Josef Rheinberger dankt für dessen Besuch und berichtet Allgemeines aus München


München, 19. Dezember 1879

 

Mein lieber David!

Ehe das Jahr neunundsiebzig in die Rumpelkammer der Geschichte gestellt wird, muss ich Dir doch noch einmal schreiben, was ich in dem bewussten Jahre allerdings nicht oft gethan habe. Es geschah dies jedenfalls nicht aus "Bosheit", sondern eher aus Stoffmangel; zu dem hatten wir die Freude, Euch hier zu sehen, wobei ich nur beklagen kann, dass Du Deines Riesenschnupfens wegen so wenig Gebrauch von Augen und Beinen gemacht, und so wenig von München genossen hast. Gleich bei Eurer Abreise wurde das Wetter wunderschön, was von jetziger Zeit insofern nicht gesagt werden kann, als wir wiederholt 22 - 23° R. in der Stadt - d.h. 24 -25° ausserhalb derselben hatten. Diese Kälte soll seit 1829, wo es allerdings 30° R. hatte, nicht mehr gewesen sein. -

Deinem letzten Briefe nach scheint Ihr übrigens auch in Vaduz tüchtig zu frieren; möge dies einen guten kommenden Sommer bedeuten!

Ist die von Jul. Maier Dir übersandte Chronik für Liechtenstein interessant? Mir hat er sie sonderbarerweise nie gezeigt.-

In seiner letzten Nummer droht Herr Hofcaplan Fetz, die Beilage (der liechtenst. Zeitung) Schloss "Fad-uz" [1] eingehen zu lassen, wenn man nicht "heftiger" darauf abonnire - - - scheint also wenig Anklang zu finden. Meiner Ansicht nach wird die neue Schreibart auch nicht von einem Menschen adoptirt werden; ich glaube, dass es wirklich wichtigeres zu thun gäbe!

In dem politischen Leben ist hier grosse Stille; man gibt sich höchstens mit neuen Erfindungen ab, aber allerdings nur auf dem Gebiete der Besteuerungen; hierin scheint das neue Dezennium der Achtziger recht gemüthlich zu werden. Nun, - wir werden es auch nicht ändern.- Die Folgen der abnormen Kälte äussern sich auch in unserer Familie: Fanny leidet am Hexenschuss, ich am "Durchfall"( glücklicherweise bin ich kein Student) und der getreue Hund Scarli am Keuchhusten . Jetzt muss ich, ohne eigentlich etwas Gescheidtes geschrieben zu haben, zum Schluss eilen, da ein Schüler sich voll "Wissensdurst" einstellen wird - ein Landsmann Dante's, ohne die geringste Geistesverwandschaft mit diesem, was man aber billigerweise auch nicht verlangen kann.

Nun, Gott befohlen, mein lieber David! grüsse Peter und seine lieben Angehörigen herzlichst von mir - bleibe gesund und ohne Schnupfen! Dies wünscht Dir für's alte, wie auch für's neue Jahr

Dein Bruder Josef Rheinberger

München, den 19.12.79.

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[1] Von 1879-1881 erschien als Beilage zum "Liechtensteiner Volksblatt" das von Rheinberger genannte "Schloss Faduz", das der Verfasser Johann Franz Fetz 1882 als "Leitfaden zur Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein" in Buchform veröffentlichte. Fetz setzt sich darin für die Schreibweise "Faduz" anstelle von "Vaduz" ein, was allerdings wenig Anklang bei der Bevölkerung fand.