[Kaiserliche Genehmigung zur Errichtung des Appellationsgerichts Innsbruck als oberste Gerichtsinstanz für das Fürstentum Liechtenstein] [1]
vom 9. Dezember 1817
Die in dem Artikel XII der deutschen Bundesakten enthaltene Bestimmung, dass die Bewohner deutscher Bundesstaaten die Wohlfahrt einer dritten Instanz auch da, wo bisher noch keine bestanden hat, von nun an geniessen sollen und dass diejenigen deutschen Bundesglieder, deren Besitzungen nicht eine Volkszahl von dreimahl hunderttausend Seelen erreichen, sich mit den ihnen verwandten Häusern oder mit anderen Bundesgliedern, mit welchen sie wenigstens eine solche Volkszahl ausmachen, zur Bildung eines gemeinschaftlichen obersten Gerichtes zu vereinigen haben, hat den regierenden Herrn Fürsten von Liechtenstein veranlasset, den Antrag zu machen, dass das k.k. Appellazionsgericht in Tirol und Vorarlberg zu Innsbruck als dritte Instanz für das souveräne Fürstenthum Vadutz konstituirt werde, indem in letzterem nur zwei gerichtliche Instanzen bestehen, die Errichtung einer eigenen dritten Instanz aber darum unthunlich ist, weil das Fürstenthum nur fünftausend Seelen auf zwei Quadratmeilen Flächeninhalt zählt, und übrigens sowohl die geographische Lage als besonders der Umstand, dass das österreichische bürgerliche und peinliche Gesetzbuch und die österreichische Gerichts- und Grundbuchsordnung daselbst bereits eingeführet sind, wesentlich beitragen dürften, die Ausführung dieses Antrages zu begünstigen.
Se. k.k. Majestät haben diesen Antrag auf einen von der k.k. Hof- und Staatskanzley erstatteten allerunterthänigsten Vortrag mit allerhöchster Entschliessung vom 9ten Dezember 1817 unter folgenden, von dem Herrn Fürsten von Lichtenstein bereits angenommenen Modalitäten und Bedingnissen zu genehmigen geruhet:
1mo Das Appellazionsgericht habe in seinen Entschliessungen, die es als fürstlich liechtensteinisches Revisionsgericht erlässt, den Titel zu führen „k.k. Appellazionsgericht für Tirol und Vorarlberg als aus allerhöchster Bewilligung konstituirtes Revisionsgericht des souverainen fürstlich liechtensteinischen Fürstenthums Vadutz“.
2do Das Appellazionsgericht habe sich nur auf die oberstrichterliche Eigenschaft zu beschränken, einer ämtlichen Aufsicht über die Justizverwaltung in dem Fürstenthum sich jedoch nicht zu unterziehen.
3to habe der Herr Fürst von Liechtenstein in Zivilfällen, wo nach den österreichischen Gesetzen eigentlich an den Souverän Bericht erstattet werden soll, nämlich wenn gegen zwei gleichlautende Urtheile wegen Nullität oder offenbarer Ungerechtigkeit die Revision ergriffen und gegründet befunden wird und wenn die Todeserklärung eines vermissten Ehegatten und die Bewilligung der zweiten Ehe für den anderen Theil erkannt werden soll, dem Appellazionsgerichte das unabhängige Erkentniss einzuräumen, ohne sich das Bestätigungsrecht vorzubehalten; in Kriminalfällen jedoch, und zwar bei Todesstrafen, wo dem Souverän das Begnadigungsrecht zusteht, seyen die Akten durch ein geziemendes Schreiben des Appellazionspräsidenten dem Herrn Fürsten mit dem gefassten Todesurtheile und mit der Darstellung der allenfalls obwaltenden Begnadigungsgründe vorzulegen.
4to Alle Entschliessungen des Appellazionsgerichts können nur vermittelst Kommunikazion an die fürstlich liechtensteinische Zentral-Kanzlei zur weiteren Ausfertigung gelangen.
5to sey ausser dem nach den österreichischen Normen zu bemessenden Taxen, welche von den aus Vadutz einlaufenden Geschäften abfallen werden, nur noch ein mässiges Honorar für das Kanzley-Personale, welches die diese Revisionsinstanz betreffenden Akten in der ganzen Manipulazion separirt zu erhalten habe, in Anspruch zu nehmen.
6to haben Se. k.k. Majestät sich die allerhöchst beliebige Zurücknahme dieser Bewilligung vorbehalten, so wie auch dem Herrn Fürsten von Liechtenstein eine anderweitige Verfügung unbenommen bleibe.
Diese allerhöchste Entschliessung wird dem tirolischen Appellazionsgerichte zur genauen Nachachtung mit dem weiteren Anhange eröfnet, dass die fürstlich liechtensteinische Zentral-Kanzley sich durch Promemoria ferner dahin geäussert habe:
a) dass im Fürstenthume Vaduz das am 1ten Juny 1811 publizirte österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch auf gleiche Weise wie in den k.k. österreichischen Provinzen gesetzliche Kraft habe; der Herr Fürst auch sehr geneigt sey, die für die österreichischen Staaten erwartete verbesserte Gerichtsordnung an die Stelle der bisherigen treten zu lassen, auch andere Gesetze mit ihren Erläuterungen und Zusätzen bei ihrem Erscheinen einzuführen und dass über einzelne, auf Lokal-Verhältnisse sich stützende etwan abweichende gesetzliche Bestimmungen bei vorkommenden Streitfällen die erforderliche Aufklärung und Vorlage erfolgen soll.
b) dass an das tirolische Appellazionsgericht die Revision- und Rekursakten durch die fürstliche Hofkanzlei unter Gebrauchung des Titels „Hochlöblich“ eingeschickt und von dieser die ihr zukommenden Entschliessungen des Appellazionsgerichts an die betreffende Instanz weiter ausgefertiget werden sollen.
c) dass für das Kanzley-Personale des Appellazionsgerichts wegen Separirung und Manipulirung der Akten ein Honorar von jährlichen dreihundert Gulden Reichswährung in vierteljährigen Raten vorhinein zahlbar, bestimmt, auch das fürstliche Oberamt zu Vaduz angewiesen werde, dieses Honorar vom 1ten Jänner 1818 anzufangen, an den k.k. Registratursdirektor des Appellazionsgerichts Freiseisen nach Innsbruck einzusenden.
Wien, am 13. Februar 1818
J[osef] Graf von Wallis
Ser. Imperatorem
Ex supremo Justitiae consilio
Franz Ritter von Kossler (?)
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[1] LI LA SgK 278 (Kopie von AT-TLA, Manuskript F.B. 8705 Nr. XIX; Dip. 1204 f. 192). Kein Oriignaltitel.