Rheinberger sendet einen Zeitungsausschnitt betreffend Bismarck aus den „Münchner Neuesten Nachrichten“ vom 29.6.1900. an seine Nichte Olga


Zeitungsausschnitt aus den "Miinchner Neuesten Nachrichten"
29.6.1900

Wie Liechtenstein mit Deutschland Frieden schloss.

Eine sehr ergötzliche kleine Geschichte aus dem Ende der siebziger Jahre berichtete kürzlich nach den „L.N.N.“ in einem Reisebrief aus der Schweiz Ernst von der Brüggen in der „Baltischen Monatsschrift“.

Es bestand nämlich offiziell noch von 1866 her der Kriegszustand zwischen dem Fürstenthum Liechtenstein und dem Deutschen Reiche, weil man in Vaduz nicht daran gedacht hatte, am Prager Frieden theilzunehmen.

„Zehn oder mehr Jahre nach diesem Frieden“, erzählt von der Brüggen, „erschien einmal Lothar Bucher zu Besuch bei seinem Freunde Hilty[1], der damals noch in Chur lebte. Hilty schlug ihm eines Tages einen Ausflug in's Gebirge vor, aber Bucher erklärte, er wolle lieber nach Vaduz, um sich dieses Ländchen doch anzusehen, das keinen Frieden mit Deutschland gemacht habe, weshalb Bismarck ihm auch den Vaduz zukommenden Antheil aus irgend einer deutschen Kasse im Betrage von 70 Thalern nicht auszuzahlen erlaube.

Man nahm also einen Wagen und fuhr in dem schönen Rheinthal hinunter, an der gegen das gefahrdrohende Vaduz gekehrten Veste Luziensteig vorüber - die man, denke ich, mit 50 Mann Soldaten wohl erobern könnte - bis man endlich am Schlosse zu Vaduz anlangte.

Die beiden Herren hielten am einzigen Gasthof in der Stadt an und wurden von der Wirthin zum Löwen freundlich in's Speisezimmer geführt. Bei einer Umschau fielen Hilty drei an der Wand hängende Bilder auf: der Fürst von Liechtenstein als Landesherr in der Mitte, und daneben rechts der Kaiser Franz Josef, links Bismarck. Bismarck im feindlichen Lande - das war doch arg, und Hilty wandte sich denn auch vorwurfsvoll an die Wirthin, wie sie diesen Feind des Landes neben ihren Fürsten hinhängen könne!

Die Wirthin aber erklärte, Bismarck sei ein rechter Mann, den sie verehre, und hänge da ganz an rechter Stelle. Nun kam auch Bucher herbei, stimmte Hilty zu und forderte die Wirthin auf, doch dieses Bild fortzunehmen, das den Fürsten sehr in Zorn versetzen werde, wenn er einmal aus Wien herkomme.

„Nein, das Bild bleibt da“, war die Antwort, „und der Fürst mag zürnen oder nicht, der Bismarck ist doch ein rechter Mann, den ich mir nicht von der Wand nehmen lasse“. Alles Zureden half nicht, die Wirthin blieb dabei. Am selbigen Abend schrieb Bucher einen Bericht über Vaduz und die Wirthin zum Löwen daselbst an den Reichskanzler, wovon die Folge war, dass Vaduz seine 70 Thaler ausgezahlt bekam und dass ein paar Jahre darauf mit diesem Staate ein deutsch-liechtensteinischer Postvertrag geschlossen wurde. Ist aber einmal ein Postvertrag zwischen feindlichen Staaten geschlossen, so heisst das soviel, als dass der Kriegszustand als beendet anzusehen sei.

Die wackere Löwenwirthin aber hat vielleicht nie erfahren, welche weltgeschichtliche Rolle sie unbewusst dermaleinst gespielt hat.

 

 

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[1] Carl Hilty (1833- l909), Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern.