Handschriftliches Konzeptschreiben von Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an den Leiter der HofkanzleiHermann von Hampe [1]
7.2.1916
p.T. [2] Hampe
E.H. [3]
H. H. [4]
Ich freue mich, E. Hochw. von Bern Günstiges melden zu können.
Ich wurde bei den Herrn im Bundespalais sehr ehrend und liebenswürdig aufgenommen und habe für unser Land Alles erreicht, was nach dem gegenwärtigen Stande der Approvisionierung [5] der Schweiz erreichbar ist. Der jetzige Bundespräsident Dr. [Camille] Decoppet ist, wie er mir französisch sagte, glücklich, uns weiter helfen zu können. Er sprach mit mir zuerst deutsch, ging aber, da ihm das sichtlich einige Schwierigkeiten macht, auf das französische über, was wieder für mich sehr peinlich war. Immerhin scheint er mir mein miserables französisch nicht nachgetragen zu haben, denn er begrüsste mich nachmittags auf der Strasse wieder aufs freundlichste.
Dem Bundesrat Dr. [Arthur] Hoffmann, in dessen Ressort die Ausfuhrsangelegenheiten fallen, habe ich die Sachlage mit Vermeidung aller sogenannten diplomatischen Kniffe dargelegt und bei ihm erreicht, dass er über unsere Neutralität weiter ein Auge zudrückt. Ich sprach dann weiters mit den Vorständen der in Betracht kommenden Departements und fand bei allen an Stelle der anderwärts vorhandenen kleinlichen Bedenken eine wohltuend grosszügige Auffassung.
Wir bekommen weiterhin unseren Weizen, dazu noch Futtermais, Teigwaren und später voraussichtlich auch Reis.
So wäre die Sache diesmal noch gut abgelaufen. Indem ich mir gestatte, dies E. Hochw. ergebenst zur Kenntnis zu bringen, benutze ich gerne diese Gelegenheit, Herrn Hofrat erneut meiner ausgezeichneten Hochachtung und besonderen Verehrung zu versichern. [6]
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[1] LI LA SF 13/1916/0567 ad 0031. Reingeschrieben von David Strub am 7.2.1916. Hintergrund der Besprechungen Imhofs in Bern war die Aussage des schweizerischen Nationalrates Ernst Schmidheiny, wonach die Schweiz die liechtensteinische Neutralität nicht mehr anerkennen und daher mit Rücksicht auf die Ententestaaten nicht mehr mit Lebensmitteln und sonstigen Artikeln beliefern könne. Der Anlass für diese Haltung war der Umstand, dass vom österreichischen Finanzministerium zunächst keine Ausfuhrbewilligungen für liechtensteinische Holzlieferungen in die Schweiz erteilt und Liechtenstein als Anhängsel Österreich-Ungarns angesehen wurde (Schreiben von Landesverweser Imhof an Sektionschef Josef Mühlvenzl im österreichischen Finanzministerium vom 19.1.1916 (LI LA RE 1916/0274)). Zu diesem Zeitpunkt war in Liechtenstein gerade noch für 3 Wochen Getreide vorrätig (Schreiben von Landesverweser Imhof an Hofkanzleileiter Hampe vom 23.1.1916 (LI LA RE 1916/0341 ad 0274). Die Situation wurde durch den Erlass des österreichischen Finanzministeriums an die Finanzbezirksdirektion Feldkirch vom 4.2.1916 entschärft, demzufolge die Grenzzollämter grundsätzlich ermächtigt wurden, weiches Rundholz und weiche Bretter aus dem vorarlbergischen und liechtensteinischen Grenzgebiet in die Schweiz austreten zu lassen (LI LA RE 0721 ad 0274). Diese Erleichterungen für die Holzausfuhr wurde vom österreichisch-ungarischen Aussenministerium der Schweizer Regierung mit dem Bemerken mitgeteilt, „dass unsererseits eine gleiche entgegenkommende Haltung der Schweiz gegenüber den Approvisionierungsbedürfnissen in unserem Grenzgebiete gewärtigt wird" (Schreiben des k.u.k. Aussenministeriums an die fürstliche Hofkanzlei vom 12.2.1916 (LI LA RE 1916/0721 ad 0274)). Im April 1916 wurden zudem die genannten Erleichterungen für den Holzexport in die Schweiz auf Brennholz ausgedehnt (Schreiben des k.u.k. Aussenministeriums an die fürstliche Hofkanzlei vom 18.4.1916 (LI LA RE 1916/1703 ad 0274)).
[2] Pleno titulo: mit vollem Titel (anzusprechen): Dr. Hermann von Hampe war Chef der fürstlichen Hofkanzlei, fürstlich-liechtensteinischer Hofrat sowie Ritter des österreichischen Leopoldsordens sowie des österreichischen Ordens der Eisernen Krone.
[3] E. H.: Euer Hochwohlgeboren.
[4] H.H.: Hochverehrtester Herr Hofrat.
[5] Approvisionierung: Lebensmittelversorgung.
[6] Hofkanzleileiter Hampe dankte Landesverweser Imhof mit Schreiben vom 12.2.1916 für die „sehr interessanten Mitteilungen bezüglich Ihrer sehr erspriesslichen Verhandlungen in Bern." Auch Fürst Johann II. habe mit höchster Resolution vom 11.2.1916 geruht, die Mitteilungen Imhofs „zur sehr befriedigenden Kenntnis" zu nehmen (LI LA SF 13/1916/0952 ad 0031/0567). Doch bereits am 16.2.1916 vertrat die französische Botschaft in Bern dem Eidgenössischen Politischen Departement gegenüber die Auffassung, dass Liechtenstein der Kontrolle und Autorität des Feindes unterworfen sei: Die französische Regierung betrachte deswegen Liechtenstein, solange es sich innerhalb der Zollgrenzen Österreich-Ungarns befinde, hinsichtlich des Handelsverkehrs als den feindlichen Territorien gleichgestellt (vgl. Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei an Landesverweser Imhof vom 27.2.1916 (LI LA SF 13/1916/0961 ad 0031)). Damit waren die Lieferungen von Lebensmitteln und Rohstoffen aus bzw. über die Schweiz nach Liechtenstein wieder gefährdet.