Entwurf einer Gemeindeordnung für das Fürstenthum Liechtenstein


Entwurf einer Gemeindeordnung
für das Fürstenthum Liechtenstein
[1]

vom 13. August 1849

A. Die Gemeinden. Begriff und Eintheilung derselben.

§ 1

Die Staatsbürger und diesen gesetzlich gleichberechtigten[2] Nichtstaatsbürger, welche in einem Pfarrbezirke des Fürstenthums wohnhaft sind, bilden zusammen eine politische Gemeinde oder eine Gemeinde im weiteren Sinne.

§ 2

Die Gemeinde im engern Sinne oder die Genossengemeinde bildet der Verein aller am Gemeindegut Berechtigten.

§ 3

Es haben somit im Fürstenthum zu bestehen acht politische, oder Gemeinden im weitern Sinne, und elf Genossen- oder Gemeinden im engeren Sinn.

Die politischen Gemeinden sind: Balzers mit Mels, Triesen, Triesnerberg, Vaduz, Schaan mit Planken, Eschen, Mauren und Bendern, bestehend aus Gamprin, Ruggel und Schellen­berg.

Die Genossengemeinden sind: Balzers mit Mels, Triesen, Triesnerberg, Vaduz, Schaan, Planken, Eschen, Mauren, Gamprin, Ruggel und Schellenberg.

§ 4

Die dermaligen Gränzen dieser Gemeinden werden bis auf weitere Bestimmungen[3] unver­ändert anerkannt.

B. Rechte und Pflichten dieser Gemeinden.

§ 5

Die politische Gemeinde hat das Recht der freyen Wahl des Gemeinderathes und damit der Handhabung der Polizei, des Verlassenschafts- und Waisenwesens, des Schuldenbetrie­bes, der Schul- und Kirchenverwaltung, der Rechtspflege im Vergleichswege und bei mindern Vergehen, dann bei Streitsachen im Betrage unter 25 fl.

Auch übt sie das Colaturrecht, soweit die Gemeinde in dessen Besitz ist, und übernimmt die damit verbundenen Leistungen, nach Massgabe der Gesetze.

§ 6

Der Genossengemeinde stehet zu die freie Wahl des Verwaltungsrathes, die Bestimmun­gen über die Benutzung des Gemeindevermögens und die Benutzung desselben gemäss den bezüglichen gesetzlichen Vorschriften.

§ 7

Die Genossenschaft hat mit dem Rechte der Benutzung des Gemeindevermögens auch die Pflicht, dasselbe möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Es dürfen daher keine Benutzungsarten von diesem Vermögen eingeführt oder fort­geführt werden, welche dasselbe nothwendigerweise schmählern würden, noch darf dasselbe oder ein Theil davon veräussert oder an die Genossenglieder vertheilt werden, ohne dass ein entsprechender Werth dafür zur bleibenden Benutzung der Genossenschaft erhalten wird. Endlich darf die Genossenschaft auf dieses Vermögen weder Verbindlichkeiten eingehen, noch Anlehen aufnehmen, ausser im Falle sehr[4] dringender Noth.

§ 8

In solchen Fällen hat die Genossenschaft die Rückzahlung des Anlehens oder die Hebung der eingegangenen Verbindlichkeit in möglichst kurzen und bestimmten Terminen zu sichern und vorläufig die Genehmigung des Regierungsamtes und im Weiterzuge des Landraths[5] einzuholen, wiedrigens derartige Anlehen und Verbindlichkeiten nicht als Belas­tung des Gemeindevermögens zu betrachten sind.

§ 9

Das Regierungsamt hat über den Vollzug der Tilgung einer solchen Schuld zu wachen.

§ 10

Vom Gemeindevermögen darf weder etwas verkauft oder vertauscht, überhaupt veräus­sert werden, ohne vorher eingeholte Genehmigung des Regierungsamtes. In keinem Falle aber darf ein solcher Gelderlös an die Genossenglieder vertheilt werden.

