Das Fürstentum Liechtenstein wird dem Eidgenössischen Fabrikinspektorat des IV. Kreises mit Sitz in St. Gallen zugeteilt


Maschinenschriftliche Note der Abteilung für Industrie und Gewerbe des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes, gez. Franz Kaufmann, an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern [1]

5.6.1924, Bern

Herr Geschäftsträger [Emil Beck],

Indem ich Ihre Mitteilungen vom 30. Mai [2] bestens verdanke, beehre ich mich, Ihnen im Einverständnis des Volkswirtschaftsdepartements folgendes zur gefälligen Kenntnis zu bringen:

In Bestätigung unserer vorläufigen Unterredung wird als zuständiges eidgenössisches Fabrikinspektorat für Liechtenstein dasjenige des angrenzenden schweizerischen Gebiets (IV. Kreis, Sitz in St. Gallen, Chef: Fabrikinspektor Dr. E. [Ernst] Isler) bezeichnet.

Gemäss dem von Ihnen mitgeteilten Wunsche hat Herr Fabrikinspektor Dr. Isler von uns den Auftrag erhalten, sich nächstens nach Vaduz zu begeben, um mit der fürstlichen Regierung die betreffend den Vollzug des Fabrikgesetzes zu erledigenden Fragen zu besprechen und sich hiefür mit der Regierung direkt in Verbindung zu setzen.

Das genannte Fabrikinspektorat wird hierseits ermächtigt, in Sachen des Fabrikgesetzes mit der fürstlichen Regierung künftig in gleicher Weise zu verkehren wie mit einer Kantonsregierung. [3]

Was die Kosten der Inspektionstätigkeit für Liechtenstein betrifft, so gestatte ich mir den Vorschlag, es sei diese Frage noch zwischen uns zu besprechen. [4]

Genehmigen Sie, Herr Geschäftsträger, die Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung.

Der Chef der Abteilung für Industrie und Gewerbe

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[1] LI LA V 002/0310/07 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft: 764). Eingangsstempel der Gesandtschaft vom 6.6.1924. Hintergrund dieses Vorganges war die Anwendbarkeit der schweizerischen Fabrikgesetzgebung, besonders des Fabrikgesetzes vom 18.6.1914 idF des 27.6.1919, auf das Fürstentum Liechtenstein aufgrund von Art. 4 Abs. 1 Ziff. 2 sowie Anlage I des Zollanschlussvertrages vom 29.3.1923, LGBl. 1923 Nr. 24. – Auf Grundlage des nunmehr in Liechtenstein geltenden Fabrikgesetzes erfolgte z.B. auch die Erlassung der Fabrikordnung für die Spinnerei und Weberei von Jenny, Spoerry & Cie  in Vaduz und Triesen am 23.6.1926/5.7.1926 (LI LA RE 1926/2575 ad 0753). – Vgl. zur Handhabung der eidgenössischen Fabrikgesetzgebung in Liechtenstein im Übrigen die Art. 89-102 des liechtensteinischen Einführungsgesetzes vom 13.5.1924 zum Zollanschlussvertrag, LGBl. 1924 Nr. 11. – Die gewerblichen Inspektionen in Liechtenstein waren ab 1886 vom zuständigen k.k. Gewerbeinspektorat, zuletzt von jenem für Vorarlberg mit Sitz in Bregenz, ausgeübt worden und umfassten nicht nur die Inspektion von Fabriken, sondern überhaupt aller gewerblicher Betriebe, wo maschinelle Einrichtungen benutzt wurden. Wie die liechtensteinische Regierung mit Schreiben an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern vom 9.8.1923 ausführte, hatte der k.k. Gewerbeinspektor der Regierung dabei stets in gewerblichen Fragen zur Verfügung gestanden. Die Regierung bzw. Regierungschef-Stellvertreter Alfons Feger wünschte sich, das diese Art der Inspektion im Rahmen des Zollanschlussvertrages mit der Schweiz beibehalten werde und ersuchte die Gesandtschaft um Mitteilung, ob in den schweizerischen Kantonen der Gewerbeaufsichtsdienst auch in dieser Form geregelt sei (LI LA V 002/0310/01 (Aktenzeichen der Regierung: 2471. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 827)).
[2] Vgl. LI LA V 002/0310/06 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 375).
[3] Vgl. dazu Art. 6 des Zollanschlussvertrages vom 29.3.1923, wonach in Ansehung der gemäss Art. 4 und 5 im Fürstentum anzuwendenden schweizerischen Gesetzgebung dem Fürstentum Liechtenstein die gleiche Rechtsstellung zukommt bzw. zukam wie den schweizerischen Kantonen. Nach Art. 3 des Vertrages konnte bzw. kann der schriftliche Verkehr zwischen den eidgenössischen und den liechtensteinischen Behörden direkt und ohne Inanspruchnahme des diplomatischen Weges erfolgen, soweit er die Anwendung des Vertrages betrifft. 
[4] Geschäftsträger Emil Beck teilte der liechtensteinischen Regierung mit Schreiben vom 21.6.1924 mit, dass diese Frage in einer Besprechung mit Abteilungsleiter Franz Kaufmann vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement dahin abgeklärt wurde, dass von Liechtenstein in dieser Beziehung keinerlei Kosten zu tragen seien (LI LA V 002/0310/11 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 841)).