Emil Beck berichtet der Regierung über die Resultate der Verhandlungen mit der Schweiz über ein Fremdenpolizeiabkommen


Maschinenschriftliches Schreiben von Emil Beck, liechtensteinischer Geschäftsträger in Bern, an die Regierung [1]

11.12.1923, Bern

Zollvertrag

Fremdenpolizei

In der Beilage übergebe ich Ihnen den Text der Vereinbarung über die Handhabung der Fremdenpolizei in Liechtenstein, samt Zusatzerklärung. [2] Derselbe ist das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Eidgenössischen Arbeitsamt, der Zentralstelle für Fremdenpolizei, der Polizeiabteilung und der innerpolitischen Abteilung. [3] Alle beteiligten Stellen haben nunmehr ihre Zustimmung gegeben. Auch Bundesrat [Heinrich] Häberlin ist mit diesem neuen Text einverstanden. Es wird nun bloss noch die Antwort der Regierungen von St. Gallen und Graubünden abgewartet. Dann wird die Vereinbarung samt Zusatzerklärung dem Gesamtbundesrate zum Beschluss vorgelegt, [4] und hierauf kann die Unterzeichnung stattfinden.

Ich glaube, dass die gefundene Lösung unseren Bedürfnissen und Wünschen sehr weit entgegenkommt.

Bezüglich der Einbürgerungspraxis haben wir uns in Art. 2 der Zusatzerklärung auf eine Formel geeinigt, [5] welche wohl als das Minimum dessen bezeichnet werden kann, was die Schweiz billigerweise von uns verlangen dürfte. Wir sind in Gesetzgebung und Praxis diesbezüglich vollständig frei. Bloss darf dies nicht zu Missbräuchen führen, welche eine Umgehung der schweizerischen Fremdenpolizeigesetzgebung führen. So werden wir die nötige Vorsicht walten lassen müssen gegenüber Personen, welche lediglich deswegen Liechtensteiner werden wollen, um sich dadurch die freie Einreise in die Schweiz zu sichern, die ihnen sonst verweigert würde. Die Schweiz könnte sich sonst auf Art. 34 des Vertrages berufen. [6]

Anfänglich war eine viel weitergehende Einschränkung und Kontrolle vorgesehen. [7] Die gegenwärtige Fassung aber gibt uns eine freiere Stellung, als die Kantone sie besitzen.

Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Fremdenpolizei. Durch eine Reihe von Verhandlungen (von denen diejenigen mit der Fremdenpolizei sehr hartnäckig waren), war es möglich, unsern Arbeitern die Freizügigkeit grundsätzlich zu sichern, ohne die Einschränkungen übernehmen zu müssen, welche die Kantone sich gefallen lassen müssen. Während die Kantone grundsätzlich nicht berechtigt sind, einem Ausländer die Einreise von sich aus zu gestatten, kann die fürstliche Regierung von sich aus die Einreisebewilligung erteilen, bezw. die Schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate ohne Anfrage der Zentralstelle für Fremdenpolizei anweisen, das Visum zu erteilen. Es tritt damit die mehrfach gewünschte Erleichterung ein, dass das liechtensteinische Visum auf jedem schweizerischen Konsulat erhältlich ist.

Die Zentralstelle erhält lediglich eine Mitteilung und hat das in Art. 9, Absatz 1 der Verordnung [8] vorgesehene Recht, welches aber praktisch (wie mir der Chef der Fremdenpolizei [Heinrich Rothmund] mitteilt) fast nie angewendet wird.

Weitaus am meisten Schwierigkeiten bot die Freizügigkeit der Arbeiter. Wie Sie wissen, hatte ich eine Fassung vorgeschlagen, laut welcher die Niederlassung nicht wegen Arbeitsmangel hätte verweigert werden dürfen. [9] Das Eidgenössische Arbeitsamt hatte sich mit dieser Formel, unter Vorbehalt der für den kleinen Grenzverkehr nötigen Bewilligungen, einverstanden erklärt, trotzdem der Schweiz dadurch vermehrte Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung erwachsen. Der Chef der Fremdenpolizei aber hatte grosse prinzipielle Bedenken gegen diese Fassung. Er erklärte sie trotz des Standpunktes des Arbeitsamtes für schlechtweg unannehmbar wegen der Rückwirkungen auf die Verhandlungen mit allen andern Staaten, deren Niederlassungsverträge sämtlich gekündigt sind.