§ 11

Stiftungsvermögen für Schul- und Armenfond, für Kirche und Pfründe, auch andere besondere Stiftungen für die Genossenschaft und deren Ertrag und Vorschüsse dürfen in der Regel nur zu ihren Stiftungszwecken verwendet werden.

Eine veränderte Bestimmung derselben ist von einem Beschluss der Genossen­versammlung und von der Zustimmung des Regierungsamtes und im Weiterzuge von der des Landrathes abhängig.[6] 

§ 12

Von Gemeindegütern, welche zur zeitweiligen Benutzung an die Genossenglieder über­lassen sind oder künftig überlassen werden, haben die Benutzer die landesüblichen Prozente von dem nach einem billigen Massstabe ermittelten Werth derselben in ihrem unkultivirten Zustande, wie sie von der Gemeinde zuerst überlassen wurden, in die Genossenkasse zu entrichten, und sind diese Zinsen zu gemeinnützigen Zwecken, insbesonders zur Unter­stützung der Genossenarmen zu verwenden. Der durch nachherige Cultur geschaffene Werth dieser Güter ist sodann wie der der Privatgüter zu Gemeindezwecken zu besteuern.

§ 13

Der Genossenschaft ligt ob, der Bau und die Erhaltung der Wuhren und Dämme zum Schutze gegen Rhein und Rüfen, der Feld- und Verbindungswege, der Gräben, dann des Waldes nach den Vorschriften der Waldordnung; ihr ligt ob die Erhaltung der mittellosen und erwerbsunfähigen Genossenbürger und Angehörigen.

§ 14

Zu diesem Behufe hat sich das Recht der Besteuerung aller in dem Bezirke der Genos­sengemeinde befindlichen Liegenschaften.

§ 15

Zur Verzinsung und Abtragung von Gemeindeschulden, welche die Genossenschaft machte, dürfen nur solche Liegenschaften besteuert werden, welche im Besitze von Genos­senbürgern innert den Marken der Genossenschaft sind oder darin zur Zeit waren, wo die Schuld gemacht wurde.

§ 16

Ausgenommen von jeder Gemeindebesteuerung sind Liegenschaften, welche einem Armen- oder Schulfond[7] gehören. Ebenso kann zu Gemeindesteuern nur derjenige Werth von geistlichen Pfrundgütern verhältnissmässig gezogen werden, der noch erübriget, nach dem zuvor dem Geistlichen ein reines Einkommen von 500 fl. aus den Pfrunderträgnissen gesichert ist.

C. Von dem weitern und engern Gemeindebürgerrecht, von den Vortheilen und Pflichten derselben und wie es erworben werde und verlohren gehe.

§ 17

Politische oder Gemeindebürger im weiteren Sinne sind:

a) alle Genossenbürger im Bezirke der politischen Gemeinde,
b) alle liechtensteinischen Staatsbürger und solche Nichtstaatsbürger, welche gesetzlich diesen gleichberechtigt[8] sind, die sich haushäblich in dieser niedergelassen haben oder darin einen Beruf oder ein Gewerbe auf eigene Rechnung ausüben.

§ 18

Das weitere Bürgerrecht in einer politischen Gemeinde ertheilt der Gemeinderath unent­geldlich, und es kann keinem Staats- oder diesem gesetzlich gleichberechtigten Nichtstaats­bürger verweigert werden, der sich um dasselbe bewirbt und sich über seinen guten Leumund sowie über den Besitz der Mittel ausweist, die zu seiner Angehörigen Erhaltung ausreichen.

§ 19

Der politische Gemeindebürger hat das Recht zur Wahl und ist wählbar zu allen Ämtern der politischen Gemeinde, sofern kein gesetzliches Hinderniss gegen ihn obwaltet. Auch ist er in der Ausübung eines Berufes oder in der Betreibung eines Gewerbes oder einer Bauern­wirthschaft sowie im Erwerbe von Liegenschaften keiner andern Beschränkung und keiner andern Besteuerung unterworfen als wie der Genossenbürger. Er hat das Recht der Mitbe­nutzung der Kirche, der Schulen, der öffentlichen Brunnen und Gemeindewege. Er bezieht für seinen Hausbedarf das Brennholz aus den Gemeindewäldern in dem Masse, wie der Genossenbürger gegen ein festgesetztes, billiges Entgeld. Endlich hat er das Trattrecht im Frühjahr auf den Gemeindeweiden gegen billige Entschädigung.

