Franziska Rheinberger berichtet über ihre Reise nach Köln


München, 4. November 1883

 

München 4. Nov. 1883

Lieber Schwager David!

Wie versprochen will ich Dir nun Mittheilung machen über unsere Reise nach Cöln, nachdem ich voraussetze, dass Programm und Karte glücklich in Deine Hände gelangt sind. Vorerst muss ich Dir aber noch danken für Deinen lieben, ausführlichen Brief, welcher Curt und mir sehr viele Freude gemacht hat. Wir haben dabei nur eines bedauert: Deinen riesen Schnupfen! Auch Deine Gefühle beim Wiedersehen so vieler Jugendfreunde kann ich mir um so mehr vorstellen, als mein sel. Vater auch dereinst so ein Corps-Verbindung Jubiläum in Freising mitmachte und davon so erschüttert nach Hause kam, dass er sogar öfters noch weinte. Ihm war freilich sein einziger Sohn gestorben, während Andere von ihren Söhnen begleitet, die festliche Zeit fröhlich mitmachten.

Nun also will ich erzählen – und zwar mit dem Schrecklichen beginnen, dass Curt ein paar Tage vor unserer Abreise eines Morgens mit kläglicher Stimme sagte: „ich glaube, ich bekomme einen Schnupfen!“ Du weißt, was das bei Rheinberger Constitutionen zu bedeuten hat! So war es auch, und in Begleitung dieses Schnupfens trat auch der Husten wieder auf, welcher – nachdem er 10 Monate gewährt hatte, in Kreuth glücklich angebracht worden war. Ich war wirklich recht unglücklich darüber und wollte sogleich nach Cöln abschreiben; jedoch Curt litt es nicht und so suchte ich wenigstens die bequemste Riese Art aus: einen Schlafwaggon I. Classe, in welchem man die 15 Stunden nach Cöln in grösster Bequemlichkeit fahren konnte.

Wir fuhren die Nacht durch, sahen von Mainz an den prächtigen Rhein, dachten bei seinem Anblick sehr viel an Vaduz, kamen am Niederwalddenkmal vorrüber, dessen Eindruck kein imposanter ist – und erblickten um 10 Uhr den herrlichen Dom. Curt hielt noch am selben Abend die erste Probe, am anderen Tag wurde ihm eine grossartige Soirée gegeben, wobei nur Compositionen von ihm in vollendeter Ausführung gegeben wurden; dann folgten Diners, endlich die Hauptprobe, und am 23. October Abends die glänzende Aufführung, an welcher sich 250 Sänger und entsprechend viel Orchester betheiligten und allein 1400 Sitzplätze genommen waren. Man empfing Curt schon mit Applaus und überreichte ihm am Schluss einen prachtvollen Lorbeerkranz mit grossen blau- und weissseidenen Schleifen. Man hatte für die Hauptparthie einen trefflichen Sänger aus Brüssel verschrieben, dessen riesige Stimme ausgezeichnet zu seiner Rolle passte, und auch die anderen Sänger waren ausgezeichnet, so dass Curt vollkommen befriedigt und hocherfreut war; denn noch nie hatte er ein Werk unter so glänzenden Umständen gehört und dirigirt.

Die Gastfreundschaft der Cölner war über alle Erwartung.

Wir hatten die Einladung, in einem glänzenden Privathause abzusteigen, ausgeschlagen, und uns in einem guten Hotel behaglich einquartirt; als aber Curt die Rechnung begleichen wollte, war Alles schon von der Gürzenich-Gesellschaft bezahlt.

Seit 10 Jahren, seit wir zusammen in Prag waren, ist Curt zu keiner Direction eines Werkes mehr gereist.

Es that ihm daher doch wohl sich in solcehr Weise willkommen geheissen zu sehen, und hat die Freude hierüber auch die körperliche Anstrengung überboten. Auch war es für uns doch eine unendliche Freude zusammen den herrlichen Dom zu sehen und dort unser gemeinsames Werk im Geist den grossen Anbetern des Christuskindes, den hl. 3 Königen, deren Reliquien dort ruhen, aufzuopfern. Nach dem Concert wurde noch ein Festbankett gegeben, wobei Curt Reden hielt und sehr übermüthig war. In bequemster Weise reisten wir wieder zurück, und wenn auch der Husten noch immer ziemlich stark ist, so hat doch die Reise und die Anstrengung des Dirigirens weder der Brust noch der Hand geschadet. Er ist jetzt so voll Musik, dass er am Liebsten den ganzen Tag componiren möchte.

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