Rheinberger über Gedichte, Musik, die Lästigkeit der vielen Briefsendungen etc..


M. den 5. 11. 00.

Meine theure Freundin!

Es ist ein eigenes Schicksal für mich, dass ich gerade in meinen beiden besten Eigenschaften, den musikalischen und religiösen, Ihnen so fremd bin und fern; das berührt mich tief, ist aber nicht zu ändern. Wie gut hat es da wiederum ein Dichter - seine Werke kann Jedermann lesen und verstehen. Trotzdem bin ich dem Geschick dankbar für den späten, so schönen Sonnenblick in meinem Leben, Sie gekannt und innig verehrt zu haben; ich muss es aber auch tragen, Sie wieder und zwar auf immer zu verlieren, darüber kann mein Gefühl nicht getäuscht werden. Möge es aber nicht bald sein, dass ich sagen muss: "Ich sah ein Glück vorüber gehn, das nie sich wieder findet!" Für Sie und Ihr Glück ist mir nicht bang; Sie sind ja noch so jung und werden Leben, Hoffen, Freuden und Enttäuschungen erst kennen lernen. Ihr offner und für das Gute und Schöne empfängliche Sinn und die Verhältnisse werden Sie ganz hinnehmen u. dauernd beschäftigen: Wenn ich nun, wie fast täglich, so schlaflos bin, da kommen mir bange Zweifel, ob ich damals nicht besser gethan hätte, mein tiefes Freundschaftsgefühl für Sie gänzlich in mich zu verschliessen und mit mir allein auszukämpfen. Allein es kam Alles so plötzlich, dass ich gar nicht erst überlegen konnte; Ich glaubte seit Jahren mein Interesse für Jedermann erstorben - und nun diese Wandlung! Wie es kam ist mir unerklärlich. Als Sie damals bei Tisch auf die bewusste Neckerei in Verlegenheit erglühten, überkam mich eine Empfindung, für welche mir die Worte fehlen - es war entweder namenloses Glück oder Unglück, ich weiss nicht welches, oder Beides.

Es war gut, dass momentan Niemand meiner Verlegenheit achtete. Wohl glaubte ich mich erst stark genug meine so mächtig gewordene Zuneigung bekämpfen zu können, aber wenn ich Sie wiedersah, mit Ihrem tiefen, ernsten Blick, Ihrem einfachen herzlichen Wesen, war der Kampf zu Ende. Wie wunderschön sagt Greif: "Gesteh, du bist der Sorge hold und willst von ihr nicht lassen, du tauschest nicht dein Leid um Gold, kannst du's auch selbst nicht fassen." -

Ist das nicht die reinste Musik - und so wahr?

Wahre Freundschaft ist selbstlos und wunschlos (im Gegensatz zur Liebe, die egoistisch und begehrend ist), doch bedarf sie des gegenseitigen Vertrauens, darum spreche ich mich so offen aus. Doch ist unser Fall nicht ganz derselbe: wenn ich auch weiss, dass ich Ihnen viel gelte, was Sie mir durch herzliche Freundschaft lohnen, so sind Sie mir doch viel viel mehr geworden. Damals als ich beim Abschied am 10. August Ihnen sagte: "Ich werde viel an Sie denken müssen", ahnten Sie wohl nicht, wie ernst und wehe mir bei diesem Worte zu Muthe war, - wie ich all die namenlosen Gemüthsbewegungen kommen sah, die ich nun bekämpfen muss!

 

6. 11.

Ich unterbreche diesen angefangenen Brief und sende ihn heute noch fort, selbst auf die Gefahr hin, dass Ihnen meine so häufigen Zusendungen lästig werden könnten. Ich fühle mich nämlich gegenwärtig körperlich und mehr noch geistig so elend, dass ich Sie bitte in Ihren lieben Briefen Alles zu vermeiden, von dem Sie glauben können, dass es mich betrübe. Mein Gemüth ist wie eine offene Wunde geworden; ich nehme Alles so schwer - und wenn es von Ihnen kommt, dreifach! Noch eine zweite Bitte: machen Sie, dass ich Ihr liebes Bild bald wieder ohne Trauer, wie früher betrachten kann - Sie verstehen mich wohl!

In unveränderter, treuer Freundschaft
Ihr Jos. Rheinberger

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