§ 20

Dagegen hat der politische Gemeindebürger, abgesehen von den Leistungen, die er dem Staate schuldig ist, die Pflicht:

a) zur Annahme von Gemeindeamtsstellen, sofern er dazu von der Bürgerversammlung oder dem Gemeinderath gewählt wird.
b) zur Annahme von Vormundschaften.
c) zur Mitwirkung bei Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, zur Abwehr der der Gemeinde drohenden Gefahren wie Wasser---und Feuergefahren.
d) zum Baue und zur Erhaltung der Dorfstrassen, der Brunnenleitungen, der Kirche, der Pfrund- und Schulhäuser, überhaupt aller öffentlichen Gebäude, deren Mitbenutzung ihm gestattet ist, und
e) zu allen Leistungen, die er vermög seines Besitzes in der Gemeinde zu machen hat.

§ 21

Solche Bürger einer politischen Gemeinde, die nicht zugleich Genossenbürger in dieser Gemeinde sind, verlieren ihr Bürgerrecht in derselben und können durch den Gemeinderath aus derselben gewiesen werden:

a) wenn sie nicht die hinreichenden Mittel, sich und Ihrigen zu erhalten oder ihre Schul­den zu bezahlen haben,
b) wenn sie kriminel verurtheilt sind oder aus Mangel von Beweisen entlassen wurden.
c) wenn sie wegen unsittlichen Handlungen dreimal abgestraft wurden und
d) bei Nichtstaatsbürgern, wenn sie die gesetzlichen Heimatscheine sich nicht rechtzeitig verschaffen oder zu verschaffen wissen.

§ 22

Das Genossenbürgerrecht wird erworben:

a) durch eheliche Abstammung von Genossenbürgern,
b) durch Heirath einer Nichtgenossenbürgerin mit einem Genossenbürger, wenn der festgesetzte Einkaufspreis, welcher in den Ortsarmenfond zu verwenden ist, erlegt wird,
c) durch einen Beschluss der Genossenversammlung bei Staatsbürgern und bei Nicht­staatsbürgern nach vorläufiger Genehmigung des Fürsten und Landrathes, wo dann die Letzern zugleich ins Staatsbürgerrecht eintreten.
d) durch aussereheliche Abstammung von einer Genossenbürgerin, wo sich dann aber die Genossenschaft beim ermittelten Vater Entschädigung verschaffen kann.
e) dadurch, dass ein Angehöriger einer Genossenschaft den Betrag erlegt, den diese für Einkäufe von Angehörigen festgestellt hat.

§ 23

Dem Genossenbürger, sofern er in seiner Heimathgemeinde wohnt und sonst kein gesetzliches Hinderniss gegen ihn obwaltet, steht ausser den Befugnissen eines politischen Gemeindebürgers in seiner Gemeinde noch zu Recht:

a) das Recht zur Wahl und zur Wählbarkeit in den Verwaltungsrath,
b) das Recht zum Mitgenuss des Gemeindevermögens nach Massgabe der Gesetze und
c) das Recht im Falle, dass er mittellos und arbeitsunfähig wird, auf Armenunterstützung durch die Genossenschaft.

§ 24

Ausser den Obliegenheiten eines politischen Bürgers seiner Gemeinde hat der Genossen­bürger die Pflicht der Übernahme einer Verwaltungsstelle in derselben laut gesetzlichen Bestimmungen.

§ 25

Das Genossenbürgerrecht geht verloren,

a) durch den Tod,
b) durch freiwillige Verzichtleistung auf dasselbe,
c) durch die Einbürgerung in eine andere Genossenschaft,
d) durch die Einbürgerung in einen andern Staat.
e) durch die Heurath einer Genossenbürgerin mit einem Nichtgenossenbürger und
f) durch die Heurath eines Genossenbürgers ohne Bewilligung seiner Gemeinde­obrigkeit[9].