Herr Dr. Rothmund schlug mir demgegenüber die folgende Lösung vor: "Unter Berücksichtigung der durch den Zollvertrag geschaffenen Verhältnisse  sichern sich die beiden Staaten tunlichstes Entgegenkommen bei der Behandlung von Gesuchen ihrer Angehörigen um Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsannahme zu."

Nach langen weitern Verhandlungen, an welchen auch der Herr Landtagspräsident [Wilhelm Beck] teilnahm, schlug ich dann die jetzige Fassung des Art. 1 des Übereinkommens [10] vor, welcher schliesslich akzeptiert wurde. Dabei habe ich aber am Schlusse der Verhandlungen ausdrücklich betont, dass nicht der blosse Arbeitsmangel in der Schweiz als ein "besonderes Verhältnis" gemäss Art. 1, Absatz 1 der Zusatzerklärung [11] aufgefasst werden dürfe. [12] Vielmehr müsse unseren Arbeitern die Aufenthaltsbewilligung grundsätzlich auch bei Arbeitslosigkeit erteilt werden. Als Beispiel eines "besonderen Verhältnisses" wurde der Fall erwähnt, dass ein Liechtensteiner Bauarbeiter im Sommer in einem andern Staate arbeiten und im Winter den Schweizer Bauarbeitern den Verdienst wegnehmen würde.

Damit haben wir fast unbeschränkte Freizügigkeit. Unsere Arbeiter brauchen somit für die Arbeitsannahme in der Schweiz weder ein Visum, noch eine Arbeitsbewilligung. Und auch die Aufenthaltsbewilligung darf ihnen nicht wegen blosser Arbeitslosigkeit verweigert werden.

Der Chef der Fremdenpolizei hat mir die Zusicherung gegeben, dass diese Vereinbarung loyal gehandhabt werde, sodass wohl alle Liechtensteiner Beschäftigung finden werden. Überdies wird das Arbeitsamt die fürstliche Regierung regelmässig und prompt über den Arbeitsmarkt informieren.

Endlich habe ich die Zentralstelle auch ersucht, die kantonalen Behörden zu veranlassen, dass sie den Liechtensteinern die Bewilligung auf längere Zeit erteilen und nicht aus den Niederlassungs- und Aufenthaltsgebühren ein Geschäft machen. Auch hier ist eine loyale Haltung zugesichert worden.

Die Verpflichtungen, welche wir andererseits auf uns nehmen, sind demgegenüber nicht sehr gross. Namentlich dürfte die Gefahr, dass wir an Schweizer Arbeiter Arbeitslosenunterstützungen in grösserem Umfange bezahlen müssten, nicht gross sein, da ein einjähriger Wohnsitz vor dem Jahre 1915 gefordert ist.

Erwähnen möchte ich noch einen Punkt. Die Vereinbarung sieht in Art. 5, Absatz 2 eine Arbeitsbewilligung für den kleinen Grenzverkehr vor. Aus diesem Wortlaut könnte man schliessen, dass zu beiden Seiten der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze eine solche Zone (von 10 km Breite) geschaffen werden sollte. Damit wäre aber die Freizügigkeit der Schweizerarbeiter in Liechtenstein vollständig ausgeschaltet. Unsere Gegenleistung wäre damit illusorisch, was offenbar nicht beabsichtigt war. Der Wortlaut ist hier also für uns wesentlich günstiger, als wir es verlangen könnten.

