Maschinenschriftliches Schreiben von Landesverweser Prinz Karl an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern [1]
1.4.1920
An die fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft in Bern.
Durch Jahrzehnte hindurch zogen immer im Frühjahr Scharen von liechtensteinischen Arbeitern in die Schweiz, um dort während der Sommermonate als Maurer, Gipser, Zimmermänner oder Handlanger das Auskommen zu finden und für Ihre in der Heimat weilenden Familien einige Franken auf die Seite zu legen, auf dass bei der Rückkehr im Herbste die notwendigen Anschaffungen für den Winter für die Familien besorgt werden konnten.
Während des langen Krieges, vielmehr aber erst seit Ende desselben, werden die Einreisevorschriften für den grossen Grenzverkehr immer schwieriger und es hat den Anschein, dass es jetzt überhaupt unmöglich ist, die Bewilligung zu erlangen, da nach Beschluss des Bundesrates die Einreise für männliche Personen untersagt bleibe.
Bitter ist es für unsere Arbeiter hier im Lande um den Lebensunterhalt zu kämpfen, denn für alle Lebensbedürfnisse werden Franken verlangt, die Arbeit aber will nicht in Franken bezahlt werden, was ich aus dem Grunde begreifen kann, weil eben grosse Teile der Bevölkerung nicht mit Franken versehen sind. Ausserdem liegt hier im Lande jede Bautätigkeit darnieder und es ist nicht zu erwarten, dass dieselbe dieses Jahr wieder aufgenommen werden dürfte. Unsere Valutamisere wird noch schwere Folgen zeitigen und die bitteren Zeiten dürften noch nicht ganz ausgekostet sein.
Der Obmann des Arbeitervereines des Fürstentums Liechtenstein [Friedrich Kaufmann] ist selbst um Bewilligung der Einreise bei der Schweizer-Behörde eingekommen, bittet aber, mich auch noch zu verwenden, da mehrere grosse Schweizerfirmen eine ziemlich beträchtliche Anzahl von Arbeitern einstellen würden und so den Arbeitern der Verdienst gesichert wäre.
Ich ersuche die fürstl. Gesandtschaft, sich bei der zuständigen Behörde zu verwenden und dabei darauf Gewicht zu legen, dass durch die Erteilung der Bewilligung zur Einreise für liechtensteinische Arbeiter die Schweiz gewiss nicht Gefahr laufen dürfte, den Bolschewismus einzuschleppen, denn dies dürfte beträchtlich dazu beigetragen haben, die Einreisevorschriften zu verschärfen. Überdies dürfte die Schweiz diesem Ansuchen umsoeher stattgaben, als nun die wirtschaftliche Annäherung an die Schweiz in Aussicht steht. – Die im mitfolgenden Verzeichnisse [2] blau Unterstrichenen sind österr. Staatsangehörige. [3]
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[1] LI LA V 002/0370. Aktenzeichen: 1525/Reg. Das Schreiben ging bei der Gesandtschaft am 6.4.1920 unter der Nr. 355 ein. Handschriftliches Konzept unter LI LA RE 1920/1525.
[2] Nicht aufgefunden.
[3] Der liechtensteinische Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, antwortete am 23.4.1920, dass nach seinen Erkundigungen die Einreise von Bauarbeitern keine Schwierigkeiten bereite, die Aussichten für andere Berufsgruppen, insbesondere Hotel- und Büropersonal, jedoch sehr schlecht seien (LI LA RE 1920/1933 ad 1525).