Prinz Karl erstattet dem Fürsten Bericht über den Stand der Lebensmittelversorgung


Maschinenschriftlicher Bericht von Landesverweser Prinz Karl, ungez., an Fürst Johann II. [1]

o.D. (15.1.1919) [2]

Dieser Vorlage lasse ich eine kurz gefasste Orientierung über den augenblicklichen Stand der Lebensmittelversorgung folgen:

Am Donnerstag den 9. Jänner ist der Schweizer Major [Emil] Stingelin, Kommissär für die Verpflegung von Vorarlberg und Liechtenstein mit dem Sitze in Bregenz, hier gewesen und hat einen Vertrag zur Unterzeichnung vorgelegt. [3]

Die Bedingungen dieses Vertrages wollen

Euere Durchlaucht

aus der beiliegenden Nummer des L.V. [4] entnehmen.

Der erste Wagen mit Mehl ist am Samstag den 11. Jänner in Schaan eingetroffen und an die Gemeinden verteilt worden. Ein Viertel dieser Sendung blieb im Magazine zu Schaan für unvorhergesehene Fälle liegen.

So erwünscht diese Verpflegung ist, so hat sie einerseits eine weitere Verschuldung des Landes und eine so grosse Vermehrung der bureaukratischen Arbeiten zur Folge, dass provisorisch für die Dauer der Verpflegung aus der Schweiz ein eigener Ernährungskommissär geschaffen werden muss, welcher die Lebensmittelverteilung und die Mühlen im Lande zu beaufsichtigen haben wird. [5] Dieser Kommissär wird der Regierung und der Notstandskommission verantwortlich sein. Für diesen Posten ist der Kaufmann Franz Josef Schlegel in Triesen bestimmt, welcher während des Krieges in Russland gefangen gewesen ist und

Euerer Durchlaucht

von seinen Eingaben an das Ministerium des Äussern her bekannt sein dürfte. [6]

Diese bisher im Lande nicht üblichen Eingriffe in den Lebensmittelverkehr dürften einem Grossteile der Bevölkerung kaum sehr erwünscht sein, doch besteht die Schweiz auf die Durchführung derselben Massregeln, wie sie in Vorarlberg, in Tirol, in der Schweiz selbst und gegenwärtig fast überall schon lange Gewohnheit sind.

Übermorgen findet in Gegenwart des Schweizer-Majors eine Sitzung der Notstandskommission und sämtlicher Gemeindevorsteher statt, in welcher die Durchführung dieser Massregeln besprochen werden soll. [7]

Ich fürchte, dass die Notwendigkeit des Fortbestehens dieser Massregel und des neugeschaffenen Postens sich bis September l.J. erstrecken wird. [8]

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[1] LI LA RE 1919/ad 270. Am Kopf des Dokuments handschriftlicher Verweis auf den ersten Teil des Dokuments unter LI LA RE 1919/0233 ad 28, Bericht Prinz Karl an Johann II., 15.1.1919.
[2] Das Datum ergibt sich aus LI LA RE 1919/0233 ad 28, Bericht Prinz Karl an Johann II., 15.1.1919.
[3] Vgl. LI LA SF 13/1919/0144 ad 1, eidgenössisches Ernährungsamt an Stingelin, 3.1.1919.
[4] L.Vo., Nr. 4, 15.1.1919, S. 1 ("Bedingungen des Eidgenössischen Ernährungsamtes über die Belieferung des Fürstentums mit Lebensmitteln"). Die Beilage fehlt im Akt.
[5] LGBl. 1919 Nr. 1.
[6] Vgl. LI LA RE 1918/3824.
[7] Vgl. L.Vo., Nr. 6, 22.1.1919, S. 1 ("Über die Sitzung der Landesnotstandskommission"); O.N., Nr. 4, 25.1.1919, S. 2 ("Landesnotstandskommission").
[8] Tatsächlich blieb Ernährungskommissär Schlegel bis 1.8.1920 im Amt.