Ich ersuche Sie, diesen neuen Text der Vereinbarung und der Zusatzerklärung zu prüfen und mich zur Unterzeichnung zu bevollmächtigen. [13]

Beilagen. [14]

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[1] LI LA V 002/0298/56-59. Aktenzeichen: 1220. Eingangsstempel der Gesandtschaft in Bern.
[2] Vereinbarung vom 28.12.1923 zwischen Liechtenstein und der Schweiz über die Regelung der fremdenpolizeilichen Beziehungen (LI LA SgSTV 1923.12.28). Die Vereinbarung wurde publiziert in AS, Bd. 40, 1924, S. 1-4; sowie in Rech.ber. 1923, S. 20-23.
[3] Zum Gang der Verhandlungen vgl. LI LA RE 1925/0027, Rechenschaftsbericht der Gesandtschaft Bern 1923 und 1924, besonders S. 47-49, 62-74.
[4] Der Bundesrat stimmte der Vereinbarung am 26.12.1923 zu (DDS, Bd. 8, Nr. 307).
[5] Der entsprechende Artikel (in der definitiven Fassung der Zusatzerklärung aufgrund von redaktionellen Änderungen Artikel 3) lautet: "Es besteht auch Einverständnis darüber, dass die Fürstliche Regierung dafür besorgt sein wird, dass durch ihre Einbürgerungspraxis die schweizerischen Bestimmungen über die Fremdenpolizei nicht umgangen werden."
[6] Artikel 34 des Zollvertrags vom 29.3.1923 (LGBl. 1923 Nr. 24) lautet: "Die Schweizerische Eidgenossenschaft behält sich vor, die fremdenpolizeiliche Grenzkontrolle wieder an der schweizerisch-liechtensteinischen-Grenze vorzunehmen, wenn die vom Fürstentum Liechtenstein getroffenen Massnahmen vom Bundesrate als ungenügend erachtet werden."
[7] Ursprünglich wollte die Schweiz jede Einbürgerung in Liechtenstein von der Zustimmung des Bundesrats abhängig machen (LI LA SF 27/1923/0881 ad 8, Beck an Regierung, 10.11.1923).
[8] Gemeint ist die Verordnung vom 29.11.1921 über die Kontrolle der Ausländer (AS, Bd. 37, 1921, S. 825-833), die im genannten Artikel der Zentralstelle für Fremdenpolizei das Recht gibt, Einreisebewilligungen aufzuheben, "wenn Tatsachen bekannt werden, die die Einreise als unerwünscht erscheinen lassen".
[9] Beck hatte folgende Fassung vorgeschlagen: "Zwischen den beiden Parteien besteht Einverständnis darüber, dass den Angehörigen des einen Staates im andern Staate die Niederlassung nicht wegen Arbeitsmangel verweigert wird" (LI LA V 002/0300, Entwurf Zusatzerklärung, vom eidgenössischen Arbeitsamt akzeptiert am 30.11.1923).
[10] Gemeint ist Artikel 1 der Zusatzerklärung (in der definitiven Fassung der Zusatzerklärung aufgrund von redaktionellen Änderungen Artikel 1 und 2).
[11] Dieser Absatz (in der definitiven Fassung der Zusatzerklärung aufgrund von redaktionellen Änderungen Artikel 2, Absatz 1) lautet: "Die vertragschliessenden Teile sind ferner darüber einig, dass unter Berücksichtigung der durch den Zollanschluss des Fürstentums geschaffenen Lage jeder der beiden Staaten den Angehörigen des andern Staates Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsannahme nicht verweigern wird, wenn nicht besondere Verhältnisse dies rechtfertigen."
[12] Gemäss Ansicht des Bundesrats (DDS, Bd. 8, Nr. 307, Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 26.12.1923) war dieser Absatz wie folgt zu interpretieren: "Die beiden Staaten sichern sich tunlichstes Entgegenkommen bei der Behandlung von Gesuchen ihrer Angehörigen um Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsannahme zu. Dieser soll in der Regel nur wegen schwerer Arbeitslosigkeit verweigert werden."
[13] Die Regierung antwortete mit Schreiben vom 13.12.1923, sie sei damit einverstanden, dass Beck diese Vereinbarung unterzeichne (LI LA V 002/0298/60).
[14] Nicht aufgefunden.