Eugen Nipp unterbreitet Fürst Johann II. Wünsche betreffend die Einführung der Frankenwährung, die Gewährung einer Schenkung und eines Darlehens, die Verfassungsrevision, die Einführung des Proporzwahlrechts sowie die Schuldentilgung beim "Liechtensteiner Volksblatt"


Handschriftliches Schreiben von Prof. Dr. Eugen Nipp, dem Schriftleiter des "Liechtensteiner Volksblattes", gez. ders., an Fürst Johann II. [1]

o.D. (vor dem 12.2.1920)

Euere Durchlaucht!
Gnädigster Herr und Fürst!

Euere Durchlaucht wollen einem einfachen Landkinde gnädigst gestatten, in schwerer Zeit einige Worte im Interesse des teuren Heimatlandes und des hochverehrten Fürstenhauses an seinen lieben Landesvater zu richten.

Im Lande Liechtenstein gehen die Dinge meines Erachtens einer gewissen Hochspannung entgegen. Und zwar liegen die Gründe in einer wirtschaftlichen Notlage des Landes. Infolge der Entwertung des Kronengeldes besteht eine völlige Unsicherheit in der Bewertung von Arbeit und Produkten. Die Krone begegnet einem vollständigen Misstrauen und fast jeder fordert Franken für seine Produktion.

Wo Franken gefordert werden, sollten aber auch Franken da sein. Wenn die gegenwärtigen Zustände auch nur ein halbes Jahr fortdauerten, müsste ein Teil der Liechtensteiner verhungern, und auch das Land als Staat käme durch Gewähren von nötigen Unterstützungen immer mehr in Schulden. Es bleibt also leider nichts anderes übrig als die möglichst rasche Einführung der Frankenwährung, obwohl auch dies manche Enttäuschung im Gefolge haben wird; denn einesteils wird die Umrechnung der Kronen in Franken Schwierigkeiten ergeben, andernteils wird unser späterer Export darunter bedeutend leiden. Die Schweiz kann infolge ihrer hohen Valuta nur wenig exportieren.

Diese nötige, trotz allem leider nötige, Einführung der Frankenwährung [2] ist aber wieder nur möglich, d.h. auf friedlichem Wege möglich, mit der huldvollen Hilfe Euerer Durchlaucht. Im Lande erwarten alle diese Hilfe, auch die meisten Anhänger der Bürgerpartei.

Wollen Euere Durchlaucht gnädigst verzeihen, wenn ich Vorschläge zu machen wage, die auch im Interesse des hohen Fürstenhauses liegen, trotzdem sie anderseits demselben finanzielle Opfer bedeuten müssen. Je mehr Euere Durchlaucht helfen, umso mehr verpflichten Eure Durchlaucht das Volk und umso zufriedener wird es sein. Denn der grösste Teil ist noch nicht verdorben. Es ist trotz aller Schwächen im Kerne noch gut und arbeitsam.

So glaube ich, es sollte Euerer Durchlaucht mit den geeigneten Mitteln möglich gemacht werden, dem Lande wenigstens 3 Millionen Franken zur Verfügung zu stellen, und zwar 1 Million geschenkweise und 2 Millionen darlehensweise, dies ausser der dem Lande in so huldvoller Weise schon gewährten Hilfe von über einen halben Million Franken. Wenn dann die Gemeinden auch noch einspringen, was ihre Pflicht ist, indem sie für etwa 2 Millionen auf ihre Wälder Hypotheken aufnehmen, dann ist die jetzige Situation und wohl auch die Zukunft des Landes gerettet. Es haben dann Fürst und Volk Hand in Hand dazu beigetragen, einen herrlichen Fleck Erde zu erhalten. Wenn dann so gezeigt werden kann, dass der Fürst das Doppelte von dem, was das Land geleistet hat, dann haben wir wieder viel freieren Spielraum im Kampfe für Fürst und Vaterland. Dann kann auch die hohe Regierung mit starker Hand eingreifen gegen nach aussen strebende Kräfte; und diese starke Hand tut bitter not, ist unbedingtes Erfordernis.