§ 26

Ein Gemeindeangehöriger, das ist ein Gemeindeinsass, der in der Gemeinde das Heimat­recht, nicht aber das Mitbenutzungsrecht des Gemeindevermögens hat, hat ausser den Rechten und Obliegenheiten eines politischen Bürgers seiner Gemeinde noch das Recht auf eine Armenunterstützung durch die Genossenschaft, wenn er mittellos und arbeitsunfähig ist, und das der vollen Einbürgerung in die Genossenschaft durch die Erlegung eines zu diesem Behufe von dieser festgesetzten Einkaufsbetrages. Er verliert sein Angehörigkeits­recht unter den Verhältnissen, wie der Burger sein Genossenbürgerrecht.

§ 27

Wenn jemand, der weder hiesiger Staatsbürger noch diesem gesetzlich gleichberechtigt ist, sich auf längere Zeit in eine hiesige Gemeinde niederlassen will, so wird zuvörderst für einen solchen die Bewilligung des Regierungsamtes und dann die Genehmigung der Genos­senversammlung der betreffenden Gemeinde durch einen Beschluss erfordert. Wie sich sonst übrigens mit einem solchen zu verhalten sei und was er zu leisten habe, bestimmen eigene gesetzliche Verfügungen.

D. Die Bürgerversammlung, ihre Zusammensetzung und Befug­nisse.

§ 28

In jeder politischen Gemeinde bilden die stimmfähigen Innwohner derselben die Bürger­versammlung.

§ 29

Stimmfähig in der Bürgerversammlung ist jeder politische Gemeindebürger (siehe[10] § 17), der das 21. Lebensjahr angetretten hat und in bürgerlichen Rechten und Ehren stehet.

§ 30

Die Bürgerversammlungen werden vom Vorsteher des Gemeinderathes geleitet und ordentlicher Weise alle drei Jahre zur Wahl des Gemeinderathes geschritten[11], und ausser­ordentlich, so oft der Gemeinderath oder der Vorsteher die Versammlung für nöthig haltet, oder 1/6 Theil der stimmfähigen Innwohner eine solche fordert.

§ 31

Über die Verhandlungen der Bürgerversammlungen ist durch den Gemeindsschreiber ein Protokoll zu verfassen und dieses nach seiner Richtigfindung vom Vorsteher, den Stimmen­zählern und dem Gemeindeschreiber zu unterfertigen und im Gemeinde-Archiv aufzube­wahren.

§ 32

Der Vorsteher hat das Recht und die Pflicht, Ruhestörer, die kein Recht in der Ver­sammlung haben, alsogleich zu entfernen, berechtigte Mitglieder in ihren Vorträgen, wenn nöthig zur Sache, d.h. zum Gegenstand der Verhandlung zu mahnen, und solche, welche sich Äusserungen oder ein Benehmen zu Schulden kommen lassen, welches sich mit der Würde und dem Zweck der Versammlung nicht vertragt, zur Ordnung zu weisen und nöthi­genfalls aus der Versammlung entfernen zu lassen, und zu bestrafen.

 § 33

Jeder Stimmberechtigte hat das Recht, in den Bürgerversammlungen Anträge zu stellen. Erklärt wenigstens ein Sechstteil einer beschlussfähigen Versammlung den Antrag für erheb­lich, so kann dieser sogleich in Verhandlung genommen werden, sofern die Versammlung dieses beschliesst, sonst muss er jedenfalls dem Gemeinderath zur Begutachtung zugewiesen werden. Dieser hat in einer von der Versammlung zu bestimmenden Zeit dieses Gutachten derselben vorzulegen.

§ 34

Nach geschlossener Verhandlung bringt der Vorsteher den Antrag sammt allfälligen Ver­besserungsvorschlägen zur Abstimmung. In der Regel muss zuerst über den ganzen Antrag abgestimmt werden. Nach Gutfinden des Vorstehers oder auf Verlangen von ein 1/6 Theil der Versammlung kann auch über Theile desselben gemehrt werden.

§ 35

Sowohl bei diesen Abstimmungen als bei den Wahren ist zur Gültigkeit das absolute Mehr, das ist eine Stimme mehr als die Hälfte der Anwesenden erforderlich.

