Liechtenstein schlägt der Schweiz die Modalitäten für die Interessenvertretung des Fürstentums im Ausland vor, insbesondere für die Passausstellung an liechtensteinische Staatsbürger durch schweizerische Vertretungen


Maschinenschriftliche Abschrift einer Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern, gez. Geschäftsträger Emil Beck, an den Schweizer Bundespräsidenten Giuseppe Motta [1] 

10.3.1920, Bern 

Euere Exzellenz! 

Der Schweizerische Bundesrat hat mit Schreiben vom 24. Oktober 1919 [2] sich in liebenswürdigster und sehr dankenswerter Weise bereit erklärt, die Vertretung der liechtensteinischen Interessen in den Ländern zu übernehmen, wo das Fürstentum Liechtenstein keine eigene Vertretung hat oder zu errichten gedenkt, während die Schweiz eine solche besitzt. Für diese Vertretung fallen somit derzeit ausser Betracht, die Schweiz selbst und Österreich, wo das Fürstentum eigene Gesandtschaften unterhält, sowie die Cechoslovakei, in welcher die Errichtung einer liechtensteinischen Vertretung in Erwägung steht. [3] Mit Schreiben vom 21. November 1919 hat der Bundesrat sodann den Wunsch geäussert, über die Art und Weise, wie die Durchführung dieser Interessenvertretung sich gestalten soll, nähere Angaben zu erhalten. [4] Indem ich die Ehre habe, Euer Excellenz unter Bezugnahme auf das vor kurzem überreichte Handschreiben Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten [Johann II.] an Euer Excellenz, [5] den Dank Höchstdesselben und der fürstlichen Regierung nochmals zum Ausdruck zu bringen, erlaube ich mir, im Folgenden auseinanderzusetzen, in welchen Richtungen die fürstliche Regierung diese Interessenvertretung erbittet, wobei sie von der Grundlage ausgeht, dass der schweizerische Bundesrat, entsprechend seiner freundlichen Zustimmungserklärung vom 24. Oktober 1919, die Interessenvertretung für Liechtenstein unbeschadet der Souveränitätsrechte des Fürstentums auf unbestimmte Zeit und vorbehältlich des Rechtes des regierenden Fürsten, eigene Vertretungen dort zu schaffen, wo sich dies als notwendig herausstellen sollte, übernimmt. 

Die Interessenvertretung würde nach der Ansicht der fürstlichen Regierung in erster Linie die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der liechtensteinischen Staatsbürger zu umfassen haben, wobei ich mir auf die Tatsache hinzuweisen erlaube, dass diese Interessen derzeit vielfach dadurch gefährdet erscheinen, dass liechtensteinische Staatsbürger als Angehörige der Zentralmächte angesehen und in vermögensrechtlicher Beziehung behandelt werden. 

Weiterhin würde die fürstliche Regierung sich erlauben, den schweizerischen Bundesrat in einzelnen Fällen, wo ihr dies notwendig erscheint, zu bitten, durch seine Gesandtschaften den Verkehr mit fremden Regierungen zu vermitteln oder bei dieser für die Wahrung der wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten des Fürstentums, wie beispielweise die Versorgung des Landes mit gewissen Lebensmitteln und Kohlen, zu intervenieren. Sie würde sich erlauben, jeweils mit einer entsprechenden Note an das schweizerische Politische Departement heranzutreten.

Der schweizerische Bundesrat würde sich ferner der fürstlichen Regierung sehr zu Dank verpflichten, wenn er seine Vertreter in den oben genannten Staaten anweisen wollte, liechtensteinischen Staatsbürgern, die sich als solche ausweisen und im Bezirk der betreffenden Vertretung Wohnsitz haben, auf ihr Begehren Pässe zu vidieren oder zu erneuern oder neue Pässe auszustellen

Liechtensteinische Staatsbürger würden dabei ihre Identität durch einen Heimatschein oder Reisepass nachweisen. 

Für die Ausstellung von Heimatscheinen sind derzeit zuständig die Gemeindevorstehungen von Vaduz, Triesen, Balzers, Triesenberg, Schaan, Planken, Eschen, Mauren, Gamprin, Ruggell, Schellenberg. Ausser dem Stempel einer dieser Gemeindevorstehungen und der Unterschrift des Gemeindevorstehers müssen die Heimatscheine zu ihrer Gültigkeit den Stempel der fürstlichen Regierung und die Unterschrift des Landesverwesers oder dessen Stellvertreters tragen. 

Reisepässe, die aus der Zeit vor dem 1. März 1920 stammen, wären nur dann als richtig anzuerkennen, wenn sie entweder von der fürstlichen Regierung in Vaduz oder von der fürstlichen Gesandtschaft in Wien oder Bern ausgestellt sind und demgemäss den Stempel der Regierung oder einer der beiden Gesandtschaften tragen, während die in einem späteren Zeitpunkt ausgestellten Pässe auch von schweizerischen Vertretern ausgestellt sein können. 

