Franziska schreibt über Tote im Bekanntenkries und Josef Rheinbergers Gesundheitszustand.


1. März 1890.

Mein lieber Schwager!

Durch die Allge. Zeitung werdet Ihr Kenntniss erhalten haben vom Tode von Curt's ältestem und liebevollstem Freunde, Prof. Schafhäutl.

Ich wollte gerade in seine Wohnung gehen, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, da Tags vorher seine Erkrankung in der Zeitung stand. Als ich hinkam fand ich den theuren schon auf der Bahre liegen - mit friedlichem Ernst in den milden, im Tode so verklärten Zügen. Der Gedanke, wie gut er in diesen Räumen, wo er jetzt so stumm lag, gegen Curt gewesen, als dieser als hoffnungsvoller Knabe zu ihm kam, hat mich so ergriffen, das ich niederknien und ihm still unter Thränen für seine Liebe danken musste.

Curt war auch bei seiner Beerdigung, kam aber nicht traurig nach Hause, denn er sagte, Schafhäutl hätte immer einen so "sonnigen Eindruck" gemacht, in seinem Glauben so fest und froh, dass man auch jetzt nur an ein glückliches, ewiges Leben denken könne.

Gestern Morgen verloren wir auch unsere alte und sehr getreue Freundin Frau Stieler, durch den Tad. Auch sie hatte ein hohes Alter erreicht, aber unter grösseren Leiden als Schafhäutl. Morgen wird sie begraben.

In diesem Jahre haben wir in unserem Verwandten- und Freundeskreis bittere Verluste erlitten: unersetzliche Menschen - bei David angefangen! Sein Bild hängt neben Curt's Schreibtisch - was ich Dir, wie ich glaube, früher schon schrieb. Es war eine sehr liebe Aufmerksamkeit von Dir, lieber David, ihm dieses so ähnliche Bild machen zu lassen.

Curt ist jetzt in Behandlung des gleichen Naturheilarztes (Massage in Verbindung von Magnetismus) der auch mir aus schwerster Krankheit zur Gesundheit verholfen. Curt hat ihn selbst verlangt, ohne dass ich diesen Vorschlag machte. Dr. Müller ist sehr dafür, dass er viel in die Luft gehe und sich täglich Brust und Rücken rasch kalt abwaschen lasse, aber hierauf wieder zu Bett ginge. Ich besorge das täglich an ihm, nachdem ich vorher mich selber (gewöhnlich schon um 1/2 6 Uhr Morgens) im eingeheizten Zimmer ganz kalt abgewaschen habe und dann wieder auf eine halbe Stunde ins warme Bett zurückgekehrt bin. Vorläufig bin ich sehr abgehärtet, weiss aber natürlich nicht, wie lange es dauern wird, bis wieder ein Anfall kommt von Hals- oder Gelenkschmerz.

Curt gebraucht auch vorsichtige Zimmergymnastik mit Hanteln und exerziren wir zusammen. Gerade als er so leidend war (in den Faschingstagen) war er als Maximiliansritter zu allen Hoffesten geladen, es war sogar der Wagen schon bestellt, schliesslich konnte er aber nicht gehen, was uns beiden leid that; denn besonders zu Prinz Ludwig wäre er sehr gerne gegangen.

Von Egon sehe ich leider in diesem Jahr sehr wenig. Er gab seine italienische Stunde auf, weil er, wie er mir sagte, auch Samstag Abend in der Schule zu zeichnen hat. An einem Carnevalsfeste der Schüier wollte er sich betheiligen, wenigstens sagte er uns, dass er an einem grossen Decorationsschiff bauen helfe; doch hat er mir nicht erzählt, wie es ausgefallen ist. Ich werde ihn nächstens wieder zu Tisch bitten und dann hören, wie es ihm geht. Ich.glaube, zu Mongroff ging er nur einmal, weil dessen Sohn erkrankt ist.

Deine Mäderln schrieben mir sehr lieb, dass sie mir ein schwarzes Tuch zugedacht haben. Ich lasse ihnen vielmals für ihre liebe Absicht, mir Freude zu machen, danken. Egon hat mir das Tuch nicht gebracht. Aber ich bitte Euch, zankt ihn nicht, sonst wird er noch scheuer vor uns.