Die Einführung der Frankenwährung sollte vor der Zollunion [3] durchgeführt werden, da letztere doch noch unsicher und in einiger Ferne ist. Der Prozess, dass alles Franken fordert, ist leider zu weit entwickelt und fortgeschritten, als dass er noch aufgehalten werden könnte. Wäre es der hohen Regierung ermöglicht gewesen, von Anfang an mit starker Hand dagegen aufzutreten, dann ständen die Dinge vielleicht anders. Jetzt tut rasches Handeln not, und kräftiges Handeln. Leider fehlten und fehlen der hohen Regierung die Machtmittel dazu.

Ein weiterer Punkt, der einer baldmöglichsten Lösung bedarf, ist die Verfassungsfrage. Es gibt hier Leute, die durchblicken lassen und damit zu gewissen Zwecken gleichsam hausieren, dass die Verfassungsrevision [4] mit Absicht verzögert werde. Solche unstichhältigen Behauptungen sind natürlich geeignet zur Hetze. Daher sähen es auch die Anhänger der Bürgerpartei gerne, wenn die Verfassung baldmöglichst zustande käme, damit wir hierin im Klaren wären und damit wieder ein Stein des Anstosses und ein Anlass zur Hetze beseitigt wäre. Dass an der Verzögerung nicht etwa Absicht vonseiten höherer oder allerhöchsten Stelle schuld ist, davon sind alle wahrhaft Fürstentreuen, und diese bilden die übergrosse Mehrheit, vollständig überzeugt. Das allernötigste ist jetzt allerdings die Lösung der wirtschaftlichen Fragen, aber die Verfassungsfrage sollte sobald es eben möglich ist, gelöst werden und zwar aus oben angeführten Gründen. So ist die Ansicht vieler. Die Ansicht weitblickender Leute ist auch die, dass in die neue Verfassung auch die Verhältniswahl [5] aufgenommen werden sollte. Und dies darum, weil sie in den meisten modernen Staaten durchgeführt ist, ferner ein Gebot der Gerechtigkeit ist und endlich auch darum, weil die Bürgerpartei sonst im Oberlande ungerechtfertigterweise verkürzt würde, wie dies eben jetzt schon der Fall ist, oder möglicherweise gar ganz an die Wand gedrückt werden könnte, falls es zu einer Neuwahl kommt. Denn die Anhänger der Volkspartei sind viel agiler, und manche davon scheuen kein Mittel, um bei einer eventuellen Neuwahl alles durchzusetzen. Der Proporz ist also sehr notwendig, wenn es auch manche, selbst von der Bürgerpartei, noch nicht einsehen.

Seine Durchlaucht Prinz Karl [von Liechtenstein] ist der Ansicht, man könnte aus dem ganzen Lande einen einzigen Wahlkreis [6] machen, damit würde man aber dem Unterlande ein Recht nehmen, da es ja kleiner ist als das Oberland, und somit die Unterländer vor den Kopf stossen, was unbedingt zu vermeiden ist. Durchlaucht Prinz Karl ist besonders dem Gedanken des Stände-Parlamentes sehr nahestehend. So würden also die Bauern, Arbeiter, Gewerbetreibenden und die freien Berufe ihre Vertreter in den Landtag senden, soviele jedem Stande dann verfassungsgemäss zukommen würden.

Ich für meine Person, und jedenfalls auch viele andere halten dies aber deshalb für gefährlich, weil dadurch die Kluft zwischen den einzelnen Ständen vergrössert würde und unser kleines Land stets der Schauplatz wirtschaftlicher Kämpfe bliebe.

Daher ist nur der Proporz zu empfehlen, wenn auch dagegen eingewendet wird, es würden dadurch die Parteien gleichsam gesetzlich festgelegt. Denn die Parteien sind nun einmal da und werden wohl auch geraume Zeit bleiben, möge der Name dann so oder anders lauten.

