Austrägal-Ordnung des deutschen Bundes,
bestehend aus der Vermittlungs-Ordnung und der Austrägalgerichts-Ordnung in Streitigkeiten zwischen Bundesgliedern, festgesetzt durch Bundesbeschluss[1]
vom 16. Juni 1817, XXXV. Sitzung § 231
Die verbündeten souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands haben die schon in der Wesenheit des deutschen Bundes, als eines mit einem gemeinschaftlichen Nationalbande verbundenen Staatenvereins gegründete Verpflichtung durch den XI. Artikel der Bundesacte ausdrücklich übernommen, sich unter einander unter keinerlei Vorwande zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen.
Zur Verfolgung dieses Bundeszweckes und zur Erfüllung der in der Bundesacte hierüber noch besonders übernommenen Pflichten hat die Bundesversammlung Folgendes festgesetzt:
I. Die Bundesversammlung ist diejenige Behörde, bei welcher alle und jede Streitigkeiten der Bundesglieder unter sich anzubringen sind. Es versteht sich jedoch von selbst, daß den Bundesgliedern überlassen bleibe, auch ohne Zutritt der Bundesversammlung die gütliche Ausgleichung ihrer Streitigkeiten, unter sich zu treffen, und sich einander die Austräge zu gewähren; indem die Thätigkeit der Bundesversammlung nur dann eintritt, wenn sich die Bundesglieder über einen streitigen Gegenstand auf keine Art unter sich einigen können.
II. Wenn eine Streitigkeit mit gehöriger Darstellung der Ansprüche des Beschwerde führenden Theils wirklich angebracht worden ist, so wird die Bundesversammlung, vor allem die Vermittlung unter den streitenden Theilen
a) durch den Ausschuß versuchen, welcher aus zwei und nach Befinden auch aus mehreren Bundesgesandten besteht.
Dabei wird sie nach Beschaffenheit der jedesmaligen Umstände ermessen, ob und wie fern eine Zeitfrist zur Erledigung des Vermittlungsgeschäfts von ihr vorgeschrieben werden soll. Jedem der zwistigen Theile steht jedoch frei, bei der Bundesversammlung auf eine Fristsetzung anzutragen.
Die Bundesversammlung macht die Ernennung des Ausschusses den Parteien bekannt.
b) Der Ausschuß wird hierauf, unter Bestimmung eines kurzen Termins, von dem beklagten Theile gleichfalls eine Darstellung der Sache und seiner Einreden begehren, um in Vergleichung derselben mit der Darstellung des Klägers angemessene Vorschläge zu gütlicher Beilegung der entstandenen Streitigkeit entwerfen zu können.
c) Sodann wird derselbe einen Termin zum Versuch der Güte ansetzen, und sich bemühen, einen Vergleich zu Stande zu bringen. Bei eintretenden Schwierigkeiten wird der Ausschuß, so wie überhaupt von dem Erfolge, der Bundesversammlung Bericht erstatten.
d) Die Vergleichsurkunde wird in Urschrift, die gegenseitige Ratifications-Urkunden aber werden in beglaubigter Abschrift in dem Bundesarchive niedergelegt, und der Bund übernimmt die Garantie des Vergleichs.
III. Wenn der Vermittlungs-Versuch bei Streitigkeiten der Bundesglieder unter sich ohne Erfolg bleibt und daher eine richterliche Entscheidung erfolgen muß, so wird vor der Hand festgesetzt, daß, um dem Bedürfnisse des Augenblicks abzuhelfen, für jeden vorkommenden Fall eine Austrägal-Instanz gebildet werde. Was aber den Vorschlag wegen Errichtung einer permanenten Austrägal-Commission betrifft, so wird derselbe nicht als aufgegeben betrachtet, sondern sich vorbehalten, nach dem Gange der Erfahrungen, welche sich bei der Anwendung des gegenwärtigen Beschlusses im Laufe der Zeit ergeben dürften, den ersten Antrag in erneuerte Proposition zu bringen.
Die Art und Weise der Aufstellung der vor der Hand angenommenen, erst für jeden vorkommenden Fall zu bildenden Austrägal-Instanz wird folgendermaßen bestimmt:
1. Ausgegangen von dem Artikel XI der deutschen Bundesacte und dem würdevollen Standpuncte sämmtlicher deutschen Regierungen, kann die deutsche Bundesversammlung nur sich selbst und keine auswärtige Behörde unmittelbar als Austrägal-Instanz erkennen.
2. Wenn der zur Vermittlung der Streitigkeiten angeordnet gewesene Ausschuß die Anzeige von dem mißlungenen Versuche bei der Bundesversammlung gemacht hat, so hat binnen 4 bis 6 Wochen, von dem Tage der Anzeige an gerechnet, der Beklagte dem Kläger drei unparteiische Bundesglieder vorzuschlagen, aus welchen dieser eines binnen gleicher Frist wählet.
