Regierungschef Josef Ospelt drängt auf eine Beschleunigung der Verhandlungen über den Zollvertrag mit der Schweiz


Vertrauliches maschinenschriftliches Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an Emil Beck, Geschäftsträger in Bern [1]

4.11.1921

Sehr geehrter Herr Legationsrat!

Wie Sie sich erinnern werden, hat uns Herr Bundesrat [Giuseppe] Motta des bestimmtesten versprochen, dass der Bundesrat spätestens bis Ende Oktober zum Zollvertrage endgültig Stellung nehmen werde. [2] Die Tatsache, dass ich bis heute noch ohne jede Nachricht geblieben bin im Vereine mit der Ihnen kürzlich übersandten Zeitungsnotiz, die die Runde durch eine Reihe von Schweizer Blättern machte, [3] beunruhigt uns. Diese Unruhe wird noch etwas erhöht durch Gerüchte, wornach wieder Bestrebungen auf Niederlassung einer Spielbank im Gange sind. Diese Bestrebungen hätten meines Erachtens ziemlich geringe Aussicht auf Erfolg, wenn wir eine Gewähr dafür hätten, dass der Zollvertrag mit für uns ziemlich günstigen Bedingungen zustande kommt, während sonst ein Kampf gegen das Spielbankprojekt bei der derzeitigen furchtbaren Geldknappheit sehr schwer werden dürfte.

Vielleicht könnten Herr Legationsrat dieses Argument in geeigneter Weise für eine Beschleunigung in der Zollvertragssache verwerten.

Jetzt drängt überhaupt unsere ganze Wirtschaft auf eine Entscheidung in der Zollvertragsfrage und wir könnten eine weitere Verzögerung der Entscheidung kaum anders als eine gewisse Unfreundlichkeit oder als eine Vermäntelung der Absicht, den Zollvertrag nicht abzuschliessen, betrachten. Diese Folgerung ist natürlich vorläufig nur für Sie, sehr geehrter Herr Legationsrat, mitgeteilt.

Bei fast allen grösseren Fragen wirtschaftlicher, fiskalischer und organisatorischer Art stossen wir auf die Frage, hat das Inangriffnehmen einen Zweck, oder wird die ganze Frage nicht durch den von uns erhofften baldigen Abschluss des Zollvertrages überflüssig, oder wenigstens in entscheidender Weise beeinflusst. Eine weitere Verzögerung dieser nun schon so oft in Aussicht gestellten Entscheidung bedeutet für das Fürstentum nunmehr einen Schaden. Lassen Sie nichts unversucht, eine möglichst rasche Klarstellung zu erlangen.

Jedenfalls bitte ich Sie, mir umgehend oder allenfalls drahtlich Mitteilung zukommen zu lassen, wie die Angelegenheit augenblicklich steht. [4]

Mit hochachtungsvoller Begrüssung bin ich Ihr ergebener

______________

[1] LI LA V 002/0294/45.
[2] Ospelt weilte am 11. und 12.10.1921 in Bern und traf sich mit allen Bundesräten sowie mehreren National- und Ständeräten, um sich u.a. über den Stand der Zollvertragsverhandlungen zu informieren. Dabei sagte ihm Motta zu, der Bundesrat werde den Vertragsentwurf bis spätestens Ende Oktober behandeln. Vgl. LI LA SF 27/1921/4405 ad 1935, Bericht Josef Ospelt an Johann II., 15.10.1921.
[3] LI LA V 002/0294/44, Ospelt an Gesandtschaft Bern, 27.10.1921. In der betreffenden Meldung hiess es, die Schweiz habe Bedenken, dass Liechtenstein nach Abschluss des Zollvertrags schweizerische Steuerzahler zur Abwanderung verlocken könnte.
[4] Beck informierte Ospelt mit Schreiben vom 8.11.1921 über den Stand der Verhandlungen und gab der Überzeugung Ausdruck, dass die Schweiz weiterhin an einem Vertrag interessiert sei. Bis wann der Entwurf vorliegen werde, habe er aber nicht feststellen können (LI LA V 002/0294/46). Die Verabschiedung des Entwurfs und die Zusendung an Liechtenstein zur "Kenntnisnahme und Gegenäusserung" erfolgte schliesslich Anfang 1922 (LI LA V 002/0299/058, Schweizerisches Politisches Departement an Emil Beck, 3.2.1922).