Rheinberger übermittelt an Joseph Renner jun. seine Meinung über dessen op. 45


München, den 8.7.00

Lieber Herr Renner!

Besten Dank für Ihr op.45[1]. Trotzdem dass ich mitten in den Prüfungsarbeiten stecke, will ich Ihnen in Kürze meine Meinung sagen:

Meinen vollen Beifall haben der zweite und der dritte Satz, deren echt musikalischen Werth wohl Niemand wird bestreiten können.

Nicht so günstig steht es mit dem I. Satz, der mir trotz schöner Einzelheiten weniger zusagt; z.B. das Thema mit seinen vielen Modulationen, die gar keine Einheit aufkommen lassen und die (auf der Orgel) hässlichen, beständigen Oktavverdoppelungen und Akkordvollgriffe - dies beständige Sprechen in Superlativen - sodann die unschönen, gewaltsam gesuchten Harmonisierungen, (z.B. die letzten 2 Takte auf S.8) sind mir unsympathisch - aber leider sehr modern! Weit besser sind die folgenden Sätze, besonders die geistreich ausgeführte Passacaglia. -

Es wäre noch so viel zu sagen, aber die „Zeit langt nicht“- und somit „Gottbefohlen“.

Mit herzlichen Grüssen, Ihr alter Freund
Jos. Rheinberger.

 

 

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[1] Ihr op. 45 = 2. Orgelsonate in c-moll