§ 36

Zu einer beschlussfähigen Bürgerversammlung ist die Anwesenheit von wenigstens mehr als der Hälfte der stimmfähigen Bürger erforderlich.

§ 37

Jeder stimmberechtigte Bürger ist verpflichtet, der Bürgerversammlung anzuwohnen, und verfällt daher, wenn er sich nicht genügend über seine Abwesenheit auszuweisen vermag, in eine Busse von einem bis drei Gulden zu Gunsten der Armenkassa.

§ 38

Der Bürgerversammlung stehet zu:

a) die Wahl der Vorstehers, des Säckelmeisters und der übrigen Gemeinderäthe.
b) Genehmigung des Ausgabenvoranschlages für die Gemeinde.
c) Es dürfen daher vom Gemeinderath über eine gewisse festzusetzende Summe auf Rechnung der Gemeinde keine Auslagen gemacht und keine Verpflichtungen eingegangen werden, ohne vorher eingeholter Erlaubniss derselben.
d) Sie hat zu entscheiden, ob Rechtshändel im Namen der Gemeinde angehoben oder ausgehalten werden dürfen.
e) In solchen Gemeinden, die im Besitze des Patronatsrechtes sind, die Wahl des betref­fenden Geistlichen.
f) Die Wahl des Schulrathes und die des Schullehrers gemäss den bezüglichen gesetzli­chen Bestimmungen.
g) sie wählt den Rechnungsausschuss, dem der Gemeinderath die Gemeinderechnung ablegt und der diese zu begutachten und der Gemeinde zur Genehmigung oder Verwerfung vorzulegen hat.

E. Der Gemeinderath und seine Befugnisse.

§ 39

Der Gemeinderath bestehet aus dem Vorsteher, dem Säckelmeister und wenigstens noch drei Mitgliedern.

§ 40

In den Gemeinderath ist jeder Stimmberechtigte in der Gemeinde, der das 24. Lebensjahr zurückgelegt hat, wählbar.

§ 41

Die Verpflichtung zur Annahme einer Gemeinderathsstelle richtet sich nach den Bestimmungen des § ... der Verfassung, jedoch mit dem, dass eine Stelle in der Genossen­schaftsverwaltung die Annahme einer solchen im Gemeinderath nicht ausschliesst, und so umgekehrt.

§ 42

Die Amtsdauer ist 3 Jahr, und die erledigten Stellen im Gemeinderathe müssen durch Neuwahlen unverzüglich ergänzt werden.

§ 43

Dem Gemeinderat ligt ob, die gesetzlichen Vorschriften über die Polizei, Verlassen­schafts- und Waisensachen und über den Schuldenbetrieb in Vollführung zu bringen. Er hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Schule und Kirchenverwaltung zu handhaben.

§ 44

Der Gemeinderath kann auch zum Verwaltungsrathe ernannt werden, dann hat er die demselben obliegenden Geschäfte nach Massgabe der Gesetze und Verordnungen zu voll­führen.

§ 45

Der Gemeinderath untersteht dem Regierungsamt unmittelbar.

§ 46

Zur Beschlussfähigkeit wird die Anwesenheit von mehr als der Hälfte seiner Mitglider erfordert und zur Gültigkeit der Beschlüsse das absolute Mehr der anwesenden Mitglieder.

§ 47

Er wählt den Gemeindrathsschreiber, der nicht Mitglied des Gemeinderathes sein darf, wohl aber im Gemeinderath eine berathende Stimme hat, und das Protokoll über die Sitzun­gen und Verhandlungen führt. Auch wählt der Gemeinderath den Gemeindrathsweibel.

§ 48

Der Gemeinderath bestimmt die Löhnung für den Gemeindrathsschreiber und Weibel nach eingeholter Genehmigung der Bürgerversammlung. 

§ 49

Der Gemeinderath vertheilt durch Beschluss die verschiedenen Arbeiten seines Amtes unter seine Mitglieder nach Massgabe ihrer Befähigung und mit billiger Berücksichtigung, einzelne damit nicht zu überbürden. Der Vorsteher darf ins Schätzamt nicht gewählt werden.

