Philipp Wolfrum bklagt sich über das zu grosse Arbeitspensum, welches er zu leisten hat.


Heidelberg am 11.11.85.

Hochgeehrter Herr Professor!

Ich erlaube mir, Ihnen das Quartett und die Chorcomposition "Das grosse Halleluja" zur gefälligen Durchsicht zu übersenden. Ich hätte gern noch die 60 Choralvorspiele und das Clavierconcert beigelegt, aber erstere werden nach neuesten Mitteilungen erst in ca. 3 Wochen vom Stich kommen, letzteres ist immer noch nicht ganz fertig. Die Arbeiten der letzten Wochen sind so riesige gewesen und sind es auch bis Weihnachten, dass mir die Fertigstellung des Concertes in diesem Jahr kaum gelingen wird. Ich habe allein 5 mal Abends Chorprobe in der Woche. Der Bach-Verein zählt bis jetzt 110 Damen; am 12. November werden die "Eintrittsthüren" geschlossen werden und vor Ablauf eines Jahres Niemand mehr aufgenommen.

Das Quintett hab ich im letzten Satz mit einer, das folgende rondoartige Gebilde begründensollenden Einleitung versehen, vieles im "Rondo" selbst gestrichen, manches geändert. Zu einem völlig neuen Satz konnte ich's nicht bringen. Manches des zurückgelegten Satzes war mir lieb geworden. Ich spielte das Quintett am 24. October mit Heckmann's in Karlsruhe mit vielem Erfolg. Heckmann ist jetzt Feuer und Flamme für meine bescheidenen Sachen. Mein Quartett wird er in diesem Monate noch in England spielen (am 8. April brachte er's in Köln), mein Quintett möchte er mit mir in den Osterferien in verschiedenen rheinischen Städten spielen.

Es fehlt mir nur noch ein Verleger, der mir etwas zahlt. Spitzweg gibt garnichts heraus und ist gegen Buchhändler,  die etwas zur Ansicht wollen, nicht sehr höflich. Könnten Sie, Herr Professor, mir nicht einen Leipziger Verleger empfehlen, d.h. eventuell mich einem solchen …? Heckmann nannte mir Adressen, aber ich möchte nicht an mehrere schreiben und mit mehreren zu thun haben. H[eckmann] setzte mein Quartett und Quintett für ständig aufs Repertoire und auch Joachim[1] hat nach Wihan's Aussage das Quartett in Aussicht genommen.

[  ] Das Opus ["Grosses Halleluja"] ist für das Jubiläum geschrieben, für einen grossen Raum, der keine mitwirkungsfähige Orgel hat - da musste ich hie und da etwas starke Farben auftragen.

Vincenz Lachner war kürzlich bei mir und hat so begeistert von Ihnen gesprochen, dass ich den alten Herrn selbst lieb gewann.

In der Hoffnung, dass Ihr Befinden, hochverehrter Herr Professor, das beste ist, mich zugleich Ihnen und der gnädigen Frau höflichst empfehlend, bin ich Ihr stets dankbar ergebener

Ph. Wolfrum.

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[1] Joachim = Josef Joachim (1831-1907), berühmter Geiger, seit 1868 Direktor der Kgl. Hochschule Berlin und Senatsmitglied der Akademie der Künste.