Olga Rheinberger (Nichte des Komponisten) informiert Henriette Huber-Hecker über den Tod und die Hinterlassungen Rheinbergers.


München, den 12. Jan. 1902

Hochverehrte gnädige Frau!

Verzeihen Sie, dass ich erst heute Ihren werten Brief beantworte und Ihnen für die liebevolle Theilnahme, die Sie einer ganz Fremden entgegen brachten, danke. -

Ich hatte seit dem Tode meines lieben Onkels so unendlich viel zu thun, da mir die letzte schwere Pflicht oblag den Nachlass zu ordnen - überhaupt den ganzen Haushalt aufzulösen. - Gottlob bin ich so weit (meine Schwester und zuletzt auch mein Bruder halfen mir) dass wir in acht Tagen heim können. - Es war eine traurige grosse Arbeit - wo jedes Stückchen, das man in die Hand nimmt, schmerzt - jeder Blick wehmüthige Erinnerungen wach ruft! - Und dennoch weiss ich nicht, ob das Scheiden aus den geheiligten Stätten nicht noch ärger ist als die Zerstörung derselben? Der Gedanke daran ist mir entsetzlich - diese Räume ganz fremden Menschen überlassen zu müssen. Was will man machen? Es fehlt jetzt doch die Seele von Allem! - dass dies auch noch zu überwinden sein wird. -

Gnädige Frau möchten von den letzten Tagen und Stunden meines theuren Onkels was wissen. - Ich begreife es und komme dieser Bitte gerne nach, wenngleich ein jedes Wort hiervon ein Dolchstich in mein Herz ist. Onkel war nicht lange krank, kaum 3 Wochen - die letzten 14 Tage war ich bei ihm, telegraphisch berufen, da ihn grosse Asthmaanfälle, förmliche Erstickungsanfälle bedrohten: Diese liessen mit Hilfe von Morphium bald nach, hatten aber die Kräfte gebrochen, er konnte sich nicht mehr erholen. Tag um Tag war er schwächer - er ahnte, was für ein Ende er nehmen musste - ich auch, nur nicht so bald. - Daran hat wohl Niemand, selbst der Arzt nicht gedacht! - Tags zuvor hat er noch mit mir zu Nacht gegessen und nachher noch das übliche Schach gespielt. Dann ging er ganz ordentlich, besser als sonst, zu Bett, und Nachmittags darauf ½ 4 Uhr schloss er für immer die Augen. - Mir fiel die Veränderung in der Früh gleich auf - er selbst muss sich auch elender gefühlt haben, da er zum erstenmal nicht aufzustehen verlangte. Plötzlich sagte er: "ich sterbe - der liebe Gott war immer gut zu mir" - mit diesen Worten ist auch wirklich die Agonie eingetreten - um ½ 9 Uhr früh. Das Bewusstsein behielt er bis Mittag, gab mir auf alle Fragen Antwort - dann aber wurde er ganz ruhig - der Athem immer schwächer und kürzer bis er um ½ 4 Uhr ganz ausblieb. - An seinem Sterbebette war ich allein von seinen Verwandten, aber noch eine ihm sehr theure Seele ist neben mir gestanden - Prof. Bussmeyer, von dem er Ihnen gewiss auch erzählt hat. -

Gnädige Frau erlassen meinem Schmerze alles weitere, das Sie sowieso in der Zeitung gelesen haben werden.

Ich erfülle die zweite Ihrer Bitten, indem ich Ihnen Ihre Photographie zurücksende, die ich beim Räumen fand und mit Hilfe Ihrer Unterschrift erkannte. Leider hat Onkel nie zu mir von Ihnen gesprochen - noch Ihren werten Namen genannt, dass ich Ihnen einen letzten Gruss übermitteln könnte. Ihre Briefe fand ich mit der Bemerkung: "ungelesen zu verbrennen" und erfüllte diesen Wunsch.

Wollen gnädige Frau dem theuren Heimgegangenen ein liebes Gedenken bewahren, um das Sie bittet Ihre ergebene

Olga Rheinberger

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