Josef Renner bedankt sich für die Übersendung einer Orgelsonate und versichert seine Verehrung für seinen Lehrer Rheinberger


Regensburg, 27.3.95

Hochverehrter Herr Professor!

Meinen innigsten Dank für die hohe Freude, die Sie mir durch Übersendung Ihrer neuesten Orgelsonate bereitet haben! Wenn ich bedenke, dass ich ja doch eigentlich nur einer Ihrer unbedeutendsten Schüler bin, dass ich noch sehr wenig gethan habe, um Ihre Belohnung zu verdienen, so muss mich diese Auszeichnung doppelt erfreuen. Obwohl es mir eigentlich nicht ziemt, über ein Werk meines erfahrenen Lehrers ein Urteil zu fällen, so darf ich Ihnen doch so viel gestehen, dass mir dieses neueste Werk wieder einen hohen, seltenen Genuss bereitete!

Ich habe nun alle neueren Orgelkomponisten kennen gelernt, aber immer wieder kehre ich zu Ihren Werken zurück, denn diese Klangschönheit, verbunden mit edelster Formgebung finde ich bei Keinem der Neueren, wohl aber eine äusserliche, trockene Nachahmung Ihres Styles sehr häufig. - Was meine eigenen Versuche betrifft, verehrter Herr Professor, so gelangte durch das Nürnberger philharmonische Orchester, welches vor Kurzem Ihr symphonisches Tongemälde „Wallenstein“[1]  an der Spitze eines Programms brachte, meine Tragische Ouverture für gr. Orchester im Januar zur 1. und im Februar zur 2. Aufführung. Die Kritik sprach sich recht anerkennend aus. Gegenwärtig arbeite ich an einer Serenade für Streichorchester, deren ersten Satz ich heute vollendet habe.

Kirchenmusik zu schreiben, verspür ich wenig Lust, denn schreibe ich, wie ich will, so habe ich zu erwarten, dass eine fanatische, in Einseitigkeit verbohrte Kritik mich entweder ganz totschweigt oder gründlich verdonnert, und so zu schreiben, wie diese Herren wollen, habe ich durchaus nicht im Sinn, solange ich noch einen Funken Selbständigkeit in mir fühle! Ich bin das ewige Verdächtigen und Unterdrücken meiner kirchlichen Werke nun herzlich müde. Vielleicht kommt wieder eine wahrer Kunst günstigere Zeit!

Nur wenn einer dieser dilettirenden Kritiker es wagt, Ihre Werke zu begeifern, dann bin ich jederzeit bereit, dafür im Interesse wahrer Kunst zur Feder zu greifen, denn

„Uns Soldaten mag er schimpfen,

den Feldherrn soll er uns nicht verunglimpfen“!

(Wallensteins Lager)

Und nun nochmals herzlichsten Dank! In der Hoffnung, dass Sie Ihres treuen Schülers auch in Zukunft nicht ganz vergessen, und von dem Wunsche beseelt, dass Gott Ihnen dauernde Gesundheit schenken möge,

verbleibe ich, verehrtester Meister,

Ihr stets dankbarer Schüler
Josef Renner jun.
Domorganist.

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[1] Tongemälde „Wallenstein“ = op. 10, komp. 1866.