserverbandes), Josef Sprenger (Präsident des Schmiedverbandes), Gottlieb Hilti (Präsident des Wagnerverbandes) und Alois Wille (Präsident des Schreinerverbandes) [1]
5.9.1920, Vaduz
Hohe fürstl. Regierung!
Hoher Landtag!
Am 5. ds. Mts. haben sich die Vertreter der Gewerbetreibenden des Schlosser-, Schmied-, Wagner- & Schreiner-Verbandes notgedrungen zusammen gefunden, um gegen die gegenwärtig bestehende Einfuhr von genannten Branchen einschlägige Arbeiten Stellung zu nehmen.
Laut provisorisch bestehendem Handels-Vertrag [2] hat die Republik Österreich das Recht ohne jede Landes-Abgabe in das Fürstentum Liechtenstein in obgenannten Handwerken einschlägige fertige Waren einzuführen. Da bekanntlich in der benachbarten Republik Österreich das Rohmaterial sowie die Arbeitskräfte noch um Kronen erhältlich sind, ist es selbstverständlich ganz ausgeschlossen, dass innländische Gewerbetreibende, welche Material grösstenteils sowie Arbeitskräfte und Lebensmittel ausschliesslich nur für Franken erhalten können, mit den Vorarlberger-Gewerbetreibenden konkurrenzfähig sind.
Die Gefertigten stellen daher an den hohen Landtag das Verlangen das innländische Gewerbe durch Erschwerung der Einfuhr fertiger Erzeugnisse der genannten Branchen zu schützen. [3]
Sollten obgenannten Handwerker von Seite der Landesvertretung keinen Schutz gewährt werden, so wären dieselben gezwungen, zur Selbsthilfe zu greifen und Bezüger solcher Waren zu boikotieren.
Hochachtungsvoll
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[1] LI LA RE 1920/4084. Gemäss Aktenvermerk des provisorischen Regierungschefs Josef Ospelt vom 13.6.1921 mit Bezug auf Zl. 998/ [19]21 u. ff. a.a. [ad acta] gelegt. Vgl. O.N., Nr. 91, 17.11.1920, S. 1-2 („Schutz der Einheimischen“), O.N., Nr. 96, 4.12.1920, S. 1 („Schutz des einheimischen Gewerbes“) und L.Vo., Nr. 23, 23.3.1921, S. 1 („Zum Warenbezug aus Österreich“).
[2] Vgl. den Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 22.4.1920 betreffend die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen, öst. BGBl. 1921 Nr. 136, bzw. die Verordnung vom 1.5.1920 betreffend die Abmachungen über den Handelsverkehr zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich, LGBl. 1920 Nr. 2. Nach Art. 1 des Notenwechsels sollte zwischen den Vertragsparteien grundsätzlich vollständige Freiheit des Handels und Verkehrs bestehen, wobei Liechtenstein gemäss Art. 2 Abs. 1 die Zusicherung abgab, keine Ein- und Ausgangsabgaben gegenüber Österreich einzuheben, während Österreich dem Fürstentum in Abs. 2 nur die Meistbegünstigung einräumte. In Art. 6 Abs. 1 verpflichteten sich die Vertragsparteien den gegenseitigen Verkehr in keiner Weise durch Einfuhr-, Ausfuhr oder Durchfuhrverbote zu hemmen. Allerdings bestand nach Art. 6 Abs. 3 Einverständnis darüber, dass neben den in Abs. 2 genannten auch weitere Ein- und Ausfuhrverbote Platz greifen konnten, sofern sie durch Erfordernisse der eigenen Volkswirtschaft während der Nachkriegszeit bedingt waren.
[3] In der öffentlichen Landtagssitzung vom 29.9.1920 ersuchte der Landtag auf Antrag von Wilhelm Beck die Regierung um die Ausarbeitung einer diesbezüglichen Gesetzesvorlage im Einvernehmen mit der Finanzkommission (LI LA LTA 1920/S04). Am 12.3.1921 behandelte der Landtag ein Gegengesuch von Privaten und Baumeistern betreffend die Einfuhr fertiger Bauschreiner- und Baumeisterarbeiten (LI LA LTA 1921/S04/2). In der öffentlichen Landtagssitzung vom 19.10.1921 wurde dann vom Landtag eine Kommission betreffs die Einführung von Einfuhrtaxen bestellt (ebd.) und am 22.11.1921 wurde eine entsprechen Gesetzesvorlage genehmigt (ebd.): Gesetz vom 1.12.1921 betreffend die Neuregelung der Ein-, Aus- und Durchfuhr von Waren, LGBl. 1921 Nr. 25. Vgl. in diesem Zusammenhang den Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 30.12.1921 über die Abänderung des Notenwechsels vom 22.4.1920 betreffend die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen, B.G.Bl. Nr. 136 von 1921, öst. BGBl. 1922 Nr. 17, bzw. die Verordnung vom 7.2.1922 betreffend Ergänzung der Abmachungen über den Handelsverkehr zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich, LGBl. 1922 Nr. 13. Vgl. im Übrigen LI LA RE 1921/0998, insbesondere das Schreiben von Regierungschef Ospelt an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 12.5.1921 (LI LA RE 1921/2061 ad 0998).