Franziska Rheinberger berichtet über Josef Rheinbergers schlechten Zustand seiner rechten Hand und über diverse geplante Aufführungen seiner Werke und dessen Ernennung zum Mitglied der Kunstakademie


München, 25. April 1884

 

25.4.84.

Mein lieber Schwager David!

 Curt gibt mir den Auftrag, Dir für Deinen letzten lieben Brief vielmals zu danken und Dir Auskunft zu geben, wie es mit seiner armen kranken Hand steht.

Nachdem sie mehrere Monate in ziemlich gutem Zustande gewesen, fing sie zu Anfang des Jahres wieder zu schwellen an, - und zwar, nicht nur an der Wurzel von Zeige- und Mittelfinger, sondern die Geschwulst zog sich auch um den Zeigefinger unten herum. Da aber Nussbaum so gebrechlich und überdiess schwerhörig geworden, dass ein Verkehr mit ihm sehr erschwert ist, so liessen wir ihn nicht kommen, sondern machten des Nachts nur die gewohnten Bleiwasserumschläge. Eines Abends war die junge Frau von Liegen-Mayer bei mir zum Thee; als Curt nach Hause kam, sprang sie ihm freundlich entgegen, er reicht ihr seine Hand und sie drückt sie ein bischen – ahnungslos, dass sie ihm weh that.

Er war eben auch unvorsichtig gewesen, dass er die Rechte gebraucht. Am schmerzlichen Zucken seines Gesichtes erkannten wir, dass sie ihm wehgethan – ein Wort gab das andere und mit allem Ernste drängte sie in uns, nun doch statt Dr. Nussbaum einmal den so berühmt gewordenen Dr. Helferich zu berathen, dessen Behandlung auch ihren Gatten von langwierigem Fussübel geheilt. Curt entschloss sich dazu und Dr. Helferich kam auch bald und erklärte es für sehr angezeigt diese Sache fortwährend im Auge zu behalten, damit ein Umsichgreifen des Leidens möglichst verhindert werde. Er rieth einen Handschuh machen zu lassen, welcher innen am Zeigefinger eine Stahlfeder trägt, durch die das Biegen des Fingers und der Reiz am Knöchelgelenk verhindert werden soll. Ferners muss die Geschwulst unter Tags mit Jodsalbe und Nachts auch noch mit Bleiwasser gefeuchtet werden. Curt trägt nun mit Lamms-Geduld diese Maschine, oder Bandage, welche ihm den Zeigefinger gestreckt hält und ihn in Allem behindert: Am Schreiben, am Spielen, am Dirigiren. Letzteres kann er noch mit dem Handschuh am ehesten. Unter diesen Verhältnissen ist es noch ein Glück, dass er den Beruf und die Freude am Lehren hat; denn sonst müsste er wirklich ganz melancholisch werden. Er ist ohnedem sehr ernst von Natur, aber doch kann er auch leicht über Spässe lachen und bin ich erfinderisch ihm solche zu bieten.

Neulich kam er auch sehr lustig vom Caféhaus heim, weil einer gefragt hat, was der tausendste Theil von einem Frauenzimmer sei, worauf ein Anderer geantwortet habe: „A Millimadel.“ (Ein Milchmädchen). Vielleicht gefällt das in Vaduz auch Jemand.

Nächsten Freitag den 29. wird in Frankfurt der Christophorus gegeben und Curt wurde sehr eingeladen hinzugehen, wird es aber nicht thun. Gestern gab Bülow in Hamburg den Wallenstein, am 27. lässt er ihn von seiner Meininger Capelle in Berlin spielen – da wäre ganz hübsch Gelegenheit und Veranlassung zur Reise. Aber Curt traut sich eines Theils nicht wegen der Hand, und dann will er nicht öfters Urlaub nehmen, weil auch im Juni gelegentlich des schlesischen Musikfestes der Christophorus in Breslau aufgeführt wird, wohin Curt nicht ungern reiste.

Nächstens wird ihm auch eine grosse Ehrung von Berlin aus begegnen. Gestern schrieb ihm der Präsident der kgl. Akademie gewählt habe und dass sein Diplom zur Unterfertigung beim Cultusminister läge. Diese Ehre wird nur den hervorragensten Malern und Componisten zu Theil und hat desshalb wirklich eine künstlerische Bedeutung. Sprich aber nur mit Peter davon, da die Sache noch nicht ausgefertigt und daher nicht oficiell ist.

Curt hat wirklich auf seinem ernsten Wege der Zurückhaltung und der Verachtung aller Reclame in verhältnissmässig jungen Jahren viel erreicht und kommt es mir oft vor, als habe ihn ein geheimnissvoller Drang getrieben so viel und so schnell zu componiren – als hätte er geahnt, dass später seine Zeit käme, in der ihm die freie Arbeit versagt sein würde. Er hat schon an die 130 Werke veröffentlicht und könnte die Musik Institute und Concertdirektionen noch lange mit dem Schonbestehenden beschäftigen.

Nun habe ich Dir gewiss ausführlich geschrieben, lieber David: Gutes und Übles durcheinander wie halt das Leben ist.

Wie bin ich froh, dass ich Curt bestehen kann: so viel hundertmal als ich ihm des Abends, wenn er im Bette, die Hand schon verbunden habe: so viel hundertmal und öfter war es mir ein Trost ihn liebevoll pflegen zu können.

Eben bringt mir Curt die Zeitung worin bereits die Nachricht seiner Ernennung zum Mitgliede der Kunstakademie in Berlin steht. Von uns aus erfuhr es Niemand. – Wahrscheinlich wurde es schon in Berlin aus bekannt gegeben.

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