Rheinberger schreibt aus Bad Kreuth an seine Nichte Olga über seinen Gesundheitszustand und dass er ihre Gesellschaft vermisse.


Bad Kreuth den 11.7.1901.

Meine liebe Olga!

Ich weiss nicht, ob Du meine Karte vom 8ten noch in München erhalten hast, da Du mir am 9ten schon Deine Abreise nach Zams[1] meldetest.

Hoffentlich bist Du jetzt wohlbehalten bei der lieben Emma (die ich herzlich grüsse) in Vaduz. Morgen erwarte ich sicher Nachricht von Dir und schicke ich desswegen diesen Brief noch nicht ab.

Der Aufenthalt war bisher sehr angenehm, aber ich bin Deine liebe Gegenwart so sehr gewöhnt, dass mir die Zeit nach Dir lange ist - ja so ist es, mein lieber, guter Olgus!

Dass sich mein Befinden in den paar Tagen noch nicht ändern konnte, ist klar - auch habe ich seit letztem Jahr um acht Pfund abgenommen, das muss ich halt wieder nachholen. Luft und Wetter ist herrlich; Gesellschaft habe ich noch keine - den neuen Benefiziaten, einen jungen, schüchternen Mann ausgenommen. Übrigens liegt mir wenig an alten oder neuen Gesellschaften, da ich seit Langem an das Alleinsein gewöhnt bin. Rintelen's sollen am Montag kommen. - Heute wäre der „Christophorus“ in München zu hören; leider sind wir Beide nicht dabei. Hoffentlich geht es gut unter Bussmeyer's Direktion. -

Von der Marie habe ich noch keine Nachrichten über die Renovirung meiner Wohnung - es pressirt übrigens auch nicht so arg.

den 12. Juli.

Da Dein erwarteter Brief noch nicht eingetroffen, so lasse ich diesen meinen Brief noch einen Tag liegen, damit unsere Episteln sich nicht immer kreuzen, was sehr lästig ist. -

Eben erhielt ich ein Telegramm vom Generalintendanten Perfall, dass die ausgezeichnete Aufführung des „Christophorus“[2] enthusiastisch aufgenommen wurde. Gottlob! -

Soeben wieder ein enthusiastisches Telegramm von einem Unbekannten. Es muss doch schön gewesen sein! Schade, dass wir zwei nicht dabei waren. -

Auch heute früh (Sonntag den 14.) kommen ähnliche Briefe, auch eine Blumensendung. -

Dein lieber Brief, wie Emmas Karte haben mich sehr erfreut, besonders wegen der guten Nachricht über Hermine. - Schreibe mir bald wieder, Du mein lieber Olgus! erhole Dich gut - grüsse Alle, die sich noch meiner erinnern (es werden nicht mehr Viele sein!)

Wie immer

Euer Onkel
Jos. Rheinberger.

 

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[1] Abreise nach Zams = In Zams lebte Rheinbergers Schwester Hanni (vgl. Anm. zu S. 125/ Z. 17).
[2] der „Christophorus“ = Oratorium auf einen Text von Fanny von Hoffnaass für Soli, Chor und Orchester, op. 120.