Das österreichische Aussenministerium begrüsst die von der liechtensteinischen Regierung vorgeschlagene Aufhebung des Sichtvermerkzwanges


Maschinenschriftliche Note des österreichischen Aussenministeriums an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien [1]

12.8.1922, Wien

Verbalnote

Das Bundesministerium für Inneres und Unterricht hat dem Bundesministerium für Äusseres die Abschrift des Schreibens der fürstlichen Regierung von Liechtenstein in Vaduz an die Grenzkontrollstelle in Feldkirch vom 23. Mai d.J., Z. 2295/Reg, [2] betreffend die Aufhebung des Visumzwanges für österreichische Bundesangehörige bei Einreisen nach Liechtenstein [3] zur weiteren Veranlassung mit dem Beifügen übermittelt, dass dieser Entschluss des Fürstentums Liechtenstein als weiterer Schritt zum Abbau der Verkehrsbeschränkungen nur wärmstens begrüsst werden kann.

Das Bundesministerium für Äusseres kann sich seinerseits dieser Auffassung, die auch von der Vorarlberger Landesregierung geteilt wird, nur anschliessen, und stimmt daher gerne dem Vorschlage der fürstlichen Regierung zu, naturgemäss mit dem Vorbehalte, dass auch österreichischerseits an dem Sichtvermerkzwange für Personen, die sich aus dem Fürstentume Liechtenstein zwecks Antrittes einer Arbeit nach Österreich begeben wollen, festgehalten werde.

Das Bundesministerium für Äusseres beehrt sich, die Fürstlich Liechtenstein'sche Gesandtschaft vom Vorstehenden ergebenst in Kenntnis zu setzen und um gefällige Mitteilung zu ersuchen, von wann an die fürstliche Regierung den Sichtvermerkzwang für österreichische Bundesangehörige bei Einreisen nach Liechtenstein aufzuheben gedenkt, damit zum gleichen Zeitpunkte analoge Weisungen an die zuständigen österreichischen Behörden zwecks gleicher Behandlung der Liechtensteinischen Staatsangehörigen hinausgegeben werden können. [4]

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[1] LI LA V 003/0159. Stempel des österreichischen Aussenministeriums. Aktenzeichen des Aussenministeriums: 44162/4B. Eingangsstempel der Gesandtschaft vom 16.8.1922. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 163/2/III. Handschriftliche Notizen: "I. Dep. [Depesche]. Drahtet, ob Visumsaufhebung ersten September genehm. Gesandtschaft. exped. [expediert] 16.VIII.22 Ho [Josef Hoop]." und "II. inliegend 16.VIII.22 Ho".
[2] Vgl. das Konzeptschreiben der liechtensteinischen Regierung an die Grenzkontrollstelle Feldkirch vom 23.5.1922 (LI LA RE 1922/2295), in welchem u.a. auf die Aufhebung des liechtensteinischen Visumzwanges gegenüber der Schweiz verwiesen wurde (vgl. L.Vo., Nr. 15, 22.2.1922, S. 1 ("Grenzverkehr mit der Schweiz")). Ausgenommen von der Abschaffung des Visumzwanges sollten lediglich solche Personen werden, die zum Antritt einer Arbeitsstelle ins Fürstentum einreisten. Die Grenzkontrollstelle Feldkirch antwortete der liechtensteinischen Regierung am 30.5.1922, dass sie die Anregung zur Aufhebung des Visumzwanges zwischen Liechtenstein und Österreich begrüsse; eine bindende Rückäusserung jedoch in der Kompetenz des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht liege (LI LA RE 1922/2295 (Aktenzeichen Zl. 1195/25)).
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang etwa die §§ 1 und 2 der liechtensteinischen Verordnung vom 23.10.1919 betreffend Erlassung von Vorschriften über die Einreise nach Liechtenstein, LGBl. 1919 Nr. 14, welche die Einreise nach Liechtenstein von einem gültigen, mit einem liechtensteinischen Sichtvermerk versehenen Reisepass abhängig machte. Eine Ausnahme von der Visumspflicht bestand nach § 4 der Verordnung für den kleinen Grenzverkehr, sofern der Austritt am Tag des Eintritts erfolgte.
[4] Die fürstliche Gesandtschaft in Wien orientierte die liechtensteinische Regierung mit Schreiben vom 16.8.1922 über die Verbalnote des österreichischen Aussenministeriums (LI LA RE 1922/3747 ad 2295). Am 17.8.1922 telegrafierte die liechtensteinische Regierung der fürstlichen Gesandtschaft in Wien, dass die Visumsaufhebung am 1.9.1922 freudig begrüsst werde (LI LA RE 1922/3711 ad 2295). Eine entsprechende Verbalnote erging am 18.8.1922 seitens der fürstlichen Gesandtschaft an das österreichische Aussenministerium (LI LA V 003/0159 (Aktenzeichen Zl. 163/3/III-1922)). Mit Verbalnote vom 19.9.1922 gab das Aussenministerium der fürstlichen Gesandtschaft bekannt, dass das Bundesministerium für Inneres und Unterricht die Landesregierungen in Innsbruck und Bregenz über die grundsätzliche Abschaffung des Visumzwanges zwischen Österreich und Liechtenstein ab 1.9.1922 orientiert habe (LI LA V 003/0159 (Aktenzeichen Zl. 52.212/4-B)). Die Kundmachung der liechtensteinischen Regierung betreffend die Aufhebung des Visumszwanges gegenüber Österreich auf den 1.9.1922 war zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt (LI LA RE 1922/ 3823 ad 2295; L.Vo., Nr. 68, 26.8.1922, S. 4 ("Kundmachung" vom 24.8.1922); O.N., Nr. 68, 26.8.1922, S. 4 ("Kundmachung")). Zu einer diesbezüglichen Kundmachung im Vorarlberger Landesgesetzblatt bzw. im österreichischen Bundesgesetzblatt kam es, soweit ersichtlich, nicht. Folgt man dem Schreiben der fürstlichen Gesandtschaft in Wien an diverse Mitglieder des Fürstenhauses, so wurde der Visumzwang im Verkehr zwischen Liechtenstein und Österreich erst am 30.9./1.10.1922 aufgehoben (LI LA V 003/1093 (Aktenzeichen Zl. 281/1/XII-1922)). Vgl. dagegen die Kundmachung der liechtensteinischen Regierung betreffend den kleinen Grenzverkehr mit Vorarlberg (L.Vo., Nr. 1, 3.1.1924, S. 1 ("Kundmachung")). Vgl. ferner den Notenwechsel zwischen Österreich einerseits, der Schweiz und Liechtenstein andererseits über die Aufhebung des Sichtvermerkzwanges vom 21. und 29.12.1925, öst. BGBl. 1926 Nr. 14, sowie die Kundmachung des Bundeskanzleramtes vom 26.11.1929, öst. BGBl. 1929 Nr. 379.