Josef Rheinberger plant im Sommer eine Reise nach Vaduz und berichtet über den Winter in München


München, 23. Mai 1881

 

Mein lieber David!

Du wirst mit Recht sehr böse sein, dass ich Dir so lange nicht geantwortet; ich will dies auch in keiner Weise rechtfertigen oder entschuldigen, aber trotzdem ist es nicht lauter Faulheit. So oft ich mich an den Schreibtisch setze, liegen angefangene Arbeiten, pressante und unpressante, interessante und uninteressante, abzugebende Gutachten, unbeantwortete Briefe, durchzusehende Arbeiten etc. da, und da meine rechte Hand kein anhaltendes Schreiben verträgt, so bleibt eben leicht etwas liegen.

Nun wird auch in Vaduz der schöne Mai endlich zur unbestrittenen Herrschaft gelangt sein, nachdem die drei bösen "Fazi" [1] es glücklicherweise beim Drohen bewenden liessen. So viel ich aus dem Fetz'schen Moniteur [2] entnehmen konnte, liefen dieselben auch in Vaduz gnädig ab.

Sei so gut mir gelegentlich zu schreiben, ob man in der "Linde" gut wohnen kann. Ich möchte nämlich, wenn wir etwa im September auf einige Tage nach Vaduz kommen, nass bei der Kirche wohnen, um täglich bequem Orgel spielen zu können. Ohnedem ist ja das hübsche Zimmer im "Löwen", wo wir gewohnt haben, der Frau Deichmann wegen nicht mehr zu haben.

Wir haben gottlob recht gut überwintert - nur unsere treue alte Köchin wurde arbeitsuntauglich und musste unsern Dienst verlassen. Auch der gute Scarli /.../ hat ins Gras beissen müssen. Jetzt haben wir seit October einen sehr schönen grossen goldfarbenen Jagdhund, dem ich den blutrünstigen Namen. "Timur" beilegte. Da nun ein Jagdhund sehr viel laufen muss, und man ihn nicht alleine schicken kann, so muss ich ihm zu liebe viel spazieren gehen, was ich auch sehr gut brauchen kann. - Meine Frau will ihn auch mit nach Kreuth nehmen.

Den 16. Juli gehen wir nämlich wieder dorthin.

Nun wie steht es mit der Eisenbahn? [3] Bekommt Ihr eine (Über Vaduz nach Sargans) oder nicht?

Nun, lieber David, ist es Essenszeit und die Suppe nicht mehr weit. Dein alter Josef Rheinberger.

München, den 23.5.81.

______________

[1] Pankraz (12. Mai), Servaz (13. Mai) und Bonifaz (14. Mai) gelten als die drei "Eisheiligen", an dessen Tagen sich gerne kühles Wetter einstellt.
[2] Ratgeber; gemeint ist hier das "Liechtensteiner Volksblatt", das 1881 im 3. Jahrgang erschien und dessen Redaktor Hofkaplan Johann Franz Fetz war.
[3] Der Plan, die von Feldkirch über Nendeln und Schaan laufende Eisenbahnlinie über Vaduz nach dem schweizerischen Sargans weiterzuführen, wurde nie verwirklicht.