Schreiben der Regierung, gez. Regierungssekretär Josef Ospelt, an die k.k. Statthalterei in Tirol und Vorarlberg (maschinenschriftliches Konzept) [1]
26.1.1915
Durch die laut geschätztem Schreiben vom 19. d.M. Nr. 8/2 prs. [2] erfolgte Erlassung beschränkender polizeilicher Anordnungen über das Passwesen und die damit verbundene Einschränkung der Grenzübertrittsorte für die Dauer der gegenwärtigen ausserordentlichen Verhältnisse [3] sind die Bewohner des liechtenst. Unterlandes stark betroffen worden, da viele derselben zu den regelmässigen Besuchern des Wochenmarktes in Feldkirch zählen, bei Krankheitsfällen im Unterlande vorwiegend die Ärzte und die Apotheke in Feldkirch in Anspruch genommen werden und eine nicht unbeträchtliche Zahl hierseitiger Einwohner von ihrem liechtenst. Wohnsitze aus nach Vorarlberg ständig in Arbeit gehen.
Dadurch, dass nebst Feldkirch und den Haltestellen Tisis und Altenstadt nur Tisis und Amerlügen als Grenzübertrittsorte bestimmt wurden, sind die Bewohner der meisten unterländischen Ortschaften gezwungen, bei ihren Gängen nach Vorarlberg einen bedeutend weiteren Weg als bisher zurückzulegen; insbesondere für die Gemeinde Ruggell und die Ortschaft Hinterschellenberg beträgt diese Wegverlängerung das Mehrfache des bisherigen Weges.
Die Vorstehungen der zunächst beteiligten Gemeinden sind daher hieramts um Erwirkung von Erleichterungen für den Verkehr über die österr.-liechtensteinische Grenze eingeschritten. [4]
Der Besuch des Feldkircher Marktes durch die Bewohner der liechtenst. Unterlandsgemeinden ist einerseits im Interesse der beiderseitigen Lebensmittelversorgung, besonders aber in jenem der Stadt Feldkirch, gelegen, da durch jene Marktbesucher verhältnismässig bedeutende Mengen Lebensmittel nach Feldkirch gebracht, hingegen andere Lebensmittel und gewerbliche Erzeugnisse von dort zurückgenommen werden, und anderseits ist ein möglichst unbehinderter Verkehr mit Vorarlberg für viele Arbeiter, dann bei Inanspruchnahme der Ärzte usw. von grosser Bedeutung.
Die fürstl. Regierung beehrt sich hiernach die hochlöbliche k.k. Statthalterei um gefällige Verfügung folgender Änderungen beziehungsweise Ergänzungen der eingangs angeführten Anordnungen höflichst zu ersuchen:
- Gestattung des Überschreitens der liechtenst.-österr. Grenze gegen Vorweisung einer die Person und den Zweck des Grenzübertrittes näher bezeichnenden fallweisen oder auf bestimmte Dauer ausgefertigten Bescheinigung der zuständigen Ortsvorstehung anstelle des mit Photographie versehenen Reisepasses zum Zwecke des Marktbesuches in Feldkirch sowie des Grenzübertrittes in besonders dringlichen Fällen (z.B. Rufen eines Arztes) und zum Besuche der Arbeits- oder Dienststelle für Bewohner des Fürstentums Liechtenstein; sollte diesem Ansinnen nicht stattgegeben werden können, so wolle wenigstens die Frist für Beibringung von Reisepässen etwa bis 20. Februar erstreckt werden.
- Zulassung des Grenzübertrittes hin und zurück ausser an den bereits bestimmten Orten
1. auf dem von Mauren nach Hub, Gemeinde Tosters, führenden Wege,
2. auf der Strasse von Hinterschellenberg über Fräsch nach Nofels,
3. über die Strasse von Ruggell nach Nofels;
die Gewährung dieser Bitte dürfte nach hierämtlicher Auffassung umsoweniger einem Anstande begegnen, als an diesen drei Grenzübergängen ohnehin schon österr. Militärposten stehen. [5]
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[1] LI LA RE 1915/0259 ad 218. Das Schreiben wurde am 27.1.1915 ins Reine geschrieben und versandt.
[2] LI LA RE 1915/0218, k.k. Statthalter in Tirol und Vorarlberg an Regierung, 19.1.1915.
[3] Vgl. LI LA RE 1915/0218, Kundmachung Regierung, 21.1.1915.
[4] LI LA RE 1915/0259 ad 218, Josef Marxer, Vorsteher von Eschen, Emil Batliner, Vorsteher von Mauren, Johann Hasler, Vorsteher von Gamprin, und August Büchel, Vorsteher von Ruggell, an Regierung, 24.1.1915. Vgl. auch LI LA RE 1915/0321 ad 218, Andreas Hassler, Vorsteher von Schellenberg, an Regierung, 28.1.1915.
[5] Der Statthalter in Tirol und Vorarlberg, Graf Friedrich von Toggenburg, kam den Wünschen der Regierung teilweise entgegen. Die Frist für die Beibringung von Pässen wurde verlängert bis 10.2.1915 (LI LA RE 19150416 ad 218, k.k. Statthalter in Tirol und Vorarlberg an Regierung, 5.2.1915) und der Grenzübertritt an den verlangten drei Orten wieder gestattet (LI LA RE 1915/0549 ad 218, k.k. Statthalter in Tirol und Vorarlberg an Regierung, 19.2.1915). Die Regierung informierte die Unterländer Ortsvorstehungen mit Erlass vom 25.2.1915 über die Erleichterungen (LI LA RE 1915/0549 ad 218, Regierung an Ortsvorstehungen Eschen, Mauren, Gamprin, Ruggell und Schellenberg, 25.2.1915).