Auslieferungsvertrag mit Belgien


[Vertrag zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und dem Königreich Belgien über die Auslieferung von Angeschuldigten und Verbrechern][1]

vom 2. Dezember 1852

Seine Durchlaucht der souveraine Fürst zu Liechtenstein
und
Seine Majestät der König der Belgier

von dem Wunsche geleitet, einen Vertrag über die gegenseitige Auslieferung der Angeschuldigten und Verbrecher abzuschliessen haben zu diesem Behufe mit Vollmachten versehen:

Seine Durchlaucht der souveraine Fürst zu Liechtenstein:           
den Freiherrn Adolph von Holzhausen, Commandeur erster Classe des Grossherzoglich Hessischen Ludwig Ordens, Ritter des Johanniter Ordens und Ehrenkreuz des fürstlich Hohenzollerschen Haus Ordens, Höchstihren wirklichen Geheimen Rath und Bevollmächtigten Minister am Deutschen Bundestage.

Seine Majestät der König der Belgier:    
den Grafen Camille de Briey, Baron de Landres, Commandeur Allerhöchstihres Leopold Ordens, Grosskreuz der französischen Ehrenlegion, des Königlich Spanischen Ordens Karls III., des Königlich Bayerischen Ordens der Krone und vom heiligen Michael, des Königlich Niederländischen Löwen Ordens, des Königlich Griechischen Erlöser Ordens, des Kurfürstlichen Hessischen Goldenen Löwen Ordens, des Grossherzoglich Hessischen Ludwig Ordens, des Persischen Sonnen- und Löwen-Ordens erster Classe, Allerhöchstihren ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei dem Durchlauchtigsten Deutschen Bunde, an dem Königlich Bayerischen, dem Königlich Würtenbergischen, dem Grossherzoglich Badischen, dem Kurfürstlich Hessischen, dem Grossherzoglich Hessischen und dem Herzoglich Naussauischen Hofe, sowie bei der freien Stadt Frankfurt

welche in Gemässheit der ihnen ertheilten Specialvollmachten über die nachstehenden Artikel übereingekommen sind:

Artikel 1

Die Regierungen Seiner Durchlaucht des souverainen Fürsten zu Liechtenstein und Seiner Majestät des Königs der Belgier verpflichten sich zur gegenseitigen Auslieferung derjenigen Individuen, eigne Unterthanen ausgenommen, welche aus Belgien in das Fürstenthum Liechtenstein oder aus dem Fürstenthume Liechtenstein nach Belgien sich geflüchtet haben und nachbenannter Verbrechen oder Vergehen durch die Behörden desjenigen der beiden Staaten, in welchem dieselben begangen wurden, angeschuldigt oder für schuldig erkannt worden sind.

Diese Verbrechen und Vergehen sind:

1. Mord, Vergiftung, Verwandtenmord,  Kindesmord, Todtschlag, Nothzucht.

2. Brandstiftung.

3. Urkunden-Fälschung, insbesondere auch Fälschung von Bankzetteln und Staatspapieren.

4. Falschmünzen, Münzfälschung und Verausgabung falscher Münzen.

5. Meineid und falsches Zeugniss.

6. Raub, Diebstahl, Betrug, amtliche Erpressung und Veruntreuung.

7. Betrügerischer Bankerott

Um sich über die vorerwähnten Auslieferungen zu verständigen werden die nöthigen Mitteilungen auf diplomatischem Wege erfolgen, die unmittelbare Correspondenz zwischen den gerichtlichen Behörden beider Staaten findet darüber nicht statt.

Artikel 2

In ganz besonderen Fällen, welche ihrer Natur nach zwar unter die Bestimmung des vorhergehenden Artikels fallen, wo jedoch wegen ausserordentlichen Umstände die Auslieferung des Verfolgten den Grundsätzen der Billigkeit und Humanität widersprechen dürfte, behält sich jeder Staat vor, die Auslieferung zu versagen. Die Gründe der Verweigerung werden als dann dem Staate, welcher das Auslieferungsbegehren gestellt hat, mitgetheilt.

Artikel 3

Wenn der Angeschuldigte, dessen Auslieferung begehrt wird, in dem Lande, wohin er sich geflüchtet hat, wegen eines  dort begangenen Verbrechens oder Vergehens gleichfalls in Untersuchung steht oder verhaftet ist, so kann dessen Auslieferung so lange ausgesetzt werden, bis er seine Strafe erstanden hat, oder durch ein rechtskräftiges Urtheil freigesprochen worden ist.

