Minneapolis, Minn. 2.März 1888.
Northwestern Conservatory of Music
Hochverehrter Herr Professor!
Gestatten Sie mir, zu Ihrem Geburts- und Namensfeste meine herzlichsten und ergebensten Glückwünsche darzubringen, und lassen Sie mich nochmals der Freude Ausdruck geben, welche mir Ihr liebenswürdiger Brief bereitet hat, für den ich meinen besten Dank wiederhole. Wir werden am 17.[1] hier das beabsichtlgte "Rheinberger-Conzert" haben; leider kann ich noch kein Programm beilegen, doch wird dasselbe später folgen. Meinen wärmsten Wünschen für Ihr neues Lebensjahr erlaube ich mir den bescheidenen für mich anzufügen, dass Sie das mir bisher geschenkte Wohlwollen auch fernerhin bewahren mögen.
Kommt es mir jetzt doch oft vor, als ob ich erst jetzt den Unterricht, den ich bei Ihnen so lange Jahre genossen, recht würdigen könnte und jetzt erst reif genug sei, um Ihren Contrapunktstunden völlig folgen zu können! Wie freue ich mich darauf, Ihnen nächstes Jahr einige neue Sachen vorzulegen! Vorläufig bemühe ich mich, dieselben nach den von Ihnen gelehrten Principien der musicalischen Noblesse und Solidität auszuarbeiten, wie denn überhaupt mein ganzes Streben dahin geht, dass mein Name einst mit Ehren unter den deutschen Künstlern genannt werden möge. NB! den deutschen und nicht den americanischen, denn auf diese pfeife ich. Verzeihen Sie, verehrtester Herr, dass ich mich so commun ausdrücke, aber ich werde immer entrüstet, wenn ich daran denke, dass das hier allerdings betriebene music business sich als wahre Kunst aufzuspielen wagt. Selbst in dem vielgepriesenen Boston und New York, wo ich wahrhaftig Augen und Ohren öffnete, ist alles wirklich Künstlerische eben deutsch und von amerikanischem Kunstgefühl habe ich spottwenig gemerkt. "Ausnahmen bestätigen die Regel", wie Sie im Contrapunkt so oft sagten. Die Haupttugend der Americaner ist, dass sie Geld haben, welches sie bisweilen auszugeben lieben, um prahlen zu können, denn darin dürften sie schwerlich von irgend einer Nation überboten werden. Sie rühmen sich auch vieler Dinge, deren sie sich lieber schämen sollten, und strotzen in Bezug auf allgemeine Bildung von horrender Unwissenheit. Letzeres besonders ist mir manchmal bei der "guten Gesellschaft" kaum fassbar, und Sie werden es begreiflich finden, dass ich mich allmählich immer mehr auf mich und meine Studien zurückziehe, die mir weit grössere Befriedigung, als die Menschen, gewähren.
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[1] am 17. = 17.3.1888 (49. Geburtstag Rh's.)