Josef Rheinberger berichtet über Weihnachten und den Winter


München, 28. Dezember 1881

 

Seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben – Du, Dich eben aus dem Schlafe des Gerechten erhebend und am Fenster das „Würgerl“ [1] umbindend, - ich, in stolzer Equipage an dem Ahnenschloss meiner Väter vorbeirasend, ist ein viertel und zwar das letzte des glorreichen 81ger Jahres hinuntergerutscht, und da man mit dem ersten Tage des neuen Jahres sich immer vornimmt, den alten Adam hinter sich lassend, einen neuen Menschen anzuziehen, so ist es schliesslich doch höchstens ein neuer Schlafrock, d.h. ein Futteral über den alten Adam! Gott bessere es!

Du hast den Weihnachtsabend wohl im rothen Hause [2] recht vergnüglich zugebracht – ich hatte gerade um jene Zeit herum am meisten zu thun.

Das Christkind, freigebig wie immer, hat mir den Atlas von Andrée (den Peter auch hat), die Weltgeschichte von Holzwarth (7 Bände), ein Kistchen feiner Zigarren, welche duften wie der liebliche Maientag, etliche Lebkuchen und was sonst so alte Kinder freut, gebracht. –

Gestern kamen aus Prag die jährliche zwei Fasanen von unserm treuen Freunde Baron Peche; ich weiss nicht, waren es Deutschböhmen oder Czechen, geschmeckt haben sie ganz vorzüglich – wenn Du zu Gast bei uns gewesen wärest, so hättest Du noch einen handlichen Humpen vom Besten dazu bekommen! Und nun lebe wohl, heiz bei der Kälte in Deinem Schmollwinkel recht behaglich ein, - grüsse die lieben Angehörigen im rothen Haus und schreibe bald Deinem Dich liebenden Bruder

Josef Rheinberger

München den 28.12.81

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[1] scherzhaft für Schlips, Krawatte
[2] Das mittelalterliche "Rote Haus" in Vaduz ist seit 1807 im Besitz der Familie Rheinberger