Artikel 4

Dem Begehren der Auslieferung wird nur stattgegeben, wenn in Urschrift oder beglaubigter Abschrift ein von dem Gerichte oder einer andern zuständigen Behörde ausgefertigtes Erkenntniss, ein Strafurtheil oder ein Nachweis der verhängten Anschuldigung vorgelegt wird, wobei die gesetzlich vorgeschriebene Formen desjenigen Staats massgebend sind, welcher die Auslieferung begehrt.

Artikel 5

Die vorläufige Festnehmung eines Ausländers wegen einer der im Artikel 1 aufgeführten strafbaren Handlungen kann auf blosse Vorlage eines von der zuständigen Behörde nach Vorschrift der Gesetze des reclamierenden Staates ausgefertigten Verhaftbefehls angeordnet werden. Eine solche Festnehmung hat in den Formen und nach den gesetzlichen Vorschriften desjenigen Staates zu geschehen, von welchem sie vollzogen werden soll. Der vorläufig verhaftete Ausländer wird in Freiheit gesetzt, wenn ihm innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht ein nach Vorschrift der Gesetze des Staats, welcher die Auslieferung verlangt, zu beurtheilender Nachweis der verhängten Anschuldigung oder ein gegen ihn ergangenes Erkenntniss oder Strafurtheil behändigt wird.

Artikel 6

Es ist ausdrücklich verabredet, dass der Ausgelieferte in keinem Falle weder wegen eines vor der Auslieferung begangenen politischen Vergehens oder einer mit einem solchen Vergehen in Verbindung stehenden Handlung, noch wegen eines in dieser Uebereinkunft nicht vorgesehenen Verbrechens oder Vergehens, in Untersuchung genommen oder bestraft werden dürfe.

Artikel 7

Die Auslieferung findet nicht statt, wenn nach den Gesetzen des Landes, wo der Ausländer betreten wird, seit der Verübung des Verbrechens, der letzten gerichtlichen Handlung oder der Verurtheilung die strafrechtliche Verfolgung des Verbrechers oder die desshalb erkannte Strafe verjährt ist.

Artikel 8

Die Kosten der Verhaftung, Verpflegung und Auslieferung des Verbrechers trägt jeder Staat, so wie sie auf seinem Gebiete erwachsen. Dagegen fallen die Kosten des Transportes etc. etc. durch die dazwischen liegenden Länder demjenigen Staate zur Last, welcher die Auslieferung verlangt hat.

Artikel 9

Die gegenwärtige Uebereinkunft tritt in Wirksamkeit nach Ablauf des zehnten Tages nach deren Publication, welche in jedem Lande in herkömmlicher Form zu geschehen hat.

Artikel 10

Die gegenwärtige Uebereinkunft bleibt in Kraft bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der von Seiten einer der beiden Regierungen erfolgten Vertrags-Aufkündigung. Sie soll innerhalb sechs Wochen oder wo möglich noch früher ratificirt und die Auswechslung der Ratifications-Urkunden bewirkt werden.

Zur Urkunde dessen haben die beiden Bevollmächtigten diese Uebereinkunft unterzeichnet und besiegelt.

So geschehen zu Frankfurt am Main den zwanzigsten Dezember Eintausend achthundert zwey und fünfzig. 

Freiherr von Holzhausen[2] 
Camille de Briey
[3]

 

Zusatzartikel

Die vertragschliessenden Theile sind übereingekommen, dem Artikel 3 den folgenden Paragraphen beizufügen, welcher dieselbe Kraft und Wirksamkeit haben soll wie der ganze Vertrag, nämlich:

Diese Bestimmung gilt auch für den Fall, dass der Auszuliefernde in Folge einer vor dem Auslieferungsbegehren erfolgten Verurtheilung sich in Schuldhaft befindet. 

Freiherr von Holzhausen[4]         Camille de Briey[5]

______________

[1]LI LA SgSTV 1852.12.20. Am 29. Juli 1853 von Landvogt Menzinger beglaubigte Abschrift: LI RC 99/90. Kein Originaltitel.
[2]Eigenhändige Unterschrift und persönliches rotes Lacksiegel von Holzhausen.
[3]Eigenhändige Unterschrift und persönliches rotes Lacksiegel von Briey.
[4]Eigenhändige Unterschrift.
[5] Eigenhändige Unterschrift.