§ 50

Er hat fürs Gemeinde-Archiv ein feuersicheres und sonst geeignetes Local zu besorgen.

F. Der Vorsteher, seine Pflichten und Befugnisse.

§ 51

Der Vorsteher ist der Vollzieher der Gesetze und Verordnungen und der Aufträge des Regierungsamtes. Er stehet unter diesem unmittelbar.

§ 52

Er ist Vollzieher der höchern Polizei zur Sicherheit für Personen und Eigenthum.

§ 53

Der Vorsteher ist die erste einschreitende Behörde bei bürgerlichen Vergehen, und hat über Klage und Thatbestand ein Protokoll aufzunehmen und dieses dem Regierungsamte einzusenden.

§ 54

Er hat die ihm zur Kenntniss gekommenen Verbrechen dem Regierungsamte ungesäumt anzuzeigen, und für Habhaftmachung des Verbrechers möglichst zu sorgen.

§ 55

Er verfügt in dringenden Fallen, zumal wenn im Verzug Gefahr für Personen oder Eigenthum obwaltet, wie bei gewaltthätigen Angriffen auf dieselben, bei Feuer-, Wasser- oder Rüfengefahren das Nöthige aus eigener Machtvollkommenheit und hat sich, wenn es noth thut, ungesäumt ans Regierungsamt um Unterstützung zu wenden.

§ 56

Bei plötzlichen Todesfällen, beim Auffinden von Menschenleichen auf dem Gemeinde­gebiete und beim Ausbruche von Seuchen unter Menschen und Thieren hat der Vorsteher dem Regierungsamte Anzeige zu erstatten.

§ 57

Er ist Vermittler in Streitigkeiten und Richter in Beträgen unter 25 fl. und bei mindern Vergehen.

§ 58

Zahlungsunfähigkeitserklärungen sind beim Vorsteher zu machen. 

§ 59

Er vollzieht die Beschlüsse der Gemeinde und des Gemeinderathes oder wacht für deren Vollzug.

§ 60

Bei starkem Verdacht wegen Übertretungen der Gesetze, seiner Amtsbefugnisse, Verun­treuungen und grober Vernachlässigung seines Amts kann er vom Regierungsamte suspen­dirt werden, bis die Sache gerichtlich entschieden ist.

G. Rechte und Pflichten des Säckelmeisters.

§ 61

Der Säckelmeister ist in dem Gemeinderath dem Range nach der Zweite und im Verhin­derungsfalle der Stellvertreter des Vorstehers. Er hat alsdann dessen Amt zu üben.

§ 62

Er besorgt die Landes- und Gemeindssteuereinzüge, führt und legt darüber unter Mitver­antwortlichkeit des gesamten Gemeinderathes Rechnung.

§ 63

Bei ihm werden die gerichtlichen Depositengelder und Urkunden für Waisen etc. hinter­legt, und er ist für deren Besorgung haftbar.

§ 64

Die beiden ersten Beamten im Gemeinderath müssen in der Gemeinde begüterte Eigenthümer sein.

H. Die Genossenversammlung und ihre Befugnisse.

§ 65

Die Genossenversammlung wird aus den stimfähigen Genossenbürgern gebildet.

§ 66

Stimmfähig in der Genossenschaft ist der Antheilhaber am Genossenvermögen, welcher das 20. Lebensjahr zurückgelegt hat, in der Gemeinde wohnt und in bürgerlichen Ehren und Rechten stehet.

