Henriette Huber-Hecker über ihre letzte Begegnung mit Jos. Rheinberger


Berlin-Dahlem, 22. V. 21

Verehrter Herr Professor!

Durch eine Erkrankung am Schreiben verhindert, danke ich Ihnen erst heute für die sorgsame Rücksendung der Briefe, die nun wieder still an ihrem Platz in meinem Schreibtisch liegen, sodass ich keine Sorge mehr um sie zu haben brauche. -

Ich muss nun wohl mein Versprechen erfüllen und Ihnen den Abschluss des Briefwechsels und das letzte Begegnen mit Josef Rheinberger in Kreuth erzählen; doch finde ich es schwerer, darüber zu sprechen, als ich neulich dachte. Den ganzen Nachmittag heut habe ich über alten Tagebüchern gesessen und die alte Zeit wieder in mir lebendig werden lassen. Wie vieles habe ich damals gar nicht verstanden, nur instinctiv empfunden, und erst viel später ist mir manches klar geworden, als es zu spät war. - Nach dem Ihnen bekannten letzten Brief Rheinbergers, in dem er auf weitere von mir hoffte, da ich ihn darin bestärkt hatte, verlebte ich einige Zeit auf dem Lande, und da kam alles, was ich in den letzten Monaten innerlich erlebt und durchgemacht hatte, bei mir zum Ausbruch. Das Ergebnis davon war nach hartem Kampf beiliegender Brief an Rh., den ich besitze, da ich ihn des Nachts in heisser Seelenqual auf ein Blatt Papier kritzelte und dann abschrieb und abschickte - Sie werden nach dem Lesen desselben merken, dass mein Verlobter damals kein Verständnis für mein Verhältnis zu Rh. hatte, wohl auch nicht haben konnte, und dass ich daraus die Konsequenzen zog, die meiner damaligen Jugend entsprachen. Ich nahm Abschied von dem Freunde. Im Sommer aber, nach meiner Heirath, bekam ich solche Sehnsucht nach Kreuth und ihm, von dem ich Nichts mehr gehört hatte, dass mein Mann mir das Opfer brachte und mit mir hinreiste, da auch meine Eltern wieder dort waren. Ich hoffte und glaubte in meiner Ahnungslosigkeit, die beiden Männer würden sich auch befreunden und mein Mann würde mir - wenn er ihn kennen gelernt hätte - diese Freundschaft gönnen, die doch so rein und schön war. Aber es kam anders. Sie wurden einander vorgestellt, wechselten ein paar förmliche Worte, und mein Mann sagte danach zu mir: "Und Du hast mir immer gesagt, der Mann sei alt!?" (Und er war doch wirklich fast 60!) Da erwachte meine ganze Leidenschaft und mein Trotz. Ich setzte durch, dass ich den Freund ein paarmal allein sprach. Todtraurig war er da und wie immer besorgt um mich und meine Seele. "Ich wollt', ich läge da unten" sagte er einmal, zur Erde deutend. Dann nahmen wir eines frühen Morgens für immer von einander Abschied, da er nach München zurückkehrte. Das war eine bitterschwere Stunde. - Meinem Mann zuliebe unterliess ich dann jede schriftliche Verbindung, aber im tiefsten Innern blieb die Sehnsucht lebendig.

Am Totensonntag 1901, einen Tag vor seinem Tode, finde ich in meinem Tagebuch eine Klage um ihn, als hätte ich gewusst, dass er im Sterben liege... "wer weiss, am Ende gehst Du einmal aus der Welt, ohne dass ich's weiss, ohne dass Du mir auch nur ein Abschiedswort hinterlassen könntest oder wolltest. Der Gedanke kann mich zur Verzweiflung treiben! - Ist es Unrecht, dass ich so Deiner gedenke? Ich meine, nein. Heut ist Totensonntag. Da darf ich auch meiner Toten gedenken!" - Und dann in den folgenden Wochen immer wieder die Klage: "Tot! Tot! Sie haben meinen Herrn genommen, und ich weiss nicht, wo sie ihn hingelegt!" -

Ich schrieb damals an Olga Rheinberger, seine Nichte, und ich will Ihnen ihre Antwort beilegen, da sie Ihnen über seine letzten Stunden vielleicht Neues sagt. Dass er dieser Nichte, die ihm so nahe stand, nie von mir gesprochen hat (obwohl er mir manchmal Grüsse von ihr auftrug), liess mich von neuem erkennen, wie tief sein Gefühl für mich gewesen sein muss, das ich in meiner Jugend doch wohl nicht voll begreifen noch erwidern konnte. Ich weiss, dass ich mich damals vor der Gewalt seines Gefühls fast fürchtete und mich vielleicht dadurch sogar schneller, als gut für mich war, zur Ehe entschloss. -

Einen indirekten Gruss habe ich noch von ihm bekommen durch eine Karte an die in meinen Briefen mehrfach erwähnte Emmy Rintelen, der er im Oktober (1901) schrieb, sie möchte ja nicht versäumen, gelegentlich der Frau H. H. einen Gruss von ihm zu bestellen.

Nun haben Sie alles gehört, und ich fürchte fast, Sie halten mich gar für aufdringlich und zu offenherzig einem Fremden gegenüber. Aber so lange Jahre hat das alles in mir verschlossen geruht; da tat es ordentlich wohl, sich einmal mitzuteilen, und ein ganz Fremder sind Sie mir durch Ihr warmes Interesse doch auch nicht mehr.

Nehmen Sie alles gütig auf, und bewahren Sie Ihre freundliche Teilnahme

Ihrer sehr ergebenen

Henriette Huber, geb. Hecker

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