Wenn die lieben Nichten ihre fleissigen und geschickten Hände üben wollen, um mir eine Freude zu machen, so lasse ich sie herzlich bitten für arme Kirchen zu arbeiten. Es gibt davon, auch auf dem Missionsgebiete so viele, dass jeder Beitrag hochwillkommen ist. Also für nächste Weihnacht ja nichts Anderes, als Altarwäsche... und diese wird zunächst für Schaan am nützlichsten sein.[1] Hermine bin ich sehr dankbar, wenn sie alle Briefe, die von Curt sind, oder sich auf Curt irgendwie beziehen, wohlverwahrt, wie Alles was über ihn noch vorhanden ist. In der Allgem.Zeitung lesen wir heute wieder einmal das Mährchen, das der Fürst ein Jagdschloss baue.[2] Curt meinte, vielleicht würden die schönsten Bäume abgehauen, und dann bliebe alles liegen.

Die Liechtensteiner Zeitung brachte heute ein so hübsches Urtheil[3] eines Liechtensteiner Schusters über das Buch Haydn von Franz von Seeburg, dass ich dem Verfasser welcher gegenwärtig sehr leidend ist, die Zeitung sandte. Sein Name Seeburg ist angenommen, er heisst Franz Hacker, ist Canonicus von S. Cajetan und Direktor des kgl. Blinden- Institutes hier.

Heute hatten wir 9 Grad Kälte! Es ist zum Erfrieren! Eben ruft mir Curt, ich solle noch zum Billardspielen kommen vor dem Nachtessen. Also adieu - liebes rothes Haus mit Allem, was es enthält, und gebt bald wieder, der ob ihres langen Schreibens zwar Strafe verdienenden

Fanny. [sic]

1. März 1890.

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[1] wird zunächst für Schaan am nützlichsten sein = In der Nachbargemeinde von Vaduz hatte man 1888 begonnen, eine neue Pfarrkirche zu bauen (Einweihung 1893).
[2] …der Fürst ein Jagdschloss baue = "Wie wir vernehmen, lässt Se. Durchlaucht unser regierender Landesfürst Johannes II. auf dem Schlosse in der Nähe des kleinen Weiher in diesem Jahre noch ein Jagdschloss erbauen. Die Steinbrecharbeiten hiezu sollen schon im Akkordwege vergeben sein. ("Liecht. Volksbiatt" 28.2.1890) Das Schlösschen wurde 1894/95 vollendet.
[3] ein so hübsches Urtheil = "Liechtensteiner Volksblatt" Nr. 9 / 28.2.1890: "ZUM KAPITEL VOLKSBILDUNG (Eingesendet) - In einem kleinen abgelegenen Dorfe unseres Fürstenthums lebt ein junger Schuster, der neben seiner harten Tagesarbeit, womit er sich und seine Eltern nährt, keine andere Erholung übt, als gute Lektüre. Mit welchem Eifer er liest, mögen folgende Rezensionen beweisen, die ihm als Belege für sein Verständniss des Gelesenen abverlangt wurden. ... Noch besser drückt er sein Verständniss und die durch die Lektüre geweckte Begeisterung aus in seiner Rezension über: 'Josef Hayde (sic!), von Seeburg'. 'Die Laufbahn eines Genie's, gewaltig an Schaffenskraft, von der Picke auf gedient, hundert Hemmnisse überwindend, abwehrend, hochstrebend, und in seinem Fluge das Höchste erreichend, obgleich vom Schicksale feindselig mit Bleigewichten belastet, hungernd, ringend, selten anerkannt - diese Laufbahn in ihrer wechselvollen Gestaltung als Lebensbild darzustellen, diese Aufgabe hat Franz von Seeburg trefflich gelöst. Wie sanfte Musik klingt diese Sprache, weich und biegsam, und doch so voll Kraft und Gehalt; voll Geist klingend wie die Symphonien des Helden, in den welchen Tönen unserer Muttersprache. Und die tiefe Religiosität und Lebensweisheit, anspruchslos, aber voll der schönen Gedanken, welche die verschiedenen Seelenstimmungen schildern, an denen das Gemälde so reich ist. Die Charaktere aus der Zeit der grossen Maria Theresia, mit gewandtem Stift entworfen, repräsentiren den Zopf, und erhöhen das Interesse für den ausserordentlichen Mann, dessen gewaltiges Talent unter solchen Marionetten sich entfaltete. Jahre meines Lebens gäbe ich darum, besässe ich die Macht, so zu einer Welt von Lesern zu reden und zu schreiben.' - Diese Stylproben beweisen, dass dieser junge Mann liest um zu lernen und sich zu bilden, und, weil er keine andere als die Schule seines Heimatdorfes und nie die 'Fremde' besucht, dass die Volksschule unseres Landes sehr gut gepflegt und geleitet wird. Mögen nur auch Andere die Pfarrbibliotheken fleissig suchen und benutzen wie dieser Schuster, denn eine solche Lektüre passt für jeden Leisten."