Brief von Peter Kaiser an seine Landsleute
Chur, 25. November 1848
An meine Landsleute!
Euer Zutrauen hat mich zum Abgeordneten nach Frankfurt gewählt; ich folgte dem Rufe, weil ich glaubte, es werde sich bei der Berathung der Verfassung für Deutschland Gelegenheit darbieten, die Interessen unseres Landes wahrzunehmen und gebührend zu vertreten. Diese Gelegenheit bot sich während meiner Anwesenheit in Frankfurt nicht. Indeß, wenn sie sich auch geboten hätte, wir müssen das Loos des gemeinsamen Vaterlandes theilen, und uns ausschließlich wird man keine besondern Vorrechte und Vergünstigungen einräumen. Ich glaubte vorzugsweise die materiellen Interessen, Entlastungen des Grundeigenthums und andere Erleichterungen im Auge behalten zu müssen, und diese werden durch die Beschlüsse in Frankfurt erfolgen, namentlich was den freien Verkehr betrifft. Indem ich mich genöthigt sehe, die Stelle niederzulegen, die mir Euer Zutrauen übertragen, muß ich die Gründe anführen, die mich dazu bewogen. Sie liegen in der Stelle, die ich hier bekleide und die mir keine längere Abwesenheit gestattet, ohne meine übernommenen Pflichten zu verletzen. Hätte ich glauben können, daß meine Anwesenheit in Frankfurt meinem Heimathlande wesentliche Vortheile verschaffen könnte, so würde ich meine hiesige Stelle ohne weiters niedergelegt haben und wäre derjenigen Pflicht gefolgt, die ich für die höhere gehalten hätte. Diese Überzeugung aber hatte ich nicht und so hätte ein Schritt wie der, den ich erwähnte, weder für das Land noch für mich ersprießliche Folgen gehabt.
Betrachte ich unsere Lage, unsere Verhältnisse genau, so finde ich, daß sie keineswegs so schlimm sind, als man sich selber glauben macht. Was uns vorzüglich fehlt, das ist Muth und Vertrauen auf uns selbst, Vertrauen auf die göttliche Vorsehung. Wenn das Land auch klein, arm und verschuldet ist, so hat es doch auch wieder Hülfsquellen und diese liegen in der Fruchtbarkeit des Landes und in unserer eigenen Kraft. Es hat bei seiner Kleinheit viele Übelstände nicht, die große Länder drücken. Das Land erfreut sich einer glücklichen Ruhe, seine Bürger haben Gesetz und Ordnung und Recht gewissenhaft zu erhalten gesucht, was nach den Beispielen, die andere deutsche Länder vom Gegentheil geben, nichts Kleines ist. Es ist eine Ehre für alle, die in unserem Lande wohnen, daß der Sinn für Freiheit nicht ausgeartet ist in Zügellosigkeit und Gesetzlosigkeit.
Es steht jedem Bürger wohl an, seine Obrigkeit zu achten und ihren Anordnungen zu folgen; dadurch zeigt er, daß er ein freier Mann ist. Nur wer gerecht gegen andere ist, hat auch von ihnen Gerechtigkeit zu erwarten.
Unsere Aufgabe muß sein, mitten in den Stürmen, die um uns toben, die Ruhe zu erhalten und nie von der Bahn des Rechts abzuweichen. Wo kein Gesetz und Recht geachtet ist, da ist Willkür, Gewalt und TIrannei.
Wir können unsern Zustand nicht wesentlich verbessern, wenn wir uns an einen größern Staat anschließen, sobald uns das allgemeine deutsche Bürgerrecht und der freie Verkehr gesichert ist. Wir müssen trachten, unser Glück uns selber zu verdanken; der geht immer am sichersten, der sich auf seine Kraft verläßt. Auch ein kleines Völklein, wenn es treu zusammenhält, vermag viel und macht sich wohlgefällig vor Gott und den Menschen.
Man sagt: Die kleinen deutschen Staaten sollen größern einverleibt werden. Allein das kann nicht geschehen, wenn die kleinern Staaten nicht wollen. Eine freie, einfache bürgerliche Ordnung wird uns der Fürst gewähren und wenn er die Treue sieht, die man ihm beweist, wird er nicht ermangeln, dieselbe zu achten und thatsächliche Beweise zu geben, wie erfreulich ihm dies ist, und sein Herz wird gerührt sein.
