Die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern berichtet über die internationale Vorgangsweise bei der Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung im Ausland durch die Schweiz


Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern, gez. Geschäftsträger Emil Beck, an die liechtensteinische Regierung [1]

26.11.1919, Bern

Bezüglich der Frage der Art und Weise des Vorgehens, um von den Regierungen derjenigen Staaten, in welchen die Schweiz die Vertretung der liechtensteinischen Interessen übernimmt, das Agrément zu dieser Übernahme der Interessenvertretung zu erlangen, beehre ich mich, Ihnen folgendes mitzuteilen.

Nachdem der schweizerische Bundesrat, dem Sie bereits Ende April direkt die Frage der Übernahme der Interessenvertretung vorgelegt hatten, [2] mir auf meine Rechargierungen durch Herrn [Charles Louis Etienne] Lardy mündlich seine prinzipielle Bereitschaft zur Übernahme der Interessenvertretungen hatte mitteilen lassen, richtete ich am 21. Oktober [3] im Sinne der mit Ihnen am 16. Oktober gehabten Besprechung [4] an den Bundesrat offiziell eine Note, worin ich ihn um die Übernahme der Interessenvertretung ersuchte. [5] Daraufhin hatte ich mit Herrn Lardy eine Besprechung über die Frage, in welcher Weise das Agrément der in Betracht fallenden Regierungen einzuholen sei. Wir kamen dabei zum Schluss, es sei am zweckmässigsten, wenn die Schweiz mit einer Note an die betreffenden Regierungen gelange, unter Beilage meiner Note, in welcher ich den Bundesrat um die Übernahme der Interessenvertretung ersucht habe. Dieses Vorgehen schien uns den Vorteil zu bieten, dass die verschiedenen Regierungen sich eher veranlasst sehen werden, ihr Argrément zu erteilen. Denn bei einem solchen Vorgehen würde die Ablehnung oder das Stillschweigen eine Unfreundlichkeit nicht nur gegenüber dem Fürstentum, sondern auch gegenüber der Schweiz bedeuten, ein Umstand der umsomehr ins Gewicht fällt, als die Schweiz mit diesen Ländern bereits in diplomatischen Beziehungen steht, während dies für das Fürstentum nicht zutrifft.

Anderseits schein es zweckmässig, eine Dualität des Vorgehens, bei welcher Froissierungen [6] leicht eintreten können, nach Möglichkeit zu vermeiden. Daher hielt ich den vom Politischen Department gemachten Vorschlag für zweckmässig, wonach das Departement seiner Note eine deutsche und eine französische Kopie meiner Note vom 21. Oktober beilegte, in welcher ich den Bundesrat um die Übernahme der Vertretung ersucht hatte. In diesem Sinne hat dann die Schweiz eine Note an alle in Betracht fallenden Staaten gerichtet, wobei sie drei Gruppen unterschied: In denjenigen Staaten, in welchen sie eine diplomatische Vertretung besitzt, liess sie diese Note durch ihren Vertreter der Regierung übermitteln (Beil. Note 1). Die Mitteilung an diejenigen Staaten, in welchen die Schweiz nur eine konsularische Vertretung hat, erfolgte an deren diplomatische Vertretung in Bern, soweit eine solche besteht, in den andern Fällen direkt an die Regierung. (Beil. Note 2 und 3). Welche Staaten dies betrifft, ersehen Sie aus den beigelegten Kopieen der Note, welche die Schweiz an die verschiedenen Staaten gerichtet hat. [7]

Im Anschluss daran erlaube ich mir einige Worte über die Interessenvertretung in Frankreich, die nunmehr von der Schweiz übernommen wird. Die von Ihnen an den Bundesrat gerichtete Anfrage betr. die Übernahme der Interessenvertretung enthielt selbstredend keine Einschränkung mit Bezug auf Frankreich, weil damals eine eigene Vertretung noch nicht in Aussicht genommen war. Aber auch später, nachdem von einer solchen bereits die Rede gewesen, vertraten Sie den Standpunkt, dass die Übernahme der Vertretung auch in Frankreich wünschenswert sei, wenigstens für eine relativ kurze Zeit, bis zur Errichtung einer eigenen Vertretung. So war dies insbesondere auch der Fall, wenn ich mich recht entsinne, bei meinem letzten Besuch in Vaduz am 16. Oktober. Als ich dann vom Bundesrat die inoffizielle Zustimmung zur Interessenvertretung erhielt, machte ich auch in der offiziellen Anfrage keine Einschränkung inbezug auf Frankreich, im Sinne der gehabten Besprechungen. Nachträglich aber stiegen mir Bedenken auf, ob nicht doch vielleicht von Wien aus direkt schon Schritte getan worden seien zur Errichtung einer eigenen Vertretung in Paris, die sich mit meinem Vorgehen hier kreuzen könnten. Ich ersuchte daher das Politische Departement sofort, inbezug auf die Vertretung in Frankreich vorläufig nichts weiteres zu unternehmen. Herr Lardy versprach mir das, obschon die inoffizielle Zustimmung in Paris bereits eingeholt war. Gleichen Tags fragte ich Sie telefonisch an und erhielt die Antwort, dass die vorläufige Vertretung in Frankreich durch die Schweiz auch jetzt noch erwünscht sei, dass ich mich aber in Wien noch genauer erkundigen solle. Daraufhin richtete ich, trotzdem ich es mangels Chiffern nicht gern tat, das Telegramm vom 30. Oktober an die Gesandtschaft in Wien, um Weisungen für mein weiteres Vorgehen zu erhalten. [8] Als ich dann in den Besitz einer Abschrift eines an Sie gerichteten Schreibens der fürstlichen Gesandtschaft vom 6. November, Zl. 397/3, gelangte, [9] teilte ich dem Departement mit, dass die Übernahme der Vertretung durch die Schweiz auch für Frankreich erwünscht sei. Herr Lardy war von dieser Lösung sehr befriedigt und erklärte, dass dadurch die Errichtung einer Vertretung in Paris nichts im Wege stehe. Insbesondere könne eine solche schon nach wenigen Monaten ohne Froissierung der französischen oder der schweizerischen Regierung erfolgen. In diesem Sinne werde die Schweiz ihrer offiziellen Anfrage in Paris die Klausel beifügen, dass die Übernahme der Vertretung selbstverständlich nur für so lange erfolge, als die fürstliche Regierung nicht eine eigene Vertretung in Paris bestelle.

