Gerichtsordnung mit Bestimmungen zur Erstellung von Testamenten und Verträgen


[Gerichtsordnung mit Bestimmungen zur Erstellung von Testamenten und Verträgen][1]

vom 21. Oktober 1772

Von Gottes gnaden wir Frantz Joseph des heyligen römischen reichs fürst und regierer des hauses von und zu Liechtenstein, von Nicolspurg, herzog zu Troppau und Jägerndorff in Schlesien, graf zu Rittberg, ritter des goldenen vliesses, ihro röm. kayl. zu Hungarn und Böheim, königl. apostol. maytt. würckl. geheimer rath und cammerer etc. entbiethen allen und jeden unseren unterthanen des reichs-fürstenthums Liechtenstein unsere landesfürstliche gnad und geben euch samt und sonders anmit zu vernehmen:

Wir haben uns mit mehrerem vortragen lassen, was für eine schlechte rechts-zucht und ordnung in vortrag der strittigen sachen bey unseren ober-amtlichen verhören von euch beobachtet werden, da alles mehr einem tumultuarischen gezäncke als einer rechtlichen handlung ähnlich ist und partheyen ein ander unter denen ärgerlichsten beschimpfungen mit solchen geschrey in die reden fallen, dass nicht nur der einer zu gericht sitzenden obrigkeit schuldige respect andurch gäntzlichen bey seiten gesetzet wird, sondern auch das ober-amt zu mehrmahlen nicht einmahl, was die partheyen vortragen wollen oder in was eigentlich ihr rechtliches gesuch bestehe? wissen, viel weniger also mit bestand und sicherheit einige urtheill und bescheid abfassen kann.

Gleichwie nun in allen rechts-erörterungen und händeln eine gute ordnung die wahre seele ist, wodurch der streitt­sache recht an den grund gesehen, der process abgekürzt und also viele denen vorstehenden partheyen äusserst schädliche verwirrung vermieden wird, alss haben wir uns entschlossen nachfolgende ordnung in krafft eines gesätzes abzufassen und zu jedermanns wissen, auch künftig gehorsamster befolg- und nachachtung behörig publiciren zu lassen.

Wir ordnen und gebiethen demnach

primo

dass keine beklagte parthey sich für das verhörr stellen solle, es seye dann, dass derselben wenigstens drey tag zuvor durch den verpflichteten land-waibel darzu gebothen worden, auf dass nach erheischung der rechte ein jeder beklagte hinlänglich zeit zum überlegen gewinne, ob er sich mit seinem gegentheill in der gütte vergleichen oder aber in einen rechts-handel einlassen wolle? - In dem verhör aber solle

secundo

kein theill dem andern mit einigem wort in die rede fallen, sondern kläger zuvor seine klag sittsam, deütlich und umständlich an- und vorbringen, auf dass solche nicht nur von unserm ober-amt gründlich verstanden, sondern auch ihrer wesenheit nach behörig zu protocoll genohmen werden möge; und weillen nicht weniger dem beklagten an dem, dass seine verantwortung ebenfalls gründlich verstanden und so zu protocoll genohmen werde, alles gelegen ist, so solle, dieser nach vollbrachter klag, in seiner reyhe reden, seine verantwortung mit respect und deütlichkeit vortragen, ohne dass der kläger ihme während solcher verantwortung nur mit dem mindesten wort in die red zu fallen sich unterfangen därffe, welches auch auf alle übrige ein- und wieder-reden der partheyen zu verstehen ist, mit dem anhang, dass falls ein- oder der andere theill nach dem alten missbrauch seinen redenden gegen-parth gleichwohlen zu unterbrechen sich nicht scheüen würde, das ober- amt solchen für das erste mahl des stillschweigens erinnern, fürs zweyte mahl mit einem pfund pfenning straff belegen und, wann dieses noch nichts fruchtet, für das dritte mahl aus dem verhör wegschaffen, zum ersatz der tags-versäumnüss seinen gegentheill verfällen, auf den nächsten verhör verweisen und, so an diesen wiederum keine besserung erfolget, eben auf solche arth noch weiter verfahren werden solle. - Würde aber ein oder der andere theill

tertio

sich so weit verliehren, dass er in der cantzley unter währenden verhör, wider alle einer raths- und gerichts-stuben schuldige ehrfurcht, seinem gegner mit unanständigen schmäch- und scheltworten anfallete, derselbe wäre alsogleich und ohne alle rücksicht auf 6, 12 auch 24 stunden lang, jehe nach beschaffenheit der scheltung, mit der thurm-straff zu belegen. - Solte hingegen