Geht jene Frist vorüber, ohne daß der Beklagte drei vorschlägt, so geht dieses dreifache Vorschlagsrecht an die Versammlung des Bundestages über, woraus alsdann der Kläger einen zu wählen hat.
3. Die dritte oberste Justizstelle des auf eine oder die andere Art gewählten Bundesgliedes ist hiernächst als die gewählte Austrägal-Instanz zu betrachten, welche im Namen und anstatt der Bundesversammlung, so wie vermöge derselben Auftrags handelt, und die Bundesversammlung hat dem gewählten Gerichtshofe diese seine Bestimmung nicht nur bekannt zu machen, sondern ihm auch unter der Mittheilung der Vergleichsverhandlungen förmlichen Auftrag zur Vollziehung der Bundesacte als Austrägal-Instanz zu ertheilen.
Sämmtliche dritte oberste Justizstellen der deutschen Bundesglieder sind sonach als solche zu betrachten, aus denen in obiger Weise die Austrägal-Instanz gewählt und sodann die bestimmt gewählte von der Bundesversammlung förmlich dazu beauftragt wird.
4. Die Uebernahme des Austrägal-Auftrages von der bestimmten dritten obersten Justizstelle ist als Bundespflicht anzusehen. Nur ganz besondere, der Bundesversammlung etwa unbekannt gewesene Verhältnisse, welche eine völlige Unfähigkeit der Instanz-Uebernahme enthalten, können zur Entschuldigung dienen, sind aber binnen 14 Tage von dem Tage des erhaltenen Auftrages bei der Bundesversammlung vorzubringen.
Da nach dem Artikel XII der Bundesacte alle Staaten des Bundes künftig ein eignes oder gemeinschaftliches Gericht dritter Instanz haben müssen; so kann auch jedes Bundesglied erkohren werden, welches ein eigenes oder auch nur ein gemeinsames Gericht dritter Instanz hat.
Wenn ein Bundesglied erwählt wird, in dessen Staaten mehrere Gerichte dritter Instanz bestehen und der Kläger hat sich über die Wahl der Gerichtsstelle nicht ausgesprochen, so wird die Bundesversammlung diese Auswahl treffen.
5. Der also eintretende oberste Gerichtshof hat sodann die Angelegenheit zu instruiren; besteht derselbe aus mehreren Senaten, so hat er diese Austrägal-Sache in pleno zu verhandeln, und das Urtheil, es sey ein definitives oder ein Zwischen-Erkenntniß, zu schöpfen. - In letzterem Falle wird die Instruction bei demselben Gerichtshofe fortgesetzt. In ersterem aber wird das geschöpfte Erkenntniß vor demselben obersten Gerichtshofe ausdrücklich im Namen und aus Auftrag des Bundes den Partheien eröffnet, und der Gerichtshof überschickt demnächst dem Bundestage die Acten und das Erkenntniß, um auf dessen Befolgung halten zu können.
6. Die Instruction des Prozesses geschieht nach der Prozeß-Ordnung, welche der betreffende oberste Gerichtshof überhaupt beobachtet, und ganz in selbiger Art, wie die sonstigen alldort zu instruirenden Rechtssachen verhandelt werden.
7. Das Erkenntniß in der Hauptsache selbst aber erfolgt, in Ermangelung besonderer Entscheidungsquellen, nach den in Deutschland hergebrachten gemeinen Rechten.
8. Das Erkenntniß in der Hauptsache muß längstens binnen Jahresfrist, vom Tage der überreichten ersten Klage oder Beschwerdeschrift, erfolgen.
Sollte es ausnahmsweise nicht thunlich seyn, so hat der oberste Gerichtshof als Austrägal-Instanz einen Bericht an die Bundesversammlung zu erstatten, die Gründe eines nothwendig geglaubten längeren Verzugs anzuzeigen und die Bewilligung oder Mißbilligung vom Bundestage zu empfangen.
9. Das Erkenntniß ist gemäß des Artikels XI der Bundesacte für die streitenden Theile verbindlich. Es wird jedoch dem Rechtsmittel der Restitution ex capite novorum statt gegeben, welches von dem Zeitpunct der aufgefundenen Novorum an, binnen vier Tagen anzubringen ist.
10. Das Restitutionsmittel ist bei der Bundesversammlung anzukündigen, und diese übersendet solches dem obersten Gerichtshof, an welchem die Sache zum erstenmale verhandelt und entschieden ward, wo sodann über die Statthaftigkeit oder Unstatthaftigkeit des Rechtsmittels selbst gesprochen wird, und die neu zu verhandelnde Rechtsangelegenheit wieder zu instruiren und zu entscheiden ist.
Was übrigens die näheren Bestimmungen bei Anwendung und Ausführung dieses Rechtsmittels, den Restitutions-Eid, so überhaupt das ganze Austrägal-Verfahren mit Einschluß der Vollziehungs-Ordnung und des Kostenpuncts u. dgl. betrifft, so behält sich die Bundesversammlung vor, demnächst hierüber einen besondern Beschluß zu fassen.[2]