Der fürstlichen Regierung wäre es sehr erwünscht, wenn die Neuausstellung, sowie die Erneuerung eines Passes jeweils auf dem Heimatschein angemerkt, wie auch anderseits auf dem Pass eine Anmerkung angebracht würde, auf Grund welcher Papiere derselbe ausgestellt worden ist. Damit dürfte eine genügende Grundlage geschaffen sein, um zu verhindern, dass ein und derselbe Inhaber gleichzeitig mehrere Pässe besitzt, indem die Ausstellung eines Passes, sobald auf dem Heimatschein bereits ein Pass angemerkt ist, nur erfolgen würde gegen Aushändigung des alten, wenn nicht dessen Verlust glaubhaft gemacht wird. Hingegen würde die fürstliche Regierung auf die Aushändigung und Deponierung des Heimatscheines keinen Wert legen. 

Über die jeweilige Ausstellung eines Passes, an welchem die Anbringung einer Photographie und der eigenhändigen Unterschrift des Inhabers zu erfolgen hat, wird eine kurze Mitteilung, gegebenenfalls unter Anschluss des eingezogenen Passes, durch Vermittlung des Politischen Departements, an die fürstliche Gesandtschaft in Bern erbeten. 

Für Kinder unter 10 Jahren werden liechtensteinischerseits gegenwärtig keine besonderen Pässe ausgestellt, wenn sie nicht allein reisen. Sie werden dann auf dem Pass der Begleitperson angemerkt. 

Bezüglich der zu erhebenden Gebühren nimmt die fürstliche Regierung an, dass die schweizerischen Vertreter für die Ausstellung, Erneuerung und Vidierung von Pässen von Liechtensteinern die gleichen Gebühren einheben wie von Schweizern, die dann der schweizerischen Eidgenossenschaft zufallen würden. 

Für die Neuausstellung wird sich die fürstliche Gesandtschaft erlauben, dem Politischen Departement eine Anzahl liechtensteinischer Passhefte mit deutschem und französischem Text zu übermitteln, mit der Bitte dieselben nach Gutdünken unter die schweizerischen Vertretungen im Auslande verteilen zu wollen. [6] Bei diesem Anlass werden auch Reproduktionen der vorbezeichneten 3 Stempel der kompetenten Ämter und zwar der fürstlichen Regierung in Vaduz sowie der fürstlichen Gesandtschaften in Wien und Bern nachfolgen. Bei der fürstlichen Regierung stand bis 1910 eine Stampiglie in Verwendung, deren Abdruck ebenfalls mitfolgt und welche auch auf Pässen der letzten Jahre noch Anwendung fand. 

Falls an schweizerische Vertreter Gesuche oder Anfragen von Nichtliechtensteinern betreffend die Erteilung der Einreisebewilligung nach dem Fürstentum gestellt werden sollten, wäre die fürstliche Regierung denselben sehr verbunden, wenn sie die Petenten darauf hinweisen wollten, dass solche Gesuche an die fürstliche Gesandtschaft in Wien beziehungsweise Bern zu richten sind, je nachdem die Einreise durch die Schweiz oder Österreich gewünscht wird, da die Bestimmungen über die Einreise und Aufenthaltsbewilligung einem ziemlich häufigen Wechsel unterworfen sind. Jedenfalls würde es den Petenten frei gestellt sein, zu diesem Zweck persönlich auf der betreffenden Gesandtschaft vorzusprechen oder aber ein schriftliches Gesuch direkt oder durch die Vermittlung der schweizerischen Vertretung durch das Politische Departement an die fürstliche Gesandtschaft zu richten. 

Wenn schweizerische Vertreter von Liechtensteinischen Bürgern um Ausstellung oder Erneuerung von Zivilstandsurkunden (wie Heimats-, Geburts-, Ehe-, Todesscheine, Familienhefte usw.) angegangen werden, so möchten sie die Gesuchsteller darauf aufmerksam machen, dass derartige Gesuche an die fürstliche Regierung zu stellen sind, sei es direkt oder durch eine der beiden fürstlichen Gesandtschaften in Wien oder Bern oder durch die gütige Vermittlung der schweizerischen Vertretung. [7] 

Bezüglich der Unterstützung in Not geratener liechtensteinischer Staatsbürger wäre die fürstliche Regierung dem Politischen Departement sehr verbunden, wenn es seine Vertretungen anweisen wollte, Liechtensteinern in Fällen äusserster Notlage die dringenst nötigen Mittel vorzuschiessen, unter sofortiger Mitteilung an die fürstliche Regierung durch Vermittlung des Politischen Departements. Die dergestalt gemachten Auslagen würden von der fürstlichen Regierung sofort ersetzt werden. 

Die fürstliche Regierung würde auch grossen Wert darauf legen, wenn Liechtensteiner sich zur Beglaubigung von Privaturkunden gegen Erlegung der gleichen Gebühren wie Schweizer an die schweizerischen Vertreter wenden dürften.

