Das Landesvikariat ersucht das Landgericht, die Sittlichkeit des Volkes besser zu überwachen.


Handschriftliche Eingabe an das Landgericht in Vaduz [1]

7. Oktober 1863

Wohllöbliches Landgericht! In der am 1. d. [1. Oktober] abgehaltenen ordentlichen Pastoralkonferenz der Landesgeistlichkeit waren die Mittel, durch welche der Entsittlichung des Volkes überhaupt, und den Störungen der Sonntagsfeier insbesonders nachhaltiger entgegen zu wirken sei, Gegenstand einlässlicher Berathung, und es drängte sich von selbst die Überzeugung auf, dass der kräftige und wachsame Beistand der Oberpolizeibehörde und ihrer Organe eines der wirksamsten und unerlässlichen Mittel zur Erreichung dieses hochwichtigen Zweckes sei. Jedoch wurde zugleich mit Bedauern bemerkt, dass die Handhabung der bestehenden Polizeiordnung seit Jahren an Strenge, Genauigkeit und Allgemeinheit gar Vieles zu wünschen übrig lasse.

Als Erweis dieser Beschwerde werden einige Züge aus dem Bilde des Volkslebens und der Sonntagsfeier, wie sich dieselben theils allgemein, theils in einzelnen Orten, mehr und weniger markirt darstellen, genügen, mit Hinweisung auf die dadurch verletzten polizeilichen Bestimmungen.

a. Die Polizeistunden sind fast allenthalben unbeachtet (§ 6)
b. Nachtlärm herrscht an vielen Orten, vorzüglich zur Zeit der Kirchweihe und des Faschings (§ 7)
c. Das Herumgehen der Masken im Fasching, und das Herumziehen der Kinder am Neujahrestage ist fast allgemein § 21
d. Die Aufsicht der Eltern über den Lebenswandel der Kinder wird häufig vernachlässigt § 22
e. Personen, die mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben § 23 und Koncubinate § 24 kommen selten rechtzeitig zur Anzeige
f. Schulpflichtige Kindern und Lehrjungen wird der Besuch der Schankstuben gestattet § 19
g. so auch das Baden in der Nähe von gangbaren Orten § 51
h. Wein und geistige Getränke werden an Betrunkene abgereicht § 25
i. Tumulte und Raufereien kommen oft vor § 29
k. Unterhaltungsmusiken während des Gottesdienstes Nachmittags sind neu aufgekommen § 4
l. Abreichung von Speis und Trank während des Gottesdienstes, sowie das Offenhalten der Handlungsgewölbe während desselben sind allgemein § 16, 17
m. Zu den knechtlichen Arbeiten, die an Sonn und Feiertagen verrichtet zu werden pflegen, zählen vorzüglich : das Abladen von Heu und Getreide in den Scheunen, das Fahren mit Lastwägen mit deren Auf und Abpacken , das Lastentragen, namentlich der Triesenberger; das Mahlen in fast allen Mühlen durch das ganze Jahr, dann das Pressen und Abführen der Weine im Herbste; das Mähen und Heimführen des Viehfutters; das Einsammeln der Kirschen und des Obstes überhaupt § 18
n. Sehr anstössig und Ärgernis gebend erscheint endlich auch das freche Benehmen solcher Leute, welche während des Gottesdienstes bis zur Kirche gehen, dann davon schleichen, oder um dieselbe stehen, liegen, und sich wie auf dem Markte unterhalten; ein Unfug, der von der Polizeiordnung vielleicht nicht vorgesehen, jedoch nichts destoweniger abzuschaffen ist.

Das gefertigte Landesvikariat beehrt sich, im Auftrage der vorbenannten Konferenz Einem Wohllöblichen Landgerichte von diesem die Moralität, und Sonntagsfeier tiefverletzenden Übelständen und polizeiwidrigen Exzessen auf dem Wege gebührender Vorstellung mit dem dringensten Ansuchen Kenntnis zu geben, Wohldasselbe wolle auf geeignetem Wege durch die untergeordneten Organe der bestehenden weisen Polizeiordnung nachhaltige, durchgreiffende Kraft und Wirksamkeit zu verschaffen suchen, und seiner Zeit die Landesgeistlichkeit von den diesfalls vorgenommenen Massregeln gefälligst zur Kentnnis setzen.

Hochachtungsvoll

Landesvikariat Vaduz, 7. Oct. 1863

[Josef Anton] Wolfinger  m.p.

Regierung an Landesvikariat

Nr. 392

 Auf die Vorstellung vom 7. d. M. beehrt man sich davon Kenntnis zu geben, dass die Polizeiorgane des Landes die strengsten Weisungen in betreff der Polizeiordnung erhalten haben.

In Bezug auf die Handhabung der Sittlichkeitspolizei glaubt man von den Ortsseelsorgern erwarten zu dürfen, dass sie die ihnen bekanntwerdenden Fälle immer rechtzeitig hier anzeigen werden. Mit blos allgemeinen Recriminationen ist der Sache wenig gedient. Zu beklagen ist, dass das Land nicht die erforderlichen Besserungs und Armenanstalten besitzt. Mit Strafen allein wird der Zweck selten vollständig erreicht.

Das hochwürdige Landesvikariat wolle die Versicherung genehmigen, dass die gefertigte Stelle, die auf Verbesserung der sittlichen Zustände gerichteten Bestrebungen der Landesgeistlichkeit mit allen zu Gebote stehenden Mitteln unterstützen werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Kessler(?)

Vaduz, den 24. Oktober 1863

An das Hochwürdige Landesvikariat, hier

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[1] LI LA PA 011/10