Endlich gestatte ich mir, Euerer Durchlaucht zu erwähnen, dass das "Liechtensteiner Volksblatt" vom Jahre 1919 her infolge der Valutadifferenz noch mit etwa 6500 Franken im Rückstande ist. Die Bürgerpartei kann gegenwärtig noch keine Franken aufbringen, diese Schuld zu tilgen. Das Volksblatt aber sollte lebenskräftig erhalten werden. Daher richte ich an Euere Durchlaucht die ergebene Bitte, gnädigst gestatten zu wollen, dass aus den Privatmitteln Euerer Durchlaucht diese Schuld getilgt werden dürfe; denn ich persönlich habe die Mittel nicht, dafür aufzukommen. Leider wird sich auch für 1920 eine grössere Differenz ergeben.

Obige Ausführungen gestatte ich mir zu machen im Einverständnis mit Prinz Karl und bitte Euere Durchlaucht, über obige Gedanken auch Durchlaucht Prinz Eduard [von Liechtenstein] zurate zu ziehen. Die Ausführungen kommen aus treumeinendem Herzen und von einem fürstentreuen und vaterlandsliebenden Liechtensteiner, der sich mit Stolz und Freude bekennt als

Euerer Durchlaucht
treu ergebenes Landeskind [7]

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[1] LI LA V 003/0529. Eingangsstempel der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien vom 12.2.1920 mit der Nr. 159/1. Ebd. eine maschinenschriftliche Abschrift. Eine weitere maschinenschriftliche Abschrift findet sich unter LI LA PA 102/161, dabei handelt es sich um ein Dokument aus dem Nachlass von Ferdinand Nigg, der ab 1920 die Regierungskanzlei leitete.
[2] Vgl. das Gesetz betreffend die Einführung der Frankenwährung vom 26. Mai 1924, LGBl. 1924 Nr. 8. In dessen Artikel 1 Abs. 1 wird bestimmt, dass die ausschliessliche gesetzliche Währung der Schweizerfranken als "Liechtensteiner Franken" ist. Nach Abs. 2 gelten als gesetzliche Zahlungsmittel diejenigen Münzen und Banknoten, welche in der Schweiz jeweils als gesetzliche Zahlungsmittel anerkannt sind. Vgl. auch das Gesetz vom 27. August 1920 betreffend Umwandlung der Kronenbeträge in Schweizerfranken in den Gesetzen und Verordnungen über Steuern, Stempel, Taxen und sonstigen Gebühren, sowie in den Strafbestimmungen, LGBl. 1920 Nr. 8. 
[3] Der Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz trat erst auf den 1. Januar 1924 in Kraft: Vgl. Art. 45 des Vertrages vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24.
[4] Vgl. die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921, LGBl. 1921 Nr. 15.
[5] Es blieb vorerst beim Majorzwahlrecht. Das Proporzwahlrecht wurde erst 1939 eingeführt und kam erstmals bei den Landtagswahlen vom 29. April 1945 zur Anwendung. Vgl. das Gesetz vom 18. Januar 1939 über die Einführung des Verhältniswahlrechtes, LGBl. 1939 Nr. 4. Vgl. etwa LI LA LTP 1939/015.
[6] Infolge der "Münzwirren" waren 1878 in Abänderung von § 55 der Verfassung vom 26. September 1862 zwei Wahlkreise – für das Oberland und für das Unterland – eingeführt worden. Vgl. Gesetz vom 19. Februar 1878 über Abänderung des Landtagswahlmodus, LGBl. 1878 Nr. 2. Gemäss dem neugefassten § 111 der Verfassung bestand im übrigen der Landesausschuss aus dem Präsidenten und zwei anderen Landtagsmitgliedern, von denen nunmehr das eine der "obern Landschaft" und das andere dem "Unterland" anzugehören hatte.
[7] Der weitere Verlauf dieser Eingabe an den Fürsten ist nicht bekannt.