[Aufhebung des Tratt- und Atzungsrechtes][1]
vom 20. Juni 1843
Von Gottes Gnaden Wir Alois Joseph, souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein von Nikolsburg, Herzog zu Troppau und Jägerndorf in Schlesien, Graf zu Rietberg, Ritter des goldenen Vliesses, Grosskreuz des kön. Hannoverischen Guelphen-Ordens, etc. etc. etc.
In Erwägung, dass das in Unserem Fürstenthume althergebrachte und bisher sowohl auf Gemeinde-, als auch auf Privatgründen ausgeübte Trattrecht[2] oder die sogenannte Atzung, mit den Grundsätzen einer rationellen Bodenkulur unverträglich und dem Privat- so wie dem allgemeinen Wohlstande höchst nachtheilig ist, indem es den Besitzer des mit der Atzung belasteten Gutes in der freien und einträglichsten Benützung seines Eigenthumes und die Beurbarung der als Weide benützten kulturfähigen bedeutenden Gemeinheiten hindert, welche letztere bei theilweisem Anbau von Fütterkräutern und Einführung der Stallfütterung nebst anderen werthvollen Produkten reichlichere Nahrung für den Viehstand liefern werden als die darauf ausgeübte Atzung gewährte, haben Wir aus landesväterlicher Fürsorge für das Wohl Unserer Unterthanen und aus landesfürstlicher Machvollkommenheit die Aufhebung und Ablösung des Trattrechtes oder der sogenannten Atzung beschlossen, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu geschehen hat.
I. Abschnitt
Von der Aufhebung und Ablösung des auf Privatgründen ausgeübten Tratt- oder Atzungsrechtes.
§ 1
Das von einzelnen Personen oder ganzen Gemeinden bisher auf privateigenthümlichen Gründen ausgeübte Tratt- oder Atzungsrecht wird im ganzen Fürstenthume vom 1. Jänner 1844 an gegen dem aufgehoben und abgeschafft, dass die Tratt- oder Atzungsberechtigten von den Besitzern der dem Tratte oder der Atzung unterlegenen Gründe angemessen zu entschädigen sind.
§ 2
Vom gedachten Zeitpunkte an ist daher kein Private mehr verpflichtet, die Auftreibung fremden Viehes auf seinen eigenthümlich besitzenden oder im Nutzgenusse habenden Grund und Boden zu dulden, er ist vielmehr an dem auf seinem Grunde und Boden antreffenden fremden Viehe das Recht der Privatpfändung nach Massgabe § 1321 des b.G.B. auszuüben und volle Schadloshaltung zu fordern berechtiget.
§ 3
Jeder Eigenthümer, er mag ein fürstlicher oder auswärtiger Unterthan sein, kann seinen Grund und Boden, derselbe mag in der Flurmarkung seines Wohnortes oder in einer auswärtigen Ortsflur gelegen sein, beliebig und ohne Rücksicht auf früher darauf gelastete Atzungsrechte benutzen und bewirthschaften, sohin ein einmädiges Gut in eine zweimädige Wiese oder in Ackerland und umgekehrt Ackerland in Wiesland umstalten. Hievon sind nur die Waldungen ausgenommen, die ohne höhere Bewilligung nicht ausgerodet werden dürfen.
§ 4
Weideberechtigte, welche bisher aus was immer für einem Rechtstitel das Tratt- oder Absetzungsrecht auf privateigenthümlichen Gründen ausgeübt haben, dürfen solches vom Jahre 1844 nicht mehr ausüben, und sind für allen durch ihr Vieh dem Eigenthümer oder Nutzniesser der bisher dem Tratte unterlegenen Gründe zugefügten Schaden volle Entschädigung zu leisten schuldig. Sollte das Auftreiben des Viehes auf fremden Grund und Boden absichtlich geschehen, so sind der Hirt so wie der Eigenthümer des Viehes, falls sie davon Wissenschaft gehabt oder es gar befohlen haben, wegen Ungehorsam nach dem Gesetze vom 29. August 1832, und im Faller erwiesener Bosheit nach dem Strafgesetze zu behandeln und zu bestrafen.
§ 5
Für das aufgehobene Tratt- oder Atzungsrecht sind die Eigenthümer der dem Tratte oder der Atzung unterlegenen Gründe die Tratt- oder Atzungsberechtigten angemessen zu entschädigen verpflichten.
