Franziska Rheinberger schreibt ihrem Schwager David Rheinberger über die Karwoche 1878


München, 22. April 1878

 

München, Ostermontag
22.April 1878

Mein lieber Schwager David!

Heute bei Tische sagte ich Curt, dass nachdem nun die Charwoche vorüber ist, ich euch wieder einmal schreiben wolle, worein er freudig stimmte. Du fragst vielleicht, warum ich gerade die Charwoche abwarten wollte? Nun - ich gestehe, sie lag wie eine Brücke über einem Abgrund, die man nicht ohne Besorgniss passiert, vor mir. Es ist zum erstenmal, dass Curt diesen strengen Dienst hatte - an drei Tagen hatte er sechs Stunden lang in der Kirche zu amtiren und da war ich besorgt, es möchte ihn Kopf, Brust oder Hand angreifen; aber mit Gottes Hilfe ist er sehr glücklich und zu seiner innigsten Befriedigung über die schwerste Zeit des Dienstes hinüber gekommen. Der Dienst selbst machte ihm so viele Freude und Interesse, dass er mehr als einmal sagte, er würde sich in seinem Leben nach keiner andern Stelle sehnen. Und wenn ein Künstler zu solcher Befriedigung mit dem Erreichten kommt, so kann man gewiss von Glück sagen. Die Theilnahme von Seite des Hofes und der Betenden an diesen Gottesdiensten war eine ganz ausserordentliche und am Charfreitag Abend als Palestrina's wunderbares 8 stimmiges Stabat Mater gesungen wurde, flüchtete ich auf den Chor, weil es zum erdrücken voll war. Curt hat jetzt, um seinen Kopf recht ruhen zu lassen, mehrere Wochen nichts mehr componirt - aber - auf meinen Wunsch - desto fleissiger gegessen, um die Nerven nicht herabkommen zu lassen. Am 24. muss er in Uniform das Georgiritteramt dirigiren, dann noch zwei Georgiritter-Requiem's. Am 10.Mai ist sein Dienst bis zu Allerheiligen mit Ausnahme der Frohnleichnahmsoctav gethan.

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