Auf Ihre Anfrage, ob das Politische Departement mit der von der fürstlichen Gesandtschaft in Wien vorgeschlagenen Notifizierung der Interessenvertretung einig gehe, habe ich verschiedentlich versucht, mit Herrn Lardy diese Frage zu besprechen, konnte ihn aber wegen Teilnahme an den Verhandlungen einer Kommission leider nicht sprechen, und sein Vertreter wusste in dieser Frage keine Auskunft. Ich habe daher mit der Beantwortung Ihrer Frage zugewartet, in der Hoffnung, Herrn Lardy vorher noch sprechen zu können. Wie ich erfahre, wird Herr Lardy morgen zu sprechen sein, und ich werde Ihnen nach gehabter Besprechung sofort Mitteilung machen. [10]

Eine Abschrift dieses Schreibens geht an die Gesandtschaft in Wien. [11] 

Der fürstliche Geschäftsträger

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[1] LI LA RE 1919/5810 ad 0589. Das Dokument langte am 28.11.1919 bei der Regierung ein. Bezugnahme auf das Schreiben der liechtensteinischen Landesverweser Prinz Karl an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 18.11.1919 (LI LA RE 1919/5624 ad 0589).
[2] Landesverweser Prinz Karl hatte in einer Besprechung mit Bundesrat Felix Calonder, dem Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements, am 22.4.1919 die Frage der diplomatischen Vertretung des Fürstentums im Ausland durch die Schweiz aufgeworfen (vgl. CH BAB, E 2001(B)/1, Schachtel 19, Protokollauszug der Sitzung des schweizerischen Bundesrates vom 10.6.1919).
[3] Vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an Bundesrat Calonder vom 21.10.1919 (CH BAB, E 2001(E)/1969/262, Schachtel 42).
[4] Vgl. dazu das Schreiben der Regierung an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 17.10.1919. Beck weilte am 15. und 16.10.1919 in Liechtenstein (LI LA RE 1919/5027 ad 0589 revers (siehe Fussnote 4)).
[5] Das Eidgenössische Politische Departement erklärte sich bereits mit Note vom 24.10.1919 an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern bereit, die Interessenvertretung des Fürstentums zu übernehmen (vgl. CH BAB, E 2001(E)/1969/262, Schachtel 1).
[6] Froissieren: brüskieren, vor den Kopf stossen.
[7] Vgl. das Schreiben des Eidgenössischen Politischen Departements an Geschäftsträger Beck vom 28.10.1919 mit den Noten 1 und 2 als Beilagen (LI LA RE 1919/5810 ad 0589 (Aktenzeichen des Politischen Departements, Abteilung für Auswärtiges: 111.T/M.-B.1.4.24.P4). Die Note 3 findet sich nicht in der Akte.
[8] Vgl. LI LA V 003/0067 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 397/2): In diesem Telegramm wurde angefragt, ob die Akkreditierung in Paris schon anhängig sei oder ob die Schweiz die Interessenvertretung für einige Monate übernehmen könne. Die Schweiz habe auf diesbezügliche Anfrage in Paris die inoffizielle Zustimmung erhalten.
[9] Vgl. das Schreiben des liechtensteinischen Gesandten Prinz Eduard an die liechtensteinische Regierung vom 6.11.1919 (LI LA V 003/0067 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 397/3)).
[10] Vgl. hiezu das Schreiben der liechtensteinischen Geschäftsträgers Beck an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 28.11.1919 bzw. die Abschrift zuhanden der Regierung (LI LA RE 1919/5811 ad 0589). – Die Angelegenheit wurde am 1.12.1919 von der Regierung mit Bezugnahme auf die genannte Akte ad acta gelegt.
[11] Vgl. LI LA V 003/1477 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 450/4).