§ 67

Die Genossenversammlung:

a) wählt den Verwaltungsrath, bestimmt die Anzahl seiner Mitglieder und den Gehalt für selbe.
b) Ihr stehet zu Recht, das Verwaltungsamt dem Gemeinderath zu übertragen.
c) Sie beschliesst über die Aufnahme ins Genossenbürgerrecht.
d) Sie bestimmt die Einkaufstaxe für Weiber und für die Angehörigen.
e) Sie beschliesst auf Antrag des Verwaltungsrathes über das Mass der Gemeindeumlagen und der vorzunehmenden grössern Bauten an Wuhren, Dämmen, Wegen etc.
f) Sie wählt den Rechnungsausschuss zur Abnahme und Begutachtung der Genossen­rechnung des Verwaltungsrathes.
g) Sie beschliesst über die Art der Benutzung des Gemeindevermögens, über allfällig vor­zunehmende Veränderungen in demselben, durch Tausch, Ankauf und Verkauf und über Schulden, die darauf aufgenommen werden nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen.
h) Ohne ihre Genehmigung darf für die Genossenschaft weder ein Prozess angehoben, noch fortgeführt werden.[12]
i) Ihr stehet zu die Genehmigung der Wahlen des Genossenschreibers, des Weibels, des Werkführers und der Pfleger für die Stiftungsvermögen.

§ 67[13]

Die Bestimmungen über die Berathungen, über Beschlussfähigkeit, Gültigkeit der Beschlüsse, und Bestrafung wegen versäumter Theilnahme an der Versammlung sind die gleichen wie bei der Bürgerversammlung. Der Verwalter leitet die Berathungen und der Genossenschaftsschreiber besorgt das Protokoll.

§ 68

Auf Antrag des Regierungsamtes kann vom Landrathe einer Ortschaft oder der Genos­senversammlung derselben, wenn sie das Genossenvermögen gegen Vorschrift der Verfas­sung oder der Gesetze verwaltet, die Genossenschaft in dieser Verwaltung zeitweise suspen­diert und unter Curatel gesetzt werden.

I. Der Verwaltungsrath, seine Befugnisse und Obliegenheiten

§ 69

Der Verwaltungsrath bestehte aus wenigstens 3 Mitgliedern.

§ 70

Zur Wahlfähigkeit in denselben wird das Stimmrecht in der Genossenschaft und ein Alter von zurückgelegten 24 Jahren erfordert.

§ 71

Er verwaltet das Eigenthum der Genossenschaft und die Stiftungsgüter und den Armen­fond laut gesetzlichen Verfügungen, führt und legt darüber Rechnung nach den Bestimmun­gen wie bei dem Gemeinderath. Er vollführt die Beschlüsse der Genossenschafts­versammlung und sorgt für die nothwendigen und beschlossenen Wuhr-, Wasser- und Stras­senbauten sowie für Erstellung der Gräben, Dämme und Gemeindsbauten überhaupt.

§ 72

Er hat wie der Gemeinderath das Recht, der Genossenversammlung Anträge zu stellen, und die Obliegenheit, die als erheblich anerkannten zu begutachten.

§ 73

Er erkennt und bestraft Waldfrevel und andere Beschädigungen am Gemeindeeigenthum nach gesetzlichen Vorschriften.

§ 74

Unter seiner Aufsicht stehen die Pfleger, er empfängt und begutachtet deren Rechnungs­legung.

§ 75

Er wählt den Schriftführer, Weibel und die übrigen Genossenschaftsbediensteten und legt diese Wahlen der Genehmigung der Genossenversammlung unter.

§ 76

Er stehet unmittelbar unter dem Regierungsamte.

§ 77

Sowohl der Gemeinde- als der Verwaltungsrath haben die Verpflichtung, zu jeder Zeit und so oft es vom Regierungsamte verlangt wird, über alle oder einzelne Theile ihrer Ver­waltung genauen und vollständigen Aufschluss zu ertheilen. Wie es mit der Rechnungs­legung, sowohl an die Gemeinden als an das Regierungsamt, und den Nachweisen über die Waisen-, Armen- und Waidverwaltung zu halten sei, werden besondere Erlasse feststellen.

§ 78

Sowohl in den Gemeinde- als Verwaltungsrath dürfen nicht zugleich gewählt werden: Vater und Sohn, Brüder, Schwiegervater und Schwiegersohn, Oheim und Neffe, Grossvater und Enkel.