Ferner wäre die fürstliche Regierung dem schweizerischen Bundesrat sehr zu Dank verpflichtet, wenn seine Vertretungen im Auslande ganz allgemein die Interessen liechtensteinischer Bürger, ihren Schutz und ihre Unterstützung in gleicher Weise wahrnehmen wollten wie schweizerische.

Dabei wäre es wohl sehr wünschenswert, wenn die im Bezirk einer schweizerischen Vertretung wohnhaften Liechtensteiner sich direkt an die schweizerische Vertretung wenden könnten wie Schweizer. In den anderen Fällen dagegen würde jeweils ein entsprechendes Gesuch an das schweizerische Politische Departement gestellt werden. 

Endlich glaubt die fürstliche Regierung im Sinne der seinerzeit vom k.u.k. Ministerium des Äussern an die ehemaligen k.u.k. österreichisch-ungarischen Vertretungen ergangenen Weisung [8] ersuchen zu dürfen, Seiner Durchlaucht dem regierenden Fürsten von Liechtenstein und seinen Familienmitgliedern bei deren Verweilen im Auslande, die ihrer Stellung angemessenen Rücksichten und eventuell förderlichsten Schutz und Beistand angedeihen lassen zu wollen.

Es gereicht Seiner Durchlaucht dem regierenden Fürsten zur hohen Genugtuung und Freude, die liechtensteinischen Interessen in den Ländern, wo das Fürstentum keine eigene Vertretung hat, dem bewährten Schutz der Schweiz anvertrauen zu dürfen, und ist Höchstderselbe überzeugt, die liechtensteinischen Interessen auf diese Weise am besten gewahrt zu wissen.

Genehmigen Euer Excellenz, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung. [9]

Der fürstliche Geschäftsträger:

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[1] LI LA RE 1920/1104 ad 0141. Weitere Abschrift in LI LA V 143/4375. Vgl. die Stellungnahme des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, zum Entwurf der Note zuhanden der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern vom 13.2.1920 bzw. die Stellungnahme von Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein zuhanden der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien vom 19.2.1920 (LI LA RE 1920/0773 ad 0141). Vgl. ferner die Stellungnahme von Prinz Eduard an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern vom 2.3.1920 (LI LA RE 1920/1104 ad 0141 (Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: 202/1)). Vgl. auch LI LA V 002/0059 und LI LA V 003/0081.
[2] Vgl. das Schreiben der Abteilung für Auswärtiges des Eidgenössischen Politischen Departements an den liechtensteinischen Geschäftsträger Emil Beck vom 24.10.1919 (CH BAR, E 2001(E)/1969/262/Schachtel 1). Abschrift in LI LA V 002/0057 (Aktenzeichen EPD: 111.T/M.-B.14.24.P.4). Vgl. auch die diesbezügliche Mitteilung der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Regierung vom 24.10.1919 (LI LA V 002/0057).
[3] 1919 wurden liechtensteinische Gesandtschaften in Wien und Bern eingerichtet (vgl. z.B. LI LA V 003/1165). Die Errichtung einer Gesandtschaft in Prag scheiterte dagegen, weil die tschechoslowakische Regierung Liechtenstein wegen der anstehenden Bodenreform nicht als souveränen Staat anerkannte. Mit Schreiben vom 20.4.1921 teilte die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern dem Eidgenössischen Politischen Departement mit, dass Liechtenstein von der Errichtung einer eigenen Vertretung in Prag absehe (CH BAR 2001(E)/1969/, 262, Schachtel 43). Doch auch die Vertretung der liechtensteinischen Interessen in Prag durch die Schweiz stiess auf unüberwindliche Schwierigkeiten.
[4] Vgl. das Schreiben der Abteilung für Auswärtiges des Eidgenössischen Politischen Departements an den liechtensteinischen Geschäftsträger Emil Beck vom 21.11.1919 (LI LA V 002/0059 (Aktenzeichen des EPD: 111.T/M.-B.14.24.P.4.)). Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Regierung vom 26.11.1919 (LI LA RE 1919/5810 ad 0589).
[5] Vgl. den Briefwechsel zwischen Fürst Johann II. und dem Schweizer Bundespräsidenten Giuseppe Motta vom 6. und 24.1.1920 (LI LA RE 1920/0141).
[6] Landesverweser Prinz Karl teilte der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien am 26.3.1920 mit, dass die Drucklegung von 3000 Pässen zur Verwendung bei den schweizerischen Auslandsmissionen genehmigt wurde (LI LA RE 1920/1416 ad 0141).
[7] Vgl. LI LA V 002/0062 und LI LA V 002/0064.
[8] Vgl. das Zirkular des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums an die k.u.k. Missionen vom 24.10.1880 (Abschrift unter LI LA RE 1919/6087 ad 0589).
[9] Ein Antwortschreiben des Politischen Departements bzw. des Schweizer Bundespräsidenten konnte im Liechtensteinischen Landesarchiv nicht aufgefunden werden.