quarto

eine streittende parthey ihre sach durch kundschafften zu beweisen vermeynen, so müssen sothane gezeugen ohneinberuffener nicht selbsten mit der parthey in die cantzley gehen, sondern, um allen argwohn einer partheylichkeit von sich abzuleinen, zuwarthen, dass selbe von ober-amts wegen eincitiret werden, wo so dann dieselbe nach maassgaab der rechten den zeugen-eyd würcklich abzulegen und deme zufolge ihre aussagen gewissenhafft zu machen haben. - Wobey wir

quinto

statuiren und fortan beobachtet wissen wollen, dass denen unterthanen unbenohmen seyn solle, über ihre der gnädigsten herrschafft mit keinem onere[2] verpflichtete eigenthümliche gütter, beweg- als unbewegliche, contracten, vergleich, ehe-pacten und dergleichen zu errichten, welche nach den gemeinen rechten die contrahenten unter sich allerdings verbündlich machen und als privative gesätze ohne obrigkeitliches zuthun beobachtet, sofort hierauf bey vorkommenden gerichts-fällen die rechtliche rücksicht genohmen und disfalls nach den gemeinen rechten verfahren werden solle. Damit aber hierunter kein betrug und sonsten etwas unterlaufe, so wollen wir und verordnen anmit, dass anstatt einer obrigkeitlichen ratification sothane contracten, tausch- und heuraths-briefe zu erspahrung aller weitläufigkeiten allemahl von zwey zeugen unterschrieben werden. - Und nachdeme

sexto

jedermann über sein eigenthum zu schalten und zu walten das recht hat und disfalls keiner obrigkeitlichen ratification benöthiget ist, alss verstehet sich von selbsten, dass die unterthanen unsers fürstenthums auch in ihren letztwilligen verordnungen, testament, codicillen und dergleichen ihrer freyen willkühr sich dergestalten gebrauchen därfen und können, dass derley testamenta, sie seyen entweder holographa[3] oder eigenhändig von dem testatore durchaus geschrieben und gefertiget oder aber durch zuthun der zeugen errichtet, ihre vollkommene rechts-krafft haben sollen und mögen und desfalls keine obrigkeitliche ratification, wie oben der kauf oder contract wegen erwehnet, bedürftig seyn. - Dieweillen aber

schlüsslichen

in unserer lands-ordnung enthalten, dass derley leztwillige verordnungen mit zuthun sieben zeugen errichtet werden und hiernächst erst obrigkeitlich ratificirt werden müssen und sich hierdurch ohnnütze weitläufigkeiten, process- und schwirigkeiten leichterdings ergeben können und ergeben haben; alss wollen wir disen articul von landesfürstlicher macht und gewalt wegen dergestalten abgeändert wissen, dass fürohin die errichtung sothaner letztwilligen verordnungen zu verhüttung aller ohndienlichen weitläufigkeiten und unordnungen (wie es in den benachbahrten österreichischen landen und sonsten im reich gewöhnlich und hergebracht ist) einzig mit zwey qualificirten zeugen errichtet und versehen seyn sollen, jedoch dergestalten, dass jedesmahl zu sicherer bekräfftigung sothaner testaments-acten ein gerichtsmann von der herrschafft, auf welchen der testator sein vertrauen setzen mag, mit angewendet und das testament mit denen zeugen zugleich unterzeichnet werde. - Wornach dahero so wohl unser nachgeseztes ober-amt in urtheillen sich zu richten, als auch jedermäniglich von unseren unterthanen zu achten, somit sich vor schaden, nachtheill und straff zu hütten wissen wird.

Zu urkund all dessen haben wir gegenwärtiges patent eigenhändig unterschrieben und deme unser landesfürstliches secret-insigel vordrucken lassen.

So geschehen Wienn, den 21ten October 1772.

L.S.

Frantz fürst zu Liechtenstein, m.p.



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[1] LI LA RA 1/16/9. Handschriftliches Original mit Papiersiegel und Unterschrift des Fürsten. Registratur­vermerk: „Gerichts-Zucht, nach welcher sich die parteyen benehmen und wie die contravenienten behandelt werden sollen; von seiner durchlaucht selbst verfieget. dd. 21ten 8bris 1772.“ - Zweiter Registraturvermerk: „Es ist zugleich versehen, wie sich bey testamenten und kontrakten zu benehmen sey.“
[2] Belastung.
[3] Holograph: eigenhändig angefertigtes Schriftstück.