Handschriftliches Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, nicht gez. [1]
30.1.1920
I. Handelsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein
Der Vertrag wird verlesen. Dr. [Wilhelm] Beck wünscht, derselbe solle heute zwar durchbesprochen, jedoch erst von der Finanzkommission fertiggestellt werden. Durchlaucht Prinz Eduard bemerkt, dass es sich lediglich um einen unverbindlichen Referenten-Entwurf handle. [2] Die Artikel 2 [3] und 6 [4] sollten zu unseren Gunsten abgeändert werden. Für den Postvertrag sei eine neue Rechtsgrundlage erforderlich. [5] Abg. [Gustav] Schädler findet, der Vertrag habe wenig Inhalt, besonders sollte das gegenseitige Recht im Artikel 2 gewahrt sein. Auffallend sei vor allem der letzte Abschnitt des Artikels 6. [6] Der Präsident [Friedrich Walser] sagt, dass wir in Wien nicht auftreten dürfen wie ein [Georges] Clemenceau. [7] Abg. [Johann] Hasler bemängelt, dass im Vertrage kein Punkt sei, der den Viehauftrieb nach den Vorarlberger Alpen regle. Abg. [Franz Josef] Hoop erkundigt sich, was man mitnehmen dürfe, wenn man auf Vorarlbergergebiet zur Arbeit gehe. [8] Er erhält Aufschluss. Hierauf wird der Vertrag mit der Bemerkung einstimmig angenommen, dass er von der Finanzkommission nochmals überprüft werden solle. [9]
______________
[1] LI LA LTA 1920/S04. Ebd. maschinenschriftliche Abschrift. Vgl. die Berichterstattung über die Landtagssitzung in den liechtensteinischen Landeszeitungen: L.Vo., Nr. 10, 4.2.1920, S. 1 („Landtagssitzung"); O.N., Nr. 10, 4.2.1920, S. 1-2, hier S. 1 („Landtags-Sitzung vom 30. Jänner 1920"). Vgl. ferner das Protokoll über die Besprechung des Wiener Gesandten Prinz Eduard, der Regierung und der Landtagsabgeordneten vom 17.1.1920 betreffend die Handelsbeziehungen mit Österreich bzw. den Abschluss eines provisorischen Handelsvertrages (LI LA LTA 1920/S04).
[2] Vgl. hiezu das liechtensteinisch-österreichische Verhandlungsprotokoll vom 2.12.1919 betreffend die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen (LI LA RE 1919/5963 ad 0004). Der Entwurf des Handelsvertrages wurde der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien vom Staatsamt für Äusseres am 5.1.1920 mit dem Bemerken übersandt, dass dieser eine „unverbindliche Referentenfassung" darstelle (LI LA V 003/232 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 35/1. Aktenzeichen des Staatsamtes: St.A.Z. 517/10)).
[3] Art. 2 Abs. 1 des genannten Vertragsentwurfes behandelte die Abgabenbefreiung gegenüber Österreich und Abs. 2 die Gewährung der Meistbegünstigung hinsichtlich der Eingangs- und Ausgangsabgaben gegenüber Liechtenstein. Abs. 3 enthielt im Staatsvertrag von St-Germain-en-Laye vom 10.9.1919 festgelegte Ausnahmebestimmungen von der Meistbegünstigung zugunsten Ungarns und der Tschechoslowakei.
[4] Nach Art. 6 Abs. 1 des Vertragsentwurfes verpflichteten sich Liechtenstein und Österreich den gegenseitigen Verkehr in keiner Weise durch Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbote zu hemmen. Ausnahmen hievon wurden in Art. 6 Abs. 2 aufgezählt.
[5] Art. 7 des Vertragsentwurfes sah u.a. vor, dass Bestimmungen über den Post-, Telegrafen- und Telefondienst in einem besonderen Übereinkommen vereinbart würden. Ein diesbezüglicher Staatsvertrag mit Österreich wurde in der öffentlichen Landtagssitzung vom 30.1.1920 genehmigt (LI LA LTA 1920/S04).
[6] Art. 6 Abs. 3 des Handelsvertragsentwurfes ermöglichte die Verhängung weiterer Ein- und Ausfuhrverbote, „soferne sie durch Erfordernisse der eigenen Volkswirtschaft während der Nachkriegszeit bedingt" wären.
[7] Georges Clemenceau war u.a. 1917-1920 französischer Premierminister. Er war Befürworter einer harten Politik gegenüber den im Ersten Weltkrieg besiegten Mittelmächten.
[8] Nach Ziff. 2 der Anlage zum Handelsvertragsentwurf durfte grundsätzlich u.a. der Tagesbedarf an Nahrungsmitteln und Getränken über die Grenze geführt werden.
[9] Landesverweser Prinz Karl ersuchte die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien, gegenüber Österreich noch auf verschiedene Vertragsänderungen zu dringen (LI LA V 003/232. (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 35/2. Aktenzeichen der Regierung: 552)). Vgl. das Antwortschreiben der Gesandtschaft an die Regierung vom 6.2.1920 (ebd.). Der Handelsvertragsentwurf wurde jedoch in der Folge nur geringfügig abgeändert, z.B. hinsichtlich der Kündigungsfrist: Vgl. die Verordnung vom 1.5.1920 betreffend die Abmachungen über den Handelsverkehr zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich, LGBl. 1920 Nr. 2, bzw. den Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 22.4.1920 betreffend die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen, öst. BGBl. 1921 Nr. 136.