Berlin, den 24. XI. 1902
Verehrtes Fräulein Rheinberger.
Ein Jahr ist morgen vergangen, seit das treue Herz Ihres Onkels Rheinberger aufhörte zu schlagen. Ich hab' damals im Geist die tieftraurige Zeit mit Ihnen durchgemacht u. im Laufe des Jahres oftmals an Sie in Ihrer erneuten Vereinsamung gedacht.
Darum möchte ich Ihnen heute in diesen paar Worten sagen, dass mir der liebe Heimgegangene stets unvergessen sein wird u. wie treulich ich gerade morgen seiner aber auch Ihrer in herzlichster Teilnahme gedenken werde.
Wie sehr entbehre ich es, so weit fort zu sein u. infolgedessen sein Grab nicht schmücken zu dürften. Aber ich weiss ja u. muss mich damit trösten, dass das Beste, was wir seinem Andenken erweisen können, nicht in solchen äusserlichen Zeichen besteht, sondern darin, dass wir uns bemühen ihm nachzuleben in kindlicher Frömmigkeit u. Herzensgüte; das wird ihm der schönste Lohn für seinen schweren Lebensgang sein.
Ich bitte Sie nun, verehrtes Fräulein, diesen Brief so aufzufassen, wie er gemeint ist - als Herzenserleichterung eines treuen Freundes des lieben Toten, die es sich keinem andern gegenüber gewähren könnte u. ihn darum auch nicht zu beantworten.
Herzlichen Dank sage ich Ihnen noch für Ihre freundliche Karte vom März mit der Abbildung des Geburtshauses. In herzlicher Verehrung u. Teilnahme grüsst Sie aus der Ferne
Ihre
sehr ergebene
Henriette Huber
______________