Johnie Mayer bittet Rheinberger, sich doch wieder einmal zu melden


Wien, den 24. Juni 1898

Lieber Freund.

„Eine Correspondenz, die dauern soll, muss nicht Zug für Zug gehen; man schicke doch ein Blatt nach, um irgend ein Stockendes flott zumachen“.

Diese Stelle aus dem Briefwechsel Goethe's mit Marianne v. Willemer passt mehr als mir recht ist, auf meinen sehr dünn gewordenen Briefwechsel mit Dir, dessen nun totales Schweigen mich recht betrübt.

Also wage ich einen dritten Angriff auf Deine Behaglichkeit, es mag ja einer über ein Menschenalter sich als dauerhaft behaupteten Freundschaft solch verwegen Beginnen zu gute gehalten werden.

Seit meinem letzten, im halben März abgesandten Briefe sehne ich mich nach Deinen geliebten Schriftzügen. Ich möchte doch auch wissen, wie Du Dich befindest, und hege doch das grösste Interesse an Deiner mir unentbehrlich gewordenen Kunst. In dem Masse, oder besser gesagt, in verkehrter Richtung nimmt mein Bedürfniss nach Deinen Schöpfungen zu, je mehr ich mich sehnen muss, Deine Nachrichten zu bekommen. -

Was habe ich wieder heute Altes und Neues mitgefühlt, mitgeweint und mitgesungen. Diese Seite 13 der „romantischen“ hat mir's angethan. Solche Accordfolgen, solche wahrhaft zauberische Klangwirkungen und Combinationen - das sind nicht wiederzugebende Eindrücke, die mir besonders lebendig wurden bei der schönsten Stelle „poco meno mosso“ in fis Dur, wo die Gesangstelle in so feinem Dufte gekleidet ist.

Ich spiele mir das oft 20mal nacheinander, und da geht's mir wie nach einem Adagio von Beethoven - das spielt auch in anderen Sphären. Hier passt wol so recht die Stelle aus dem gestern gehörten Hymnus an die Tonkunst[1]: „Heiliger Ernst beherrsche die Stunde Hehrer Kunst“, dessen Klänge wol geeignet sind, diese geliebteste der Künste zu feiern; natürlich würde ihr auch warmer Beifall zu theil.-

Ich hätte aber gewünscht solche Musik im Concerte, nicht in der Liedertafel zu hören, solche pièce de résistance verdient schon den schwarzen Frack und nicht die lichten Sommeranzüge!

Also, geliebter Freund, lass Dir meine Belästigung in Gottes Namen gefallen, ich ändere mich mit meinen beginnenden grauen Haaren, nur auswendig - innen Nie! -

In treuer Liebe Dein
Johann Mayer.

 

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[1] Hymnus an die Tonkunst = (Zur Orlando-Centenarfeier 1894) für Männerchor und Blasorchester. Gedicht von Hermann Lingg („Du mit den zartesten Schwingen... „) op. 179.