Die "Oberrheinischen Nachrichten" verteidigen die Ziele des provisorischen Vollzugsausschusses


"Eingesandt" in den "Oberrheinischen Nachrichten" [1]

7.12.1918

Volkswünsche

(Eingesandt)

Die gegenwärtige politische Krise, deren Ursachen schon seit Jahrzehnten gesetzt worden sind, ist lange nicht so gefährlich, als wie man sie gerne hinstellen möchte. Was will denn der Grossteil der Bevölkerung – abgesehen von einigen Hitzköpfen – anstreben?

Die an Se. Durchlaucht den Landesfürsten [Johann II.] und an den hohen Landtag gerichtete Petition, [2] die zur Unterschrift in allen Gemeinden aufliegt, enthält vor allem folgende, gewiss ganz zeitgemässe Wünsche: 1. dass alle Abgeordneten vom Volke gewählt werden und dass ihre Zahl entsprechend vermehrt werde; 2. dass alle Behörden ihren Sitz im Lande haben; 3. dass die dreigliedrige, vom Landtage gewählte Regierung nur aus Landesbürgern bestehe, ihr Vorsitzender von Sr. Durchlaucht bestätigt werde und dass sie parlamentarisch regiere. Das ist das ganze Verbrechen, das die Bewegung anstreben will und zwar raschestens auf gesetzlichem Wege anstreben will. Wir rufen Gott, wir rufen aber auch jede gesundem, fortschrittlichem Sinne zugängliche Person zum Zeugen an, ob denn dieses etwas, mit einem Worte etwas Verwerfliches ist? Damit ist wohl fast jeder einverstanden. Denn von einer Absetzung des Fürsten und von ähnlichem, hat ausser vielleicht von einigen Hitzköpfen, niemand gesprochen. Es war denn auch bei der Demonstration vom letzten Montag [2] auffallend, dass viele Unterländer, nachdem ihnen obige Wünsche auseinandergesetzt worden sind, sagten: Ja damit sind wir auch einverstanden, nun sind wir bei den Oberländern. Man hat uns aber angegeben, man wolle den Fürsten absetzen. Von diesem Gedankengange aus ist uns begreiflich, wie man die Unterländer nachts zusammentrommeln, sie sammeln und auf dem Riet oben – wie bestimmt mitgeteilt – schwören lassen konnte, sie wollen die "Oberrhein. Nachrichten" fürderhin nicht mehr abonnieren. Haben denn jene Führer daran gedacht, dass sie damit das Oberland und Unterland mehr auseinander- statt zusammenbringen? Weshalb will man aber dann noch nachher zusammentreten? Gottlob denken nicht alle Unterländer so und wenn je, so ist gerade jetzt der Zusammenschluss, nicht die Trennung beider Landschaften notwendig. Darauf weisen die Zeichen der Zeit hin. Es wäre auch ungerecht, allen Unterländern derartige trennende Absichten zu unterschieben. Viele sind anders belehrt worden und sie gehen einig mit den Oberländern: wir wollen den Fürsten, wir wollen aber auch eine eigene, aus Landeskindern bestehende Regierung.

Als schlichter Bürger halte ich dafür, dass wir ob der "Advokatenregierung" nicht zu grosse Angst haben müssen. Zuvörderst ist sie nicht aus lauter Anwälten zusammengesetzt und zum zweiten sind wir gar nicht auf diese angewiesen. Angewiesen sind wir auf eine möglichst rasche demokratische Verfassungsänderung, die uns das gewünschte Regierungssystem u.a. bringt, ob dann nun diese oder jene Männer an der Regierung stehen. Nicht um eine Personen- sondern um eine Sachenfrage handelt es sich. Für diese Sachenfrage ist nun der Grossteil der Stimmberechtigten des Oberlandes. Das mögen die Stimmzettel beweisen. Die Bewegung lässt sich mit der Bekämpfung der in der provisorischen Regierung sitzenden Männer, lässt sich mit unwahren Anwürfen von Sozialisten, Bolschewist u.a. nicht bekämpfen. Es ist tief beschämend, was in einigen Gemeinden vor sich ging. Vergessen werden kann es nicht so leicht. Lenke man sie hingegen in gesunde, dem Landeswohl dienliche Bahnen. Was anders haben denn unsere Vorfahren 1848 wollen?

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[1] O.N., Nr. 50, 7.12.1918, S. 1.
[2] Die Petition wurde initiiert an einem Vortrag von Martin Ritter und Wilhelm Beck in Triesen. Vgl. O.N., Nr. 49, 30.11.1918, S. 2.
[3] Zu den Demonstrationen vom 2.12.1918 vgl. L.Vo., Nr. 49, 6.12.1918, S. 2f. ("Unterland"); LI LA PA 001/0021/08, Bericht von Martin Ritter über die Vorbesprechung des Landtages vom 2.12.1918, 3.12.1918.