Dabei muß das Land streben, in seiner Verwaltung und Einrichtung unabhängig zu sein, soweit dies die allgemeine deutsche Verfassung zuläßt. Die Verpflichtungen, die wir gegen Deutschland haben, müssen wir gewissenhaft erfüllen, weil wir nur so unsere Selbständigkeit erhalten können. Wäre es aber der Fall, daß diese Selbständigkeit größere Opfer von uns verlangte, als wir zu tragen im Stande sind, so wird der Fürst mit seinem Vermögen im Lande die nöthigen Zuschüsse darreichen. Wäre dies aber nicht, was keineswegs anzunehmen ist, so ständen dem Lande immer noch alle gesetzlichen und rechtlichen Mittel offen, um aus seiner übeln Lage zu kommen.
Wenn ich alles genau betrachte und überlege, so ist, ich muß es wiederholen, das Beste für uns, daß wir die gesetzliche Ruhe um jeden Preis aufrecht erhalten und daß alle gutgesinnten, verständigen und vaterländisch denkenden Männer das Regierungsamt in Vaduz in diesem Bestreben unterstützen. In Ruhe wollen wir die Dinge abwarten, die die Vorsehung über Deutschland verhängt und uns nie in die Angelegenheiten unserer Nachbarstaaten mischen. Es ist klug und weise, die Nachbarschaft uns günstig und gewogen zu erhalten; denn so wird sie uns nützlich sein, wie sie im entgegengesetzten Falle uns großen Nachtheil zufügen könnte. Wir dürfen nicht so leicht auf deutsche Hülfe pochen; denn sie ist fern und könnte uns theuer zu stehen kommen.
Wenn wir unsern Vortheil recht verstehen, können wir ein Völklein vorstellen, das Niemand gefährlich ist, aber doch Allen Achtung abnöthigt. Das Leben ist kurz; aber ein ehrenvoller Name bleibt und dient noch den spätesten Nachkommen zum Beispiel und zur Nacheiferung.
Die Mutter großer und unsäglicher Übel ist die Unwissenheit. Denn der Unwissende, eben weil er nichts weiß, ist argwöhnisch, mistrauisch und wird das Werkzeug hinterlistiger und boshafter Menschen. Er widerstrebt allem Guten, weil er es nicht kennt, weil er keinen Blick in die Folgen der Handlungen, in die Zukunft hat. Die Unwissenheit läßt keine wahre Freiheit auskommen, sie erzeugt Gleichgültigkeit und Haß gegen diejenigen, die Wissenschaft und Kenntnisse haben. Ein eben so großes Übel als die Unwissenheit ist der Eigennutz, die Selbstsucht: Beide entspringen eigentlich aus der Unwissenheit. Der Eigennutz macht uns kalt und lieblos, verhärtet das Herz und stumpft es ab gegen alle sanftern und edlern Empfindungen. Wo Eigennutz und Selbstsucht herrschen, kann nichts Gutes gedeihen, vor allem keine Freiheit, keine wahre bürgerliche Tugend. O Mensch, möchte man ausrufen, bist du geschaffen, dich selbst und andere zu plagen oder dich selbst und andere zu beglücken? Und wie kannst du dies Letztere, wenn du unwissend, eigennützig und selbstsüchtig bist?
Alle weisen Männer und alle Freunde des Volks haben einstimmig, neben der göttlichen Anstalt, der christlichen Kirche, die Schulen als ein Heilmittel gegen die Unwissenheit und die Selbstsucht betrachtet und in diesem Sinne das Schulwesen befördert. Die Religion ist für alle, Arme und Reiche, auch die Schule ist für alle und die Kenntnisse, welche die Schule gewährt, sind für alle die gleichen, für den Fürsten wie für den Bettler. Ein verständiges Volk wird alles auf ächte Religiosität und gut eingerichtete Schulen setzen. Sehet die Kinder an, es ist ein Jammer, wenn sie an der Seele verkümmern.
Ich habe es nie verleugnet, daß ich zu einem kleinen, armen und in vielen Dingen unwissenden Völklein gehöre, ja ich habe der Vorsehung dafür gedankt. Ich habe nie einen höhern Wunsch gehabt, als Euch, liebe Landsleute, nützlich zu sein. Aus treuem Herzen kommen die Rathschläge, die in diesen Zeilen enthalten sind. Es steht bei Euch, wie ihr sie aufnehmen wollt. Sollten sie einige Wirkung haben, so würde es mich deßwegen freuen, weil die guten Folgen, die daraus entstehen würden, deutlicher für ihre Wahrheit und Verbreitung sprechen würden, als es die Worte eines Menschen vermögen. Denn die guten Folgen unserer Handlungen kommen aus Gottes Hand!
St. Luzi, 25. November 1848.
Euer Freund und Mitlandsmann
P. K.[1]