Rezeption des österreichischen Strafgesetzes von 1852


[Verordnung zur Rezeption
des österreichischen Strafgesetzes von 1852]
[1]

vom 7. November 1859

Wir Johann, von Gottes Gnaden souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein, Herzog zu Troppau und Jägerndorf, Graf zu Rietberg, Grosskreuz und Ehrenbailli des souveränen Johanniter-Ordens etc. etc.

Um Unserem souveränen Fürstenthume, in welchem bisher das österreichische Strafgesetz über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen vom 3. September 1803 in Wirksamkeit steht, die Wohlthat einer vollständigen Strafgesetzgebung zuzuwenden, haben Wir das österreichische Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1852 für Unser Fürstenthum anzunehmen beschlossen und verordnen sofort wie folgt:

Art. I

Vom 1. Januar 1860 angefangen hat das österreichische Strafgesetz vom 27. Mai 1852 im Fürstenthum Liechtenstein als alleinige Vorschrift für die Bestrafung der darin als Verbrechen, Vergehen und Übertretungen bezeichneten strafbaren Handlungen in Gesetzeskraft zu treten, und es werden hiemit alle Gesetze, Verordnungen und Gewohnheiten, welche in Beziehung auf die Gegenstände dieses Strafgesetzes bisher im Fürstenthume bestanden haben, mit alleiniger Ausnahme der für das fürstliche Contingent bestehenden besonderen Strafbestimmungen von eben jenem Tage angefangen ausser Geltung gesetzt.

Art. II

Das durch gegenwärtige Verordnung recipirte Strafgesetz hat in Beziehung auf die darin als Verbrechen, Vergehen und Übertretungen erklärten strafbaren Handlungen auch dann zur Richtschnur zu dienen, wenn dieselben durch Druckschriften begangen werden.

Die durch den Inhalt von Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen sind daher nicht als besondere Pressvergehen zu behandeln.

Wo sich das neue Strafgesetz des Ausdruckes "Druckschriften oder Druckwerke" bedient, sind darunter nicht blos Erzeugnisse der Presse, sondern auch alle durch Stein-, Metall- oder Holzdruck, Prägung, Abformung oder durch was immer für mechanische oder chemische Mittel vervielfältigten Erzeugnisse des Geistes und der bildenden Kunst (literarische und artistische Werke) zu verstehen.

Art. III

Das Verfahren hat sich hinsichtlich der Verbrechen fortan nach den Vorschriften des zweiten Abschnitts des I. Theils und hinsichtlich der Vergehungen und Übertretungen nach den Anordnungen des zweiten Abschnittes des II. Theiles des Strafgesetzbuches vom 3. September 1803 zu richten mit der weiteren Bestimmung, dass alle Beschlüsse über die Ab­lassung von dem weiteren Verfahren bei Voruntersuchungen hinsichtlich der in den §§ 58 - 66 des Strafgesetzes bezeichneten Verbrechen vor ihrer Ausfertigung dem Appellations­gerichte zur Bestätigung oder angemessen erscheinenden Abänderung vorzulegen sind, und dass die Vorschrift der §§ 433, 434 und 442 des I. Theiles des Strafgesetzbuches vom 3. September 1803, wonach die Urteile der Strafgerichte erster Instanz in mehreren Fällen auch wegen der Wichtigkeit der strafbaren Handlung vor ihrer Kundmachung an das Obergericht und in gewissen Fällen von diesem an den Obersten Gerichtshof vorzulegen sind, in ersterer Beziehung auf alle in den §§ 58 - 66, 68 - 73, 76 - 82, 85 lit. c, 87, 101 - 104, 106 - 121, 134 - 142, 158 - 170, 190 - 196, 279 - 300 und 302 - 305 und in Beziehung auf die weitere Vorlage an den Obersten Gerichtshof auf die in den §§ 58 - 66, 101 - 103 und 106 - 117 des neuen Strafgesetzes bezeichneten Verbrechen und Vergehen Anwendung finden soll.

Art. IV

Nach Massgabe des neuen Strafgesetzes kann vom Tage seiner Wirksamkeit angefangen nur dasjenige als Verbrechen, Vergehen oder Übertretung behandelt und bestraft werden, was in demselben ausdrücklich als Verbrechen, Vergehen oder Übertretung erklärt wird.

Art. V

Die Behandlung und Bestrafung anderer Gesetzesübertretungen, worauf das neue Strafgesetzbuch keine Beziehung hat, findet nach den darüber bestehenden besonderen Vorschriften statt.

Art. VI

Alle im neuen Strafgesetz vorkommenden Geldbeträge sind in der neuen Währung zu verstehen, und ist daher jede auf eine Bestimmung dieses Strafgesetzes Einfluss nehmende Werthserhebung nach dieser Währung zu berechnen.

Die an Geld, an Waaren, Feilschaften oder Geräthen wegen Vergehen oder Übertretungen verwirkte Strafe verfällt jedesmal dem landschaftlichen Armenfonde.

Art. VII

Alle in dem neuen Strafgesetze vorkommenden Zeitbestimmungen sind nach dem Kalenderjahre zu berechnen.

Art. VIII

Das neue Strafgesetz soll auf bereits anhängige Untersuchungen und auf alle vor dem 1. Januar 1860 begangenen strafbaren Handlungen nur in so fern Anwendung finden, als dieselben durch das neue Strafgesetz keiner strengeren Behandlung als nach dem früher bestandenen Rechte unterliegen.

 

Gegeben zu Wien, am 7. November 1859

Im Namen Sr. Durchlaucht

Franziska Fürstin von und zu Liechtenstein,            
geborne Gräfin Kinsky

L.S.

Nach Ihrer Durchlaucht höchst eigenem Befehle:

Rudolf Nechansky,    
fürstlicher Justizrath

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[1] LI LA Sg RV 1859. Kein Originaltitel, Druck. - Auch: LI LA DS 100(1859-6)