Martin Ritter, Vorsitzender des Vollzugsausschusses, weigert sich, die Amtsgeschäfte wieder dem ehemaligen Landesverweser Leopold von Imhof zu übergeben


Eigenhändiges Schreiben von Martin Ritter, Vorsitzender des provisorischen Vollzugsausschusses, an den ehemaligen Landesverweser Leopold von Imhof [1]

28.11.1918, Vaduz

Hochwohlgeborener Herr Baron!

Unter Bezugnahme auf Ihre Mitteilung v. 23. ds [2] beehre ich mich Ihnen höflich bekannt zu geben, dass ich nicht bereit bin, die Stelle, an welcher ich durch den Willen des Landtags stehe, zu verlassen, bis ein allfälliger anderer Beschluss des Landtages vorliegt.

Ich nehme an, dass die Entscheidung in Wien gegen Ihren Willen so erfolgte und möchte vermeiden, dass Sie aus derselben ev. grosse Unannehmlichkeiten haben. Die Stimmung im Lande ist, wovon Sie sich überzeugen werden, trotz heftigster, vor kaum einem Mittel zurückscheuender Agitation zum weitaus grössten Teile eine solche, dass eine Geschäftsübernahme durch Sie und ein in den Winkelstellen des Vollzugsausschusses nicht geduldet würde und schwere Ruhestörungen und Ausschreitungen zur Folge hätte. Ich weiss, dass Sie das nicht wollen. Die Herren, die den Fürsten [Johann II.], entgegen dem einstimmigen Beschlusse seiner ständigen Räte [3] zu der kundgegebenen Stellungnahme bestimmten, haben eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Nun muss die Sache, die sich sonst ruhig abgewickelt hätte, ihren Lauf so nehmen. Ein Zurück gibt es nicht; auf dem einmal eingenommenen Platze, komme, was da wolle, auszuharren, ist Ehrensache. Ich bin selbstverständlich auch zu einer Rücksprache mit Ihnen eventuell in Ihrer Wohnung bereit und zeichne mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung [4]

Ihr ergebenster

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[1] LI LA PA 001/0021/08.
[2] LI LA PA 001/0021/08, Erlass Johann II. an provisorischen Vollzugsausschuss, 23.11.1918. Der Fürst hatte mit diesem Erlass Imhof seines Amtes enthoben, ihn aber gleichzeitig beauftragt, bis zur Neubesetzung des Landesverweserpostens die Regierungsgeschäfte unter Mitwirkung des Vollzugsausschusses provisorisch fortzuführen.
[3] Ritter hatte am 19.11.1918 beim Fürsten in Wien vorgesprochen und ihm eine Proklamation vorgelegt, die nach Imhofs Aussage von den Mitgliedern des fürstlichen Appellationsgerichtes einstimmig gutgeheissen worden war (LI LA SF 01/1918/50, Entwurf Proklamation Johann II., 19.11.1918). Die Proklamation sah die Genehmigung des Vollzugsausschusses als Regierung, die Bestellung vom Ritter zum Landammann und die Beauftragung der von ihm geführten Regierung mit der Ausarbeitung einer Verfassungsrevision vor.
[4] Imhof erhob noch am gleichen Tag gegenüber dem Vollzugsausschuss schriftlichen Protest und teilte mit, er "lehne jede Verantwortung für die Folgen ab" (LI LA PA 001/0021/08, Imhof an Vollzugsausschuss, 28.11.1918). Gleichzeitig informierte er den Fürsten über die Weigerung Ritters, die Amtsübergabe zu vollziehen (LI LA PA 001/0021/08, Telegramm Imhof an Johann II., 28.11.1918).