K. Obliegenheiten und Rechte des Verwalters.

§ 79

Der Verwalter ist der erste dem Range nach im Verwaltungsrath. Er wird dazu von der Genossenschaftsversammlung gewählt. Er leitet die Berathungen im Verwaltungsrathe und in den Genossenschaftsversammlungen nach den in der Bürgerversammlung gegebenen Vorschriften. Er besorgt den Einzug der Genossensteuern und legt der Genossenschaft unter Verantwortung des ganzen Verwaltungsrathes jährlich Rechnung. Seiner Leitung unterstehen zunächst die Gemeindebediensteten und die Gemeindearbeiten. Er darf unter Verhältnissen, wie beim Vorsteher angeführt worden sind, in seinen Amtsverrichtungen vom Regierungsamte bis zur gerichtlichen Aburtheilung  suspendirt werden.

§ 80

Den Gehalt für den Verwalter bestimmt die Genossenschaftsversammlung. Andere Bezüge wie Taggelder, Taxen etc. für die Mitglider beider Räthe bestimmen eigene Gesetze. Den Lohn für Pfleger und die Genossenschafts- und Gemeindebediensteten bestimmen die Gemeinde- und Verwaltungsräthe unter Genehmigung der respectiven Versammlung.[14]

Geschlossen in der Sitzung des Geschäftsausschusses[15] vom 13. August 1849 im Sitzungs­saale des Landrathes und unterzeichnet von den Mitglieder des Ausschusses

Dr. Schädler, Präsident desselben
Dr. Grass
J. F. Wolfinger
Jakob Goop



______________

[1] LI LA RC 100/4. Originaltitel. Im Akt befinden sich drei handschriftliche Fassungen mit geringen Abweichungen. Wiedergegeben wird hier die Fassung, die am 13. August vom Fünferausschuss des Landrats beschlossen wurde.
[2] Der erste Entwurf formulierte präziser: „in Bezug auf freie Niederlassung gesetzlich gleichberechtigten Nichtstaatsbürger“. So auch an allen folgenden Stellen, wo die Formulierung „gesetzlich gleichberechtigt“ verwendet wird.
[3] „bis auf weitere Bestimmungen“ fehlt im ersten Entwurf.
[4] „sehr“ in der ersten Fassung nicht vorhanden.
[5] „im Weiterzuge des Landraths“ im Vergleich zur ersten Fassung neu eingefügt.
[6] In der ersten Fassung war auch noch die Zustimmung des Landesfürsten vorgesehen: „.. der aber erst vollzogen werden darf, wenn auf Antrag des Regierungsamtes die Genehmigung des Landrathes und Landesfürsten dazu eingeholt ist.“
[7] „oder dem Ortskirchenfond“ im Vergleich zur ersten Fassung gestrichen.
[8] „in Bezug der freien Niederlassung“ im Vergleich zur ersten Fassung gestrichen.
[9] Im Vergleich zum ersten Entwurf gestrichen: „und des Regierungsamtes“.
[10] Im ersten Entwurf „vide“, was darauf hinweist, dass der erste Entwurf von einem Juristen oder Verwaltungsbeamten stammt.
[11] Erster Entwurf „gehalten“.
[12] Im Vergleich zum ersten Entwurf gestrichen: „noch während der Prozedur davon abgestanden werden.“
[13] Ab hier stimmen die Artikel nicht mehr, da in der vom Landratsausschuss beschlossenen Fassung irrtümlich zweimal Art. 67 vorkommt. Im ersten Entwurf ist die Artikelnummerierung korrekt.
[14] Der letzte § des ersten Entwurfs (dort § 82) fehlt: „Vor seinem Amtsantritt ist der Gemeinde- und Verwaltungsrath vom Landesverweser in Pflicht zu nehmen. Der Gemeindeschreiber und Waibel werden respective vom Gemeinde- und Genossenschaftsrath beeidet.“
[15] An der ersten Sitzung vom 23. Mai 1849 wurden Pfr. Josef Anton Wolfinger, Dr. Karl Schädler, Dr. Ludwig Grass, Johann Ferdinand Wolfinger und Jakob Goop in den Ausschuss gewählt. Pfr. Wolfinger trat zurück, für ihn wurde 4. Juni Christoph Wanger gewählt, der aber hier nicht unterschrieben hat.