Die Art und Weise der Ausmittlung, dann die Höhe der Entschädigung bleibt zunächst dem gütlichen Uebereinkommen der Betreffenden überlassen und das diessfällig getroffene Abkommen ist bloss dem Oberamte, welches dabei die Rechte der nicht zur freien Vermögensverwaltung berechtigten physischen und der unter öffentlicher Aufsicht stehenden moralischen Personen nach den bestehenden Gesetzen zu wahren hat, zur Genehmigung und Bestätigung vorzulegen, damit selbes gehandhabt und nachträglich allenfalls entstehende Streitigkeiten darnach entschieden werden können.
Kommt kein gütliches Uebereinkommen zu Stande, dann hat das Oberamt die den Tratt- oder Atzungsberechtigten von den Besitzern der dem Tratte unterlegenen Gründe zu leistende Entschädigung nach den hier folgenden Bestimmungen auszumitteln und festzusetzen.
§ 6
Da sich das Atzungsrecht in drei Klassen abtheilt, nämlich a) in die Frühlingsatzung allein; b) in die Frühlings- und Herbstatzung, und c) in die ganzjährige Atzung, und da ferner die mit dem Atzungsrechte belasteten Privatgüter nach Verschiedenheit ihrer Lage und Bodeneigenschaft auch einen sehr verschiedenen Werth haben; so kann ein allgemeiner Massstab zur Entschädigung der Weideberechtigten für die aufgehobene Atzung nicht aufgesetellt, sondern derselbe muss mit Berücksichtigung der gedachten Verschiedenheiten von Fall zu Fall vom Oberamte nach nachstehenden Grundsätzen ermittelt werden.
§ 7
Allembevor ist mit Zuziehung des Eigenthümers des atzungspflichtigen Gutes und der Atzungsberechtigten der Umfang und die Gattung des bisher ausgeübten Atzungsrechtes zu erheben. Sollte sich darüber ein Streit ergeben, so ist der erwiesene letzte Besitzstand zu schützen, der Gegner aber mit seinen Ansprüchen auf den Rechtsweg zu verweisen, den er binnen 14 Tagen vom Erhalte der oberämtlichen Erledigung um so gewisser zu betreten hat, widrigens ihm das ewige Stillschweigen auferlegt sein soll. Diese Rechtsfolge ist in der oberämtlichen Erledigung auszudrücken.
§ 8
Ungesäumt nach dieser Vorerhebung hat das Oberamt durch drei unpartheyische und zu beeidende Schätzleute, welche das Oberamt über von den Partheien bei der nach § 7 statt findenden Erhebung zu machenden Vorschlag zu ernennen hat,
den Werth, welcher die mit dem Trattrechte belasteten Privatgründe von gleicher Lage, Güte und Beschaffenheit mit Rücksicht auf die bisher bestandenen Kaufpreise und die darauf gehaftete grössere oder geringere Last der Atzung haben, und ferner
jenen Werth erheben zu lassen, welche eben diese Gründe, als von der bisherigen Atzungslast befreit, mit Rücksicht auf die Kaufpreise anderer schon bereits atzungsfreien Gründe von ähnlicher Lage, Güte und Beschaffenheit haben werden.
Der sofort entfallende Mehrwerth der letzteren gegen die erste Schätzung ist als der Preis anzusehen, um welchen das fragliche Grundstück durch Aufhebung der Trattlast an Werth gewinnt, und dieser Betrag ist sohin von dem Eigenthümer des von der Atzung entlasteten Grundstückes dem oder den Atzungsberechtigten als Entschädigung für den Entgang der bisher genossenen Atzung zu berichtigen.
§ 9
Die der Art ziffermässig ausgemittelte Entschädigungssumme ist beiden Theilen sogleich mit dem Beifügen bekannt zu geben, dass es ihnen frei stehe, das Schätzungselaborat beim Oberamte einzusehen und gegründete Einwendungen dagegen binnen 8 Tagen mündlich oder schriftlich einzubringen, worüber mit Zuziehung aller Interessenten summarisch zu verhandeln und zu erkennen ist.
Auf ungegründete oder verspätete Einwendungen ist kein Bedacht zu nehmen.
§ 10
Die nach den bisherigen Bestimmungen vom Oberamte rechtskräftig festgesetzte Entschädigungssumme ist der Eigenthümer des von der Atzung befreiten Gutes dem Atzungsberechtigten, wenn derselbe entweder eine Gemeinde oder eine Pfrund oder ein anderer Private ist, unweigerlich zu bezahlen schuldig.
