München den 24.9.96
Meine liebe Olga!
Deinen inhaltreichen Brief habe ich erhalten. Wegen Deiner Hierherkunft will ich Dich nicht pressiren; Dein Zimmer ist ja immer bereit und Du mir jederzeit willkommen; doch rechne ich, dass Du wieder so um die Mitte October einrücken wirst, wie letztes Jahr. Inzwischen kannst Du ja massenhaft Trauben essen, wenn dieselben genügend reif sind. Das Wetter ist hier wie allerorts fortwährend scheusslich - heute zu Allem noch schneekalt. -
Deine liebe Mama soll sich wegen Egons Eingabe um ein Reisestipendium nur beruhigen: da ihm dasselbe von Herrn v. In der Maur[1] sozusagen angetragen war, so sehe ich darin nur eine Anerkennung der treuen Dienste[2], welche Euer Vater dem Fürsten geleistet und es wäre höchst ungeschickt, keinen Gebrauch davon zu machen; von einer quasi- Bettelei ist dabei nicht entfernt die Rede. Dazu kommt noch, dass ein Aufenthalt in Italien eine theure Sache ist. Warten wir also in Ruhe und Geduld das Resultat der Eingabe ab. -
Die Handwerksleute sind endlich abgezogen, um im Frühjahr wieder anzufangen. -
Dass der lieben Emma die Kneippkur gut bekommen, freut mich sehr; sie soll nur das Singen jetzt nicht übertreiben und sich recht vernünftig schonen. Von der lieben Hermine hast Du mir gar Nichts geschrieben - hoffentlich ist nun Alles wieder wohl im rothen Haus. Die Arbeit auf der k. Musikakademie hat wieder begonnen und bin ich also im alten Geleise.
Nun lebewohl, grüsse Alle bestens und dehne Deine Ferien nicht gar zu sehr aus.
Wie immer Dein herzlich ergebener Onkel
J. Rheinberger.
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[1] von Herrn v. In der Maur = s. S. 28/Z. 39f
[2] das Resultat der Eingabe = Auf Verwenden von Landesverweser Karl von In der Maur und Josef Rheinberger wurde Egon Rheinberger 1897 ein Stipendium für eine Studienreise nach Italien gewährt. Zusammen mit seinem Bildhauerkollegen Georg Wrba bereiste er dieses Land während 8 Monaten.