Findet aber eine Konkurrenz der Atzungsberechtigten, z.B. einer Gemeinde mit einer Pfrund usw. statt, so ist die Entschädigungssumme zwischen den Atzungsberechtigten nach der Anzahl der Stücke Vieh, die jeder derselben von dem mit Ende Dezember 1842 gehabten Viehstande auf dem fraglichen Grunde zu atzen berechtiget war, zu vertheilen, wobei Jungvieh nicht in Anschlag gebracht werden darf.
In Fällen einer solchen Konkurrenz der Atzungsberechtigten hat die Ausmittlung der zum Vertheilungsmaassstabe dienenden Viehzahl gleichzeitig mit der § 7 angeordneten Erhebung statt zu finden, so wie das Vertheilungsresultat der Entschädigungssumme zugleich mit der § 9 vorgeschriebenen Erledigung unter denselben Rechtsfolgen und Rechtsmitteln den Partheien zu intimieren ist.
§ 11
Der entfallene Ablösungsbetrag ist vom 1. Jänner 1844 an bis zur wirklichen Zahlung zu Martini jeden Jahres mit fünf von hundert oder mit drei Kreuzer von jedem Gulden zu verzinsen, und wird dieser Entschädigungssumme ein gesetzliches Pfandrecht auf das der Atzung unterlegene Grundstück und ein Vorrecht vor allen anderen Hypothekargläubigern eingeräumt, wornach in Konkursfällen das Ablösungskapital als Vorzugspost, die davon rückständigen dreijährigen Zinsen nach den zur Zeit der grundbücherlichen Auszeichnung des Ablösungskapitals bereits intabulierten Hypothekarschulden, ältere Zinsen aber unter die Gemeingläubiger zu klassifizieren ist.
§ 12
Demnach ist die für die aufgehobene Atzung entfallene Ablösungssumme mit der Vorrechtsbezeichnung vor allen Hypothekargläubigern auf das dienstbar gewesene Gut von Amtswegen grundbücherlich auszuzeichnen. Dem Schuldner wird zur Zahlung der Ablösungssumme ein Termin bis Ende 1853 eingeräumt, dessen er aber durch Saumsal in Entrichtung der jährlichen Interessen verlustigt wird. Ueber den zugestandenen 10jährigen Termin ist der Gläubiger zuzuwarten nicht verpflichtet, gesteht er aber ausdrücklich oder stillschweigend dem Schuldner eine weitere Zahlungsfrist zu oder will der Schuldner von dem ihm hiemit vorbehaltenen Rechte vor Verlauf der gesetzlichen 10jährigen Zahlungsfrist das Ablösungskapital abzutragen Gebrauch machen, so muss in beiden Fällen eine halbjährige Aufkündigung vorausgehen. Theilzahlungen ist der Gläubiger anzunehmen nicht verpflichtet.
§ 13
Ist der zum Bezuge der Entschädigung für die aufgehobene Atzung Berechtigte eine Gemeinde oder eine Pfrund, so ist die Ablösungssumme entweder über Einvernehmung des Schuldners gegen Verzinsung stehen zu lassen oder bei der Rückzahlung mit pupillarmässiger Sicherheit für die Gemeinde oder die Pfrund anzulegen und die jährlichen Interessen sind im ersteren Falle zu Gemeindeauslagen zu verwenden, im letzteren aber von dem Benefizianten als stabiles Pfrundeinkommen zu beziehen.
§ 14
Von den Pächtern eines mit der Atzung beschwerten Gutes kann bei Ablösung des Trattrechtes nebst dem bisherigen Pachtschillinge der Ersatz der Interessen, welche für die aufgehobene Atzung vom Eigenthümer des verpachteten Gutes bezahlt werden müssen, gefordert werden, so wie umgekehrt jene Pächter, welche das ihnen aus dem Pachtvertrage zustehende Trattrecht auf fremde Privatgründe durch dessen Aufhebung verlieren, jenen Vertrag, welchen der Pachtgeber für die auf den fraglichen Gründen aufgehobene Atzung zu beziehen hat, von dem jährlichen Pachtschillinge in Abschlag zu bringen berechtiget sind.
§ 15
Da das Privateigenthum des Landesfürsten dem übrigen Privateigenthume der fürstlichen Unterthanen gleichgestellt ist (§ 289 b.G.B.), so haben auch die gesetzlichen Bestimmungen über Aufhebung und Ablösung des Trattrechtes auf dasselbe ausnahmslos angewendet zu werden.
§ 16
Gegen alle in Angelegenheit der Aufhebung und Ablösung des Trattrechtes erfliessende oberämtliche Erledigungen und Entscheidungen findet der Rekurs an Unsere Hofkanzlei, und, falls letztere die oberämtliche Entscheidung nicht bestätiget, ein weiterer Rekurs an Uns statt; die Rekurse müssen aber binnen 14 Tagen von Zustellung der rekurirten Erledigung beim Oberamte zur weitern Einbegleitung überreicht werden, widrigens sie als verspätet bedachtlos zurückzuweisen sind.
§ 17
Allen Verhandlungen, Erledigungen, Grundbuchshandlungen und Rekursen, welche die Aufhebung und Ablösung des Trattrechtes betreffen, wird die Tax- und Stempelfreiheit zugestanden; die bei den Erhebungen und Schätzungen auflaufenden allenfälligen Vermessungskosten, Fuhrlöhne und Taggelder haben die Eigenthümer der trattpflichtigen Gründe ganz zu tragen, dürfen aber die Hälfte dieser Kosten bei Bezahlung des Ablösungskapitals den Atzungsberechtigten in abschlagsweise Aufrechnung bringen.
II. Abschnitt
Von der Aufhebung und Ablösung des auf Gemeindegründen ausgeübten Tratt- oder Atzungsrechtes.
§ 18
Alle bisher bereits aufgetheilten und einzelnen Gemeindebürgern in das vollständige Eigenthum oder zur Nutzniessung überlassene Gemeindegründe sind als Privatgründe anzusehen und sohin bezüglich des darauf allenfalls haftenden Trattes nach den im I. Abschnitte enthaltenen Vorschriften zu behandeln. Blosse Nutzniesser von aufgetheilten Gemeindegründen sind nur die fünfperzentigen Interessen des ermittelten Atzungsablösungskapitals, nicht aber das Kapital selbst in die Gemeindekasse zu entrichten verpflichtet, wenn nicht im gütlichen Wege eine billigere Entschädigung von der Gemeinde ausgemittelt wird.
§ 19
In Zukunft dürfen Gemeindegründe nur frei von jedem Tratte unter die Gemeindebürger aufgetheilt werden. Steht auf solchen aufzutheilenden Gemeindegründen bloss der Gemeinde allein das Trattrecht zu, so ist für dessen Aufhebung keine besondere Entschädigung zu leisten, findet aber bei solchen aufzutheilenden Gründen eine Konkurrenz der Atzungsberechtigten statt, so ist vor der Auftheilung der Atzungsmitberechtigte nach den Bestimmungen des § 10 von der Gemeinde zu entschädigen, wobei der Viehstand beim Schlusse des vorhergegangenen Jahres zum Maassstabe anzunehmen ist.
§ 20
Zur Beförderung des Nationalwohlstandes und zur Vermehrung der Gemeindeeinkünfte sind die kulturfähigen, zur Erhaltung des Viehstandes bei Einführung von Stallfütterung nicht unentbehrlichen Gemeindegründe allmählich von der Atzung auszuscheiden, und für Rechnung der Gemeindekasse zur Benützung als Wies- oder Ackerland meistbiethend zu verpachten. Diese Verfügungen hat im Falle, wenn die Gemeinde auf Grund eines nach Vorschrift des § 66 des Gemeindegesetzes ddo. 1. August 1842 gültig gefassten Gemeindebeschlusses darum angelangt, das Oberamt ohne höhere Anfrage zu treffen; im Falle aber, als nur einige Gemeindebürger darum einschreiten sollten, ist die Angelegenheit vom Oberamte, wenn es gegen die Meinung der Gemeinde das Einschreiten billiget, Uns durch Unsere Hofkanzlei einbegleitet zur höchsten Entscheidung zu unterbreiten.
§ 21
Schlüsslich hat die Erörterung und Ausmittlung: ob die durch die Aufhebung der Atzung mittelbar gewinnenden Zehentberechtigten den Zehentholden zur Abwälzung der Last eine und welche Unterstützung zu gewähren haben? weiteren diessfälligen Bestimmungen vorbehalten zu bleiben.
Gegeben in Unserem Schlosse zu Liechtenstein[3] am 20. Juni 1843
Alois
(L.S.)
Joseph Freiherr von Buschmann, fürstlicher dirigirender Hofrath
Maximilian Kraupa, fürstlicher Wirthschaftsrath.
Nach Sr. Durchlaucht höchst eigenem Befehl:
Franz